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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 8. Das Auftreten der deutschen Stämme.

Kaspar Zeuss, Die Deutschen und die Nachbarstämme, 1837. Jakob Grimm,
Gesch. der deutschen Sprache, 4. Aufl. 1880. Arnold, Ansiedelungen und Wan-
derungen deutscher Stämme, 1875. Baumann, Schwaben u. Alamannen, ihre Her-
kunft und Identität, Forschungen zur deutschen Gesch. XVI 215. Schröder, Die
Herkunft der Franken, historische Z NF VII 1 ff.; derselbe, Die Franken und
ihr Recht, Z2 f. RG II 1 ff. Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer, 1834.
Riezler, Gesch. Bayerns I, 1878. Platner, Über die Art der deutschen Völker-
züge zur Zeit der Wanderung, Forschungen XX 165.

Die Goten, welche ehemals an der Weichsel sassen, erschienen
zu Anfang des dritten Jahrhunderts in den Gegenden der unteren
Donau. Ihr Aufbruch von den Gestaden der Ostsee muss bald nach
der Mitte des zweiten Jahrhunderts erfolgt sein; denn als eine Folge
der gotischen Wanderung erklärt sich die nachhaltige Angriffsbewegung,
in welcher die Donausueben und ihre Verbündeten sich während des
Markomannenkrieges (166--180) von Illyrien bis Gallien über die
Grenzen des römischen Reiches ergossen. Als Vorboten des beginnen-
den Sturmes zogen zunächst abgesprengte Schwärme von Marko-
mannen und anderen Völkerschaften, darunter ein Haufe des an der
unteren Elbe sesshaften Langobardenvolkes, bis nach Pannonien, um
von den Römern Wohnsitze zu erbitten. Bald darauf erfolgte ein
allgemeiner Einbruch germanischer und sarmatischer Völkerschaften,
welche der Zug der Goten auf seiner rechten Flanke gestreift oder
aufgescheucht haben mag. Der Hauptstoss ging von den Marko-
mannen und Quaden aus, östlich von ihnen drangen Sarmaten und
ostgermanische Stämme, darunter die Vandalen und die gotischen
Victovalen vor. Aber auch in westlicher Richtung hatte die Be-
wegung sich fortgepflanzt: neben den westlich von den Markomannen
wohnenden Nariskern sind noch die Hermunduren und die Chatten
an ihr beteiligt. Durch die höchste Anspannung seiner Kräfte ver-
mochte das römische Reich den Angriff abzuwehren, den die Ger-
manen mit einer Hartnäckigkeit führten, wie keinen zuvor. Allein
der zurückgestaute Strom der Völkerbewegung, welche Mark Aurel an
der mittleren Donau zum Stehen gebracht hatte, teilte sich hinter dem
Rücken der Markomannen in zwei Arme, indem er sich ein südöst-
liches und ein südwestliches Abflussbette grub. Etwa drei Jahrzehnte
nach Beendigung des Markomannenkriegs treten den Römern am
Schwarzen Meere die Goten und gleichzeitig am Main die Alamannen
als neue Feinde entgegen.

Die bunte Völkerkarte des westlichen und mittleren Germanien, wie
sie uns die Berichte von Strabo und Ptolomaeus, von Plinius und Tacitus

§ 8. Das Auftreten der deutschen Stämme.

Kaspar Zeuſs, Die Deutschen und die Nachbarstämme, 1837. Jakob Grimm,
Gesch. der deutschen Sprache, 4. Aufl. 1880. Arnold, Ansiedelungen und Wan-
derungen deutscher Stämme, 1875. Baumann, Schwaben u. Alamannen, ihre Her-
kunft und Identität, Forschungen zur deutschen Gesch. XVI 215. Schröder, Die
Herkunft der Franken, historische Z NF VII 1 ff.; derselbe, Die Franken und
ihr Recht, Z2 f. RG II 1 ff. Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer, 1834.
Riezler, Gesch. Bayerns I, 1878. Platner, Über die Art der deutschen Völker-
züge zur Zeit der Wanderung, Forschungen XX 165.

Die Goten, welche ehemals an der Weichsel saſsen, erschienen
zu Anfang des dritten Jahrhunderts in den Gegenden der unteren
Donau. Ihr Aufbruch von den Gestaden der Ostsee muſs bald nach
der Mitte des zweiten Jahrhunderts erfolgt sein; denn als eine Folge
der gotischen Wanderung erklärt sich die nachhaltige Angriffsbewegung,
in welcher die Donausueben und ihre Verbündeten sich während des
Markomannenkrieges (166—180) von Illyrien bis Gallien über die
Grenzen des römischen Reiches ergossen. Als Vorboten des beginnen-
den Sturmes zogen zunächst abgesprengte Schwärme von Marko-
mannen und anderen Völkerschaften, darunter ein Haufe des an der
unteren Elbe seſshaften Langobardenvolkes, bis nach Pannonien, um
von den Römern Wohnsitze zu erbitten. Bald darauf erfolgte ein
allgemeiner Einbruch germanischer und sarmatischer Völkerschaften,
welche der Zug der Goten auf seiner rechten Flanke gestreift oder
aufgescheucht haben mag. Der Hauptstoſs ging von den Marko-
mannen und Quaden aus, östlich von ihnen drangen Sarmaten und
ostgermanische Stämme, darunter die Vandalen und die gotischen
Victovalen vor. Aber auch in westlicher Richtung hatte die Be-
wegung sich fortgepflanzt: neben den westlich von den Markomannen
wohnenden Nariskern sind noch die Hermunduren und die Chatten
an ihr beteiligt. Durch die höchste Anspannung seiner Kräfte ver-
mochte das römische Reich den Angriff abzuwehren, den die Ger-
manen mit einer Hartnäckigkeit führten, wie keinen zuvor. Allein
der zurückgestaute Strom der Völkerbewegung, welche Mark Aurel an
der mittleren Donau zum Stehen gebracht hatte, teilte sich hinter dem
Rücken der Markomannen in zwei Arme, indem er sich ein südöst-
liches und ein südwestliches Abfluſsbette grub. Etwa drei Jahrzehnte
nach Beendigung des Markomannenkriegs treten den Römern am
Schwarzen Meere die Goten und gleichzeitig am Main die Alamannen
als neue Feinde entgegen.

Die bunte Völkerkarte des westlichen und mittleren Germanien, wie
sie uns die Berichte von Strabo und Ptolomaeus, von Plinius und Tacitus

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[40/0058] § 8. Das Auftreten der deutschen Stämme. Kaspar Zeuſs, Die Deutschen und die Nachbarstämme, 1837. Jakob Grimm, Gesch. der deutschen Sprache, 4. Aufl. 1880. Arnold, Ansiedelungen und Wan- derungen deutscher Stämme, 1875. Baumann, Schwaben u. Alamannen, ihre Her- kunft und Identität, Forschungen zur deutschen Gesch. XVI 215. Schröder, Die Herkunft der Franken, historische Z NF VII 1 ff.; derselbe, Die Franken und ihr Recht, Z2 f. RG II 1 ff. Gaupp, Das alte Gesetz der Thüringer, 1834. Riezler, Gesch. Bayerns I, 1878. Platner, Über die Art der deutschen Völker- züge zur Zeit der Wanderung, Forschungen XX 165. Die Goten, welche ehemals an der Weichsel saſsen, erschienen zu Anfang des dritten Jahrhunderts in den Gegenden der unteren Donau. Ihr Aufbruch von den Gestaden der Ostsee muſs bald nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts erfolgt sein; denn als eine Folge der gotischen Wanderung erklärt sich die nachhaltige Angriffsbewegung, in welcher die Donausueben und ihre Verbündeten sich während des Markomannenkrieges (166—180) von Illyrien bis Gallien über die Grenzen des römischen Reiches ergossen. Als Vorboten des beginnen- den Sturmes zogen zunächst abgesprengte Schwärme von Marko- mannen und anderen Völkerschaften, darunter ein Haufe des an der unteren Elbe seſshaften Langobardenvolkes, bis nach Pannonien, um von den Römern Wohnsitze zu erbitten. Bald darauf erfolgte ein allgemeiner Einbruch germanischer und sarmatischer Völkerschaften, welche der Zug der Goten auf seiner rechten Flanke gestreift oder aufgescheucht haben mag. Der Hauptstoſs ging von den Marko- mannen und Quaden aus, östlich von ihnen drangen Sarmaten und ostgermanische Stämme, darunter die Vandalen und die gotischen Victovalen vor. Aber auch in westlicher Richtung hatte die Be- wegung sich fortgepflanzt: neben den westlich von den Markomannen wohnenden Nariskern sind noch die Hermunduren und die Chatten an ihr beteiligt. Durch die höchste Anspannung seiner Kräfte ver- mochte das römische Reich den Angriff abzuwehren, den die Ger- manen mit einer Hartnäckigkeit führten, wie keinen zuvor. Allein der zurückgestaute Strom der Völkerbewegung, welche Mark Aurel an der mittleren Donau zum Stehen gebracht hatte, teilte sich hinter dem Rücken der Markomannen in zwei Arme, indem er sich ein südöst- liches und ein südwestliches Abfluſsbette grub. Etwa drei Jahrzehnte nach Beendigung des Markomannenkriegs treten den Römern am Schwarzen Meere die Goten und gleichzeitig am Main die Alamannen als neue Feinde entgegen. Die bunte Völkerkarte des westlichen und mittleren Germanien, wie sie uns die Berichte von Strabo und Ptolomaeus, von Plinius und Tacitus

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/58>, abgerufen am 28.03.2024.