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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wenn Gott mein Gebet erhört. Er hat seinen Abschied schon genommen, mein Pathchen wird ihn heut erhalten, und die Aussteuer hab ich auch schon beisammen, es soll auf der Hochzeit weiter Niemand sein, als ich. -- Da ward die Alte wieder still und schien zu beten. Ich war in allerlei Gedanken über die Ehre, und ob ein Christ den Tod des Unteroffiziers schön finden dürfe? Ich wollte, es sagte mir einmal Einer etwas Hinreichendes darüber.

Als der Wächter Ein Uhr anrief, sagte die Alte: Nun habe ich noch zwei Stunden. Ei, Er ist noch da, warum geht Er nicht schlafen? Er wird morgen nicht arbeiten können und mit Seinem Meister Händel kriegen; von welchem Handwerk ist Er denn, mein guter Mensch?

Da wußte ich nicht recht, wie ich es ihr deutlich machen sollte, daß ich ein Schriftsteller sei. Ich bin ein Gestudirter, durfte ich nicht sagen, ohne zu lügen. Es ist wunderbar, daß ein Deutscher immer sich ein wenig schämt, zu sagen: er sei ein Schriftsteller. Zu Leuten aus den untern Ständen sagt man es am Ungernsten, weil diesen gar leicht die Schriftgelehrten und Pharisäer aus der Bibel dabei einfallen. Der Name Schriftsteller ist nicht so eingebürgert bei uns, wie das homme de lettres bei den Franzosen, welche überhaupt als Schriftsteller zünftig sind und in ihren Arbeiten mehr hergebrachtes Gesetz haben, ja bei denen man auch fragt: Ou avez-vous fait votre Philosophie ? wo haben Sie Ihre Philosophie gemacht? wie denn ein Franzose selbst viel mehr von einem gemachten Manne hat. Doch diese nicht

wenn Gott mein Gebet erhört. Er hat seinen Abschied schon genommen, mein Pathchen wird ihn heut erhalten, und die Aussteuer hab ich auch schon beisammen, es soll auf der Hochzeit weiter Niemand sein, als ich. — Da ward die Alte wieder still und schien zu beten. Ich war in allerlei Gedanken über die Ehre, und ob ein Christ den Tod des Unteroffiziers schön finden dürfe? Ich wollte, es sagte mir einmal Einer etwas Hinreichendes darüber.

Als der Wächter Ein Uhr anrief, sagte die Alte: Nun habe ich noch zwei Stunden. Ei, Er ist noch da, warum geht Er nicht schlafen? Er wird morgen nicht arbeiten können und mit Seinem Meister Händel kriegen; von welchem Handwerk ist Er denn, mein guter Mensch?

Da wußte ich nicht recht, wie ich es ihr deutlich machen sollte, daß ich ein Schriftsteller sei. Ich bin ein Gestudirter, durfte ich nicht sagen, ohne zu lügen. Es ist wunderbar, daß ein Deutscher immer sich ein wenig schämt, zu sagen: er sei ein Schriftsteller. Zu Leuten aus den untern Ständen sagt man es am Ungernsten, weil diesen gar leicht die Schriftgelehrten und Pharisäer aus der Bibel dabei einfallen. Der Name Schriftsteller ist nicht so eingebürgert bei uns, wie das homme de lettres bei den Franzosen, welche überhaupt als Schriftsteller zünftig sind und in ihren Arbeiten mehr hergebrachtes Gesetz haben, ja bei denen man auch fragt: Où avez-vous fait votre Philosophie ? wo haben Sie Ihre Philosophie gemacht? wie denn ein Franzose selbst viel mehr von einem gemachten Manne hat. Doch diese nicht

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:27:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:27:19Z)

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [107]–162. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_annerl_1910/20>, abgerufen am 29.03.2024.