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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 133. Die Lebensstrafen.
als tot betrachtet werden51. Bei der beschränkten Rechtlosigkeit handelt
es sich gewissermassen um Reflexwirkungen der Friedlosigkeit52. Diese
führte die volle Aufhebung der Rechtsfähigkeit herbei53. Die Straf-
nachsicht vermochte die eingetretenen Wirkungen nicht vollständig zu
tilgen.

§ 133. Die Lebensstrafen.

Siehe die Litteratur zu § 114 oben S. 467. Grimm, RA S. 682. Wilda, Straf-
recht S. 495 ff. Geib, Lehrbuch des deutschen Strafrechts I 191. Schröder,
RG S. 71 ff. 330. 338 ff. v. Amira, Recht S. 177. Günther, Wiedervergeltung
I 182 ff. D'Olivecrona, De la peine de mort 1868. Thonissen, Memoire
sur les peines capitales dans la legislation merovingienne 1877. Derselbe, L'orga-
nisation judiciaire etc. 1881, S. 160 ff. Fustelde Coulanges, Monarchie S. 459 ff.
Glasson, Histoire III 545. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 656.

Als Lebensstrafe stellt von Hause aus die Acht sich dar, weil sie
die Tötung des Ächters nicht nur duldet, sondern verlangt. Sie ist
aber mehr als Lebensstrafe, schon weil sie auch das Vermögen des
Ächters erfasst. Am deutlichsten hat die Acht den Charakter der
Lebensstrafe bei der Behandlung des handhaften Missethäters bewahrt.
Aber auch in der Ungehorsamsacht des fränkischen Königs tritt er
noch zu Tage, wogegen er bei den abgeschwächten Formen der Acht
getrübt oder beseitigt ist.

Die über den gerichtlich überführten Missethäter verhängte Todes-
strafe hebt sich von der Ungehorsamsacht und von der Acht mit
Fluchtfrist dadurch ab, dass sie ohne Unfriedensbann ausgesprochen
wird1. Doch macht sich der begriffliche Zusammenhang von Acht
und Todesstrafe u. a. noch insofern geltend, als regelmässig das Ver-
mögen des zum Tode verurteilten Verbrechers vom Fiskus eingezogen

51 Cap. Sax. v. J. 797, c. 10, I 72.
52 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 77: 'Wo immer die Rechtlosigkeit
auftritt, erkennen wir in ihr die Überbleibsel des reinen Instituts der Friedlosig-
keit'. Über den Zusammenhang von Friedlosigkeit und Rechtlosigkeit siehe noch
Wilda, Strafrecht S. 304, Anm. 2 und S. 522 f.
53 Wenn Formeln des Liber Papiensis (zu Otto I., c. 3 LL IV 571) dem Be-
klagten schlechtweg gestatten, die Antwort zu verweigern, weil der Kläger zum Tode
verurteilt worden ist, weil er Frauenraub, Diebstahl, Brandstiftung oder Meineid
begangen habe, so ist dabei wohl gemeint, dass die Todesstrafe noch nicht erlassen,
das vorgeworfene Verbrechen noch nicht abgeurteilt war.
1 Dass ihre Vollstreckung nicht jedermann aus dem Volke überlassen, sondern
bestimmten Organen vorbehalten ist, hat sie mit jenen Arten der Acht gemein,
die den Leib des Ächters nur der Sippe des Erschlagenen erteilen.

§ 133. Die Lebensstrafen.
als tot betrachtet werden51. Bei der beschränkten Rechtlosigkeit handelt
es sich gewissermaſsen um Reflexwirkungen der Friedlosigkeit52. Diese
führte die volle Aufhebung der Rechtsfähigkeit herbei53. Die Straf-
nachsicht vermochte die eingetretenen Wirkungen nicht vollständig zu
tilgen.

§ 133. Die Lebensstrafen.

Siehe die Litteratur zu § 114 oben S. 467. Grimm, RA S. 682. Wilda, Straf-
recht S. 495 ff. Geib, Lehrbuch des deutschen Strafrechts I 191. Schröder,
RG S. 71 ff. 330. 338 ff. v. Amira, Recht S. 177. Günther, Wiedervergeltung
I 182 ff. D’Olivecrona, De la peine de mort 1868. Thonissen, Mémoire
sur les peines capitales dans la législation mérovingienne 1877. Derselbe, L’orga-
nisation judiciaire etc. 1881, S. 160 ff. Fustelde Coulanges, Monarchie S. 459 ff.
Glasson, Histoire III 545. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 656.

Als Lebensstrafe stellt von Hause aus die Acht sich dar, weil sie
die Tötung des Ächters nicht nur duldet, sondern verlangt. Sie ist
aber mehr als Lebensstrafe, schon weil sie auch das Vermögen des
Ächters erfaſst. Am deutlichsten hat die Acht den Charakter der
Lebensstrafe bei der Behandlung des handhaften Missethäters bewahrt.
Aber auch in der Ungehorsamsacht des fränkischen Königs tritt er
noch zu Tage, wogegen er bei den abgeschwächten Formen der Acht
getrübt oder beseitigt ist.

Die über den gerichtlich überführten Missethäter verhängte Todes-
strafe hebt sich von der Ungehorsamsacht und von der Acht mit
Fluchtfrist dadurch ab, daſs sie ohne Unfriedensbann ausgesprochen
wird1. Doch macht sich der begriffliche Zusammenhang von Acht
und Todesstrafe u. a. noch insofern geltend, als regelmäſsig das Ver-
mögen des zum Tode verurteilten Verbrechers vom Fiskus eingezogen

51 Cap. Sax. v. J. 797, c. 10, I 72.
52 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 77: ‘Wo immer die Rechtlosigkeit
auftritt, erkennen wir in ihr die Überbleibsel des reinen Instituts der Friedlosig-
keit’. Über den Zusammenhang von Friedlosigkeit und Rechtlosigkeit siehe noch
Wilda, Strafrecht S. 304, Anm. 2 und S. 522 f.
53 Wenn Formeln des Liber Papiensis (zu Otto I., c. 3 LL IV 571) dem Be-
klagten schlechtweg gestatten, die Antwort zu verweigern, weil der Kläger zum Tode
verurteilt worden ist, weil er Frauenraub, Diebstahl, Brandstiftung oder Meineid
begangen habe, so ist dabei wohl gemeint, daſs die Todesstrafe noch nicht erlassen,
das vorgeworfene Verbrechen noch nicht abgeurteilt war.
1 Daſs ihre Vollstreckung nicht jedermann aus dem Volke überlassen, sondern
bestimmten Organen vorbehalten ist, hat sie mit jenen Arten der Acht gemein,
die den Leib des Ächters nur der Sippe des Erschlagenen erteilen.
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[598/0616] § 133. Die Lebensstrafen. als tot betrachtet werden 51. Bei der beschränkten Rechtlosigkeit handelt es sich gewissermaſsen um Reflexwirkungen der Friedlosigkeit 52. Diese führte die volle Aufhebung der Rechtsfähigkeit herbei 53. Die Straf- nachsicht vermochte die eingetretenen Wirkungen nicht vollständig zu tilgen. § 133. Die Lebensstrafen. Siehe die Litteratur zu § 114 oben S. 467. Grimm, RA S. 682. Wilda, Straf- recht S. 495 ff. Geib, Lehrbuch des deutschen Strafrechts I 191. Schröder, RG S. 71 ff. 330. 338 ff. v. Amira, Recht S. 177. Günther, Wiedervergeltung I 182 ff. D’Olivecrona, De la peine de mort 1868. Thonissen, Mémoire sur les peines capitales dans la législation mérovingienne 1877. Derselbe, L’orga- nisation judiciaire etc. 1881, S. 160 ff. Fustelde Coulanges, Monarchie S. 459 ff. Glasson, Histoire III 545. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 656. Als Lebensstrafe stellt von Hause aus die Acht sich dar, weil sie die Tötung des Ächters nicht nur duldet, sondern verlangt. Sie ist aber mehr als Lebensstrafe, schon weil sie auch das Vermögen des Ächters erfaſst. Am deutlichsten hat die Acht den Charakter der Lebensstrafe bei der Behandlung des handhaften Missethäters bewahrt. Aber auch in der Ungehorsamsacht des fränkischen Königs tritt er noch zu Tage, wogegen er bei den abgeschwächten Formen der Acht getrübt oder beseitigt ist. Die über den gerichtlich überführten Missethäter verhängte Todes- strafe hebt sich von der Ungehorsamsacht und von der Acht mit Fluchtfrist dadurch ab, daſs sie ohne Unfriedensbann ausgesprochen wird 1. Doch macht sich der begriffliche Zusammenhang von Acht und Todesstrafe u. a. noch insofern geltend, als regelmäſsig das Ver- mögen des zum Tode verurteilten Verbrechers vom Fiskus eingezogen 51 Cap. Sax. v. J. 797, c. 10, I 72. 52 v. Amira, Vollstreckungsverfahren S. 77: ‘Wo immer die Rechtlosigkeit auftritt, erkennen wir in ihr die Überbleibsel des reinen Instituts der Friedlosig- keit’. Über den Zusammenhang von Friedlosigkeit und Rechtlosigkeit siehe noch Wilda, Strafrecht S. 304, Anm. 2 und S. 522 f. 53 Wenn Formeln des Liber Papiensis (zu Otto I., c. 3 LL IV 571) dem Be- klagten schlechtweg gestatten, die Antwort zu verweigern, weil der Kläger zum Tode verurteilt worden ist, weil er Frauenraub, Diebstahl, Brandstiftung oder Meineid begangen habe, so ist dabei wohl gemeint, daſs die Todesstrafe noch nicht erlassen, das vorgeworfene Verbrechen noch nicht abgeurteilt war. 1 Daſs ihre Vollstreckung nicht jedermann aus dem Volke überlassen, sondern bestimmten Organen vorbehalten ist, hat sie mit jenen Arten der Acht gemein, die den Leib des Ächters nur der Sippe des Erschlagenen erteilen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/616>, abgerufen am 19.03.2024.