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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 48. Die Ewa Chamavorum.

Herausgegeben als Lex Francorum Chamavorum von R. Sohm in Mon. Germ.
LL V 269 und in dessen Handausgabe der Lex Rib. S 111 ff.
Litteratur: Pertz, Über das Xantener Recht, Abhandl. der Berliner Akademie
1846 S 411 ff. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche
Xantener Gaurecht, 1855. Zöpfl, Die Ewa Chamavorum, ein Beitrag zur Kritik
und Erläuterung ihres Textes, 1856. R. Schröder, Untersuchungen zu den fränk.
Volksrechten, Festschrift für Thöl 1879; in Picks Monatsschrift für die Geschichte
Westdeutschlands 1880, VI 492 und Z2 f. RG II 47. Sohm, LL V praef. S 269.

Eine Rechtsaufzeichnung, die uns in 48 knapp gefassten Kapiteln
überliefert ist 1, trägt die Überschrift: Notitia vel Commemoratio de
illa ewa, quae se ad Amorem habet. In den Kapiteln 26 und 28
wird von Diebstählen gehandelt, welche in Amore begangen worden
sind. Gemeint ist damit das Gebiet der chamavischen Franken.
Nach ihnen heisst im neunten Jahrhundert das am Niederrhein und
an der Yssel gelegene Hamaland. Die Ewa setzt voraus, dass ihr
Geltungsgebiet in mehrere Grafschaften und Gaue zerfiel. Sachsen
und Friesen erscheinen darin als Nachbarn der Chamaven. Sie kann
daher nicht auf den pagus Hamaland im engeren Sinne beschränkt
gewesen sein, sondern hat ihre Herrschaft auf die westlich gelegenen
Gaue Felwe und Flethetti, vielleicht auch auf die Landschaften Twente
und Drente erstreckt 2.

Die Bewohner des Amorelandes rechnen sich zu den Franken 3
und zwar müssen sie ribuarische Franken gewesen sein, denn eine
Urkunde des Jahres 855 bezeugt, dass im Hamalande ribuarisches Recht
gegolten hat 4.

Die Notitia de ewa Chamavorum ist nicht eine Satzung, sondern
die Aufzeichnung eines Weistums, welches auf Anfrage königlicher
Missi über das Sonderrecht der chamavischen Franken abgegeben
worden ist. Die Fassung einzelner Kapitel lässt Frage und Antwort
deutlich erkennen 5.

Die den Königsbann betreffende Anfrage in c. 2 und der könig-
liche missus qui in missatico directus fuerit in c. 8 stellen es ausser

1 In zwei Pariser Handschriften. Eine dritte kommt als blosse Abschrift nicht
in Betracht.
2 Siehe Schröder, Untersuchungen S 20.
3 In primo capitulo de causis ecclesiae et de illis servis Dei, qui ibidem de-
serviunt, sic habemus, quomodo et alii Franci habent.
4 Lacomblet, UB. zur Gesch. des Niederrheins I Nr 65. Eine im Hama-
lande vollzogene Übereignung erfolgt secundum legem Ribuariam.
5 Sohm, Praef. LL V 270.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 23
§ 48. Die Ewa Chamavorum.

Herausgegeben als Lex Francorum Chamavorum von R. Sohm in Mon. Germ.
LL V 269 und in dessen Handausgabe der Lex Rib. S 111 ff.
Litteratur: Pertz, Über das Xantener Recht, Abhandl. der Berliner Akademie
1846 S 411 ff. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche
Xantener Gaurecht, 1855. Zöpfl, Die Ewa Chamavorum, ein Beitrag zur Kritik
und Erläuterung ihres Textes, 1856. R. Schröder, Untersuchungen zu den fränk.
Volksrechten, Festschrift für Thöl 1879; in Picks Monatsschrift für die Geschichte
Westdeutschlands 1880, VI 492 und Z2 f. RG II 47. Sohm, LL V praef. S 269.

Eine Rechtsaufzeichnung, die uns in 48 knapp gefaſsten Kapiteln
überliefert ist 1, trägt die Überschrift: Notitia vel Commemoratio de
illa ewa, quae se ad Amorem habet. In den Kapiteln 26 und 28
wird von Diebstählen gehandelt, welche in Amore begangen worden
sind. Gemeint ist damit das Gebiet der chamavischen Franken.
Nach ihnen heiſst im neunten Jahrhundert das am Niederrhein und
an der Yssel gelegene Hamaland. Die Ewa setzt voraus, daſs ihr
Geltungsgebiet in mehrere Grafschaften und Gaue zerfiel. Sachsen
und Friesen erscheinen darin als Nachbarn der Chamaven. Sie kann
daher nicht auf den pagus Hamaland im engeren Sinne beschränkt
gewesen sein, sondern hat ihre Herrschaft auf die westlich gelegenen
Gaue Felwe und Flethetti, vielleicht auch auf die Landschaften Twente
und Drente erstreckt 2.

Die Bewohner des Amorelandes rechnen sich zu den Franken 3
und zwar müssen sie ribuarische Franken gewesen sein, denn eine
Urkunde des Jahres 855 bezeugt, daſs im Hamalande ribuarisches Recht
gegolten hat 4.

Die Notitia de ewa Chamavorum ist nicht eine Satzung, sondern
die Aufzeichnung eines Weistums, welches auf Anfrage königlicher
Missi über das Sonderrecht der chamavischen Franken abgegeben
worden ist. Die Fassung einzelner Kapitel läſst Frage und Antwort
deutlich erkennen 5.

Die den Königsbann betreffende Anfrage in c. 2 und der könig-
liche missus qui in missatico directus fuerit in c. 8 stellen es auſser

1 In zwei Pariser Handschriften. Eine dritte kommt als bloſse Abschrift nicht
in Betracht.
2 Siehe Schröder, Untersuchungen S 20.
3 In primo capitulo de causis ecclesiae et de illis servis Dei, qui ibidem de-
serviunt, sic habemus, quomodo et alii Franci habent.
4 Lacomblet, UB. zur Gesch. des Niederrheins I Nr 65. Eine im Hama-
lande vollzogene Übereignung erfolgt secundum legem Ribuariam.
5 Sohm, Praef. LL V 270.
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[353/0371] § 48. Die Ewa Chamavorum. Herausgegeben als Lex Francorum Chamavorum von R. Sohm in Mon. Germ. LL V 269 und in dessen Handausgabe der Lex Rib. S 111 ff. Litteratur: Pertz, Über das Xantener Recht, Abhandl. der Berliner Akademie 1846 S 411 ff. Gaupp, Lex Francorum Chamavorum oder das vermeintliche Xantener Gaurecht, 1855. Zöpfl, Die Ewa Chamavorum, ein Beitrag zur Kritik und Erläuterung ihres Textes, 1856. R. Schröder, Untersuchungen zu den fränk. Volksrechten, Festschrift für Thöl 1879; in Picks Monatsschrift für die Geschichte Westdeutschlands 1880, VI 492 und Z2 f. RG II 47. Sohm, LL V praef. S 269. Eine Rechtsaufzeichnung, die uns in 48 knapp gefaſsten Kapiteln überliefert ist 1, trägt die Überschrift: Notitia vel Commemoratio de illa ewa, quae se ad Amorem habet. In den Kapiteln 26 und 28 wird von Diebstählen gehandelt, welche in Amore begangen worden sind. Gemeint ist damit das Gebiet der chamavischen Franken. Nach ihnen heiſst im neunten Jahrhundert das am Niederrhein und an der Yssel gelegene Hamaland. Die Ewa setzt voraus, daſs ihr Geltungsgebiet in mehrere Grafschaften und Gaue zerfiel. Sachsen und Friesen erscheinen darin als Nachbarn der Chamaven. Sie kann daher nicht auf den pagus Hamaland im engeren Sinne beschränkt gewesen sein, sondern hat ihre Herrschaft auf die westlich gelegenen Gaue Felwe und Flethetti, vielleicht auch auf die Landschaften Twente und Drente erstreckt 2. Die Bewohner des Amorelandes rechnen sich zu den Franken 3 und zwar müssen sie ribuarische Franken gewesen sein, denn eine Urkunde des Jahres 855 bezeugt, daſs im Hamalande ribuarisches Recht gegolten hat 4. Die Notitia de ewa Chamavorum ist nicht eine Satzung, sondern die Aufzeichnung eines Weistums, welches auf Anfrage königlicher Missi über das Sonderrecht der chamavischen Franken abgegeben worden ist. Die Fassung einzelner Kapitel läſst Frage und Antwort deutlich erkennen 5. Die den Königsbann betreffende Anfrage in c. 2 und der könig- liche missus qui in missatico directus fuerit in c. 8 stellen es auſser 1 In zwei Pariser Handschriften. Eine dritte kommt als bloſse Abschrift nicht in Betracht. 2 Siehe Schröder, Untersuchungen S 20. 3 In primo capitulo de causis ecclesiae et de illis servis Dei, qui ibidem de- serviunt, sic habemus, quomodo et alii Franci habent. 4 Lacomblet, UB. zur Gesch. des Niederrheins I Nr 65. Eine im Hama- lande vollzogene Übereignung erfolgt secundum legem Ribuariam. 5 Sohm, Praef. LL V 270. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 23

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/371>, abgerufen am 24.04.2024.