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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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französischen Armee eingeführt werden. Der Befehl des Kriegministers wurde zu Straßburg bei einer großen Parade bekannt gemacht, und die Truppen hörten in Reih' und Glied die Bekanntmachung mit stillem Grimm an. Da aber noch am Schluß der Parade ein Gemeiner einen Exceß machte, wurde sein Unteroffizier vorcommandirt, ihm zwölf Hiebe zu geben. Es wurde ihm mit Strenge befohlen, und er mußte es thun. Als er aber fertig war, nahm er das Gewehr des Mannes, den er geschlagen hatte, stellte es vor sich an die Erde und drückte mit dem Fuße los, daß ihm die Kugel durch den Kopf fuhr und er todt niedersank. Das wurde an den König berichtet, und der Befehl, Prügel zu geben, ward gleich zurückgenommen. Seht, Vater, das war ein Kerl, der Ehre im Leib hatte! -- Ein Narr war es, sprach der Bruder. -- Freß deine Ehre, wenn du Hunger hast! brummte der Vater. Da nahm mein Enkel seinen Säbel und ging aus dem Hause und kam zu mir in mein Häuschen und erzählte mir Alles und weinte die bitteren Thränen. Ich konnte ihm nicht helfen. Die Geschichte, die er mir auch erzählte, konnte ich zwar nicht ganz verwerfen, aber ich sagte ihm doch immer zuletzt: Gieb Gott allein die Ehre! Ich gab ihm noch den Segen, denn sein Urlaub war am andern Tag aus, und er wollte noch eine Meile umreiten nach dem Orte, wo ein Pathchen von mir auf dem Edelhof diente, auf die er gar viel hielt, er wollte einmal mit ihr hausen. Sie werden auch wohl bald zusammen kommen,

französischen Armee eingeführt werden. Der Befehl des Kriegministers wurde zu Straßburg bei einer großen Parade bekannt gemacht, und die Truppen hörten in Reih' und Glied die Bekanntmachung mit stillem Grimm an. Da aber noch am Schluß der Parade ein Gemeiner einen Exceß machte, wurde sein Unteroffizier vorcommandirt, ihm zwölf Hiebe zu geben. Es wurde ihm mit Strenge befohlen, und er mußte es thun. Als er aber fertig war, nahm er das Gewehr des Mannes, den er geschlagen hatte, stellte es vor sich an die Erde und drückte mit dem Fuße los, daß ihm die Kugel durch den Kopf fuhr und er todt niedersank. Das wurde an den König berichtet, und der Befehl, Prügel zu geben, ward gleich zurückgenommen. Seht, Vater, das war ein Kerl, der Ehre im Leib hatte! — Ein Narr war es, sprach der Bruder. — Freß deine Ehre, wenn du Hunger hast! brummte der Vater. Da nahm mein Enkel seinen Säbel und ging aus dem Hause und kam zu mir in mein Häuschen und erzählte mir Alles und weinte die bitteren Thränen. Ich konnte ihm nicht helfen. Die Geschichte, die er mir auch erzählte, konnte ich zwar nicht ganz verwerfen, aber ich sagte ihm doch immer zuletzt: Gieb Gott allein die Ehre! Ich gab ihm noch den Segen, denn sein Urlaub war am andern Tag aus, und er wollte noch eine Meile umreiten nach dem Orte, wo ein Pathchen von mir auf dem Edelhof diente, auf die er gar viel hielt, er wollte einmal mit ihr hausen. Sie werden auch wohl bald zusammen kommen,

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[0019] französischen Armee eingeführt werden. Der Befehl des Kriegministers wurde zu Straßburg bei einer großen Parade bekannt gemacht, und die Truppen hörten in Reih' und Glied die Bekanntmachung mit stillem Grimm an. Da aber noch am Schluß der Parade ein Gemeiner einen Exceß machte, wurde sein Unteroffizier vorcommandirt, ihm zwölf Hiebe zu geben. Es wurde ihm mit Strenge befohlen, und er mußte es thun. Als er aber fertig war, nahm er das Gewehr des Mannes, den er geschlagen hatte, stellte es vor sich an die Erde und drückte mit dem Fuße los, daß ihm die Kugel durch den Kopf fuhr und er todt niedersank. Das wurde an den König berichtet, und der Befehl, Prügel zu geben, ward gleich zurückgenommen. Seht, Vater, das war ein Kerl, der Ehre im Leib hatte! — Ein Narr war es, sprach der Bruder. — Freß deine Ehre, wenn du Hunger hast! brummte der Vater. Da nahm mein Enkel seinen Säbel und ging aus dem Hause und kam zu mir in mein Häuschen und erzählte mir Alles und weinte die bitteren Thränen. Ich konnte ihm nicht helfen. Die Geschichte, die er mir auch erzählte, konnte ich zwar nicht ganz verwerfen, aber ich sagte ihm doch immer zuletzt: Gieb Gott allein die Ehre! Ich gab ihm noch den Segen, denn sein Urlaub war am andern Tag aus, und er wollte noch eine Meile umreiten nach dem Orte, wo ein Pathchen von mir auf dem Edelhof diente, auf die er gar viel hielt, er wollte einmal mit ihr hausen. Sie werden auch wohl bald zusammen kommen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/19>, abgerufen am 29.03.2024.