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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.
den dieser von dem Vormunde wegen Nichterfüllung des Verlöbnis-
vertrages hätte beanspruchen können 41.

Eine Gruppe von Volksrechten sondert vom Frauenraube eine
verwandte Missethat, die man als Entführung im germanischen Sinne
bezeichnet 42. Sie verhält sich zum Frauenraube etwa so, wie das dieb-
liche Behalten eines zugelaufenen Tieres zum Viehdiebstahl. Jene
Missethat liegt vor, wenn ein Freier ein Weib, das sich ohne den
Willen der Ihrigen zu ihm begiebt, aufnimmt und behält, um sich
mit ihr zu verbinden. Dagegen verlangt der Frauenraub ein Weg-
nehmen des Weibes aus der Obhut der Ihrigen. Nach burgundischem
Rechte steht auf rechtswidriges Behalten der dreifache Muntschatz 43,
nach langobardischem eine Busse von 40 Solidi 44.

§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.

Wilda, Strafrecht S. 775. 785. 959 ff. Grimm, RA S. 643 ff. Geib, Straf-
recht I 185. Köstlin, Die Ehrenverletzung nach deutschem Rechte Z. f. DR XV
151. 364. Rich. Loening, Vertragsbruch S. 570 f. Günther, Wiedervergeltung
I 141. 190. Osenbrüggen, Strafrecht der Langobarden S. 76. Derselbe,
Alamannisches Strafrecht S. 243. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 563.
Brandt, Forelaesninger II 88. Stemann, Den danske Retshistorie S. 686.

Soweit die Kränkung der Ehre 1 als selbständige Missethat bestraft
wird und nicht in anderen Delikten aufgeht, kann sie sowohl durch
Worte als auch durch Werke geschehen 2. Die Verletzung der Ehre
durch schimpfliches Wort, convicium, improperium, verbum iniuriosum,
ahd. sceltwort, alts. bismerspraca, ags. bismerword, das nachmals bei
den Alamannen sogen. Beschalken wird im Althochdeutschen wohl auch
schlechtweg als scelta, sceltunga, sceltat bezeichnet. Doch schliesst
das Wort Schelte, welches seit dem Vorgange Grimms und Wildas
dafür gebraucht wird, auch Fälle falscher Anklage in sich.


41 Lex Sax. 49. Ist die Braut in Begleitung ihrer Mutter geraubt worden,
so erhält auch diese dreihundert Solidi. -- Roth. 191. Vgl. meine Anzeige von
Sohm, Trauung und Verlobung, in der Jenaer Litteraturzeitung 1876, Art. 439.
42 Wilda, Strafrecht S. 845. Begründete Bedenken erhebt gegen diesen
Ausdruck Osenbrüggen a. O. S. 112.
43 Lex Burg. 12, 4: si vero puella sua sponte expetierit virum et ad domum
illius venerit et ille se cum illa miscuerit, nuptiale pretium in triplum dissolvat.
44 Roth. 188. 190. 214.
1 Ahd. bismer, ags. bismer, bismor, bismrung (Wright und Wülcker I 201,
38), ahd. bismeron, ags. bismerian, bysmrian zu Schmeer, schmieren.
2 Bismerian mid worde odde mid weorce, beschmieren mit Worten oder
mit Werken in Schmid, Ges. der Ags. Anhang II 29.

§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.
den dieser von dem Vormunde wegen Nichterfüllung des Verlöbnis-
vertrages hätte beanspruchen können 41.

Eine Gruppe von Volksrechten sondert vom Frauenraube eine
verwandte Missethat, die man als Entführung im germanischen Sinne
bezeichnet 42. Sie verhält sich zum Frauenraube etwa so, wie das dieb-
liche Behalten eines zugelaufenen Tieres zum Viehdiebstahl. Jene
Missethat liegt vor, wenn ein Freier ein Weib, das sich ohne den
Willen der Ihrigen zu ihm begiebt, aufnimmt und behält, um sich
mit ihr zu verbinden. Dagegen verlangt der Frauenraub ein Weg-
nehmen des Weibes aus der Obhut der Ihrigen. Nach burgundischem
Rechte steht auf rechtswidriges Behalten der dreifache Muntschatz 43,
nach langobardischem eine Buſse von 40 Solidi 44.

§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.

Wilda, Strafrecht S. 775. 785. 959 ff. Grimm, RA S. 643 ff. Geib, Straf-
recht I 185. Köstlin, Die Ehrenverletzung nach deutschem Rechte Z. f. DR XV
151. 364. Rich. Loening, Vertragsbruch S. 570 f. Günther, Wiedervergeltung
I 141. 190. Osenbrüggen, Strafrecht der Langobarden S. 76. Derselbe,
Alamannisches Strafrecht S. 243. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 563.
Brandt, Forelæsninger II 88. Stemann, Den danske Retshistorie S. 686.

Soweit die Kränkung der Ehre 1 als selbständige Missethat bestraft
wird und nicht in anderen Delikten aufgeht, kann sie sowohl durch
Worte als auch durch Werke geschehen 2. Die Verletzung der Ehre
durch schimpfliches Wort, convicium, improperium, verbum iniuriosum,
ahd. sceltwort, alts. bismersprâca, ags. bismerword, das nachmals bei
den Alamannen sogen. Beschalken wird im Althochdeutschen wohl auch
schlechtweg als scelta, sceltunga, sceltât bezeichnet. Doch schlieſst
das Wort Schelte, welches seit dem Vorgange Grimms und Wildas
dafür gebraucht wird, auch Fälle falscher Anklage in sich.


41 Lex Sax. 49. Ist die Braut in Begleitung ihrer Mutter geraubt worden,
so erhält auch diese dreihundert Solidi. — Roth. 191. Vgl. meine Anzeige von
Sohm, Trauung und Verlobung, in der Jenaer Litteraturzeitung 1876, Art. 439.
42 Wilda, Strafrecht S. 845. Begründete Bedenken erhebt gegen diesen
Ausdruck Osenbrüggen a. O. S. 112.
43 Lex Burg. 12, 4: si vero puella sua sponte expetierit virum et ad domum
illius venerit et ille se cum illa miscuerit, nuptiale pretium in triplum dissolvat.
44 Roth. 188. 190. 214.
1 Ahd. bismer, ags. bismer, bismor, bismrung (Wright und Wülcker I 201,
38), ahd. bismerôn, ags. bismerian, bysmrian zu Schmeer, schmieren.
2 Bismerian mid worde ođđe mid weorce, beschmieren mit Worten oder
mit Werken in Schmid, Ges. der Ags. Anhang II 29.
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[671/0689] § 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage. den dieser von dem Vormunde wegen Nichterfüllung des Verlöbnis- vertrages hätte beanspruchen können 41. Eine Gruppe von Volksrechten sondert vom Frauenraube eine verwandte Missethat, die man als Entführung im germanischen Sinne bezeichnet 42. Sie verhält sich zum Frauenraube etwa so, wie das dieb- liche Behalten eines zugelaufenen Tieres zum Viehdiebstahl. Jene Missethat liegt vor, wenn ein Freier ein Weib, das sich ohne den Willen der Ihrigen zu ihm begiebt, aufnimmt und behält, um sich mit ihr zu verbinden. Dagegen verlangt der Frauenraub ein Weg- nehmen des Weibes aus der Obhut der Ihrigen. Nach burgundischem Rechte steht auf rechtswidriges Behalten der dreifache Muntschatz 43, nach langobardischem eine Buſse von 40 Solidi 44. § 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage. Wilda, Strafrecht S. 775. 785. 959 ff. Grimm, RA S. 643 ff. Geib, Straf- recht I 185. Köstlin, Die Ehrenverletzung nach deutschem Rechte Z. f. DR XV 151. 364. Rich. Loening, Vertragsbruch S. 570 f. Günther, Wiedervergeltung I 141. 190. Osenbrüggen, Strafrecht der Langobarden S. 76. Derselbe, Alamannisches Strafrecht S. 243. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 563. Brandt, Forelæsninger II 88. Stemann, Den danske Retshistorie S. 686. Soweit die Kränkung der Ehre 1 als selbständige Missethat bestraft wird und nicht in anderen Delikten aufgeht, kann sie sowohl durch Worte als auch durch Werke geschehen 2. Die Verletzung der Ehre durch schimpfliches Wort, convicium, improperium, verbum iniuriosum, ahd. sceltwort, alts. bismersprâca, ags. bismerword, das nachmals bei den Alamannen sogen. Beschalken wird im Althochdeutschen wohl auch schlechtweg als scelta, sceltunga, sceltât bezeichnet. Doch schlieſst das Wort Schelte, welches seit dem Vorgange Grimms und Wildas dafür gebraucht wird, auch Fälle falscher Anklage in sich. 41 Lex Sax. 49. Ist die Braut in Begleitung ihrer Mutter geraubt worden, so erhält auch diese dreihundert Solidi. — Roth. 191. Vgl. meine Anzeige von Sohm, Trauung und Verlobung, in der Jenaer Litteraturzeitung 1876, Art. 439. 42 Wilda, Strafrecht S. 845. Begründete Bedenken erhebt gegen diesen Ausdruck Osenbrüggen a. O. S. 112. 43 Lex Burg. 12, 4: si vero puella sua sponte expetierit virum et ad domum illius venerit et ille se cum illa miscuerit, nuptiale pretium in triplum dissolvat. 44 Roth. 188. 190. 214. 1 Ahd. bismer, ags. bismer, bismor, bismrung (Wright und Wülcker I 201, 38), ahd. bismerôn, ags. bismerian, bysmrian zu Schmeer, schmieren. 2 Bismerian mid worde ođđe mid weorce, beschmieren mit Worten oder mit Werken in Schmid, Ges. der Ags. Anhang II 29.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/689>, abgerufen am 29.03.2024.