Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Abschnitt.-- unter allgemeiner Bestürzung der Florentiner -- dem
treulosen Ferrante in Neapel abstattete, der gewiß in der
Versuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan-
genen da zu behalten 1). Denn daß man einen mächtigen
Fürsten verhaften und dann nach Ausstellung einiger Unter-
schriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig
entlassen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu
Peronne that (1468), erschien den Italienern als Thorheit 2),
so daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt
zurück erwartet wurde. Es ist in dieser Zeit zumal von
venezianischen Gesandten eine Kunst der politischen Ueber-
redung aufgewandt worden, von welcher man diesseits der
Alpen erst durch die Italiener einen Begriff bekam, und
welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur-
theilt werden darf, denn diese gehören der humanistischen
Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte
es im diplomatischen Verkehr auch nicht 3), trotz aller sonst
sehr entwickelten Etikette. Fast rührend aber erscheint uns
ein Geist wie Macchiavell in seinen "Legazioni". Mangel-
haft instruirt, kümmerlich ausgestattet, als untergeordneter
Agent behandelt, verliert er niemals seinen freien, hohen
Beobachtungsgeist und seine Lust des anschaulichen Berich-
tens. -- Von dem Studium des Menschen, als Volk wie
als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält-
nisse bei diesen Italienern Hand in Hand ging, wird in
einem besondern Abschnitte die Rede sein.

Der Krieg als
Kunstwerk.
Auf welche Weise auch der Krieg den Character eines

1) Nic. Valori, vita di Lorenzo. -- Paul. Jovius, vita Leonis X,
L. I.
letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik.
2) Wenn Comines bei diesem und hundert andern Anlässen so objectiv
beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, so ist dabei sein
italienischer Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß sehr in Be-
tracht zu ziehen
3) Vgl. z. B. Malipiero, a. a. O. p. 216. 221. 236. 237. 478, etc.

1. Abſchnitt.— unter allgemeiner Beſtürzung der Florentiner — dem
treuloſen Ferrante in Neapel abſtattete, der gewiß in der
Verſuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan-
genen da zu behalten 1). Denn daß man einen mächtigen
Fürſten verhaften und dann nach Ausſtellung einiger Unter-
ſchriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig
entlaſſen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu
Péronne that (1468), erſchien den Italienern als Thorheit 2),
ſo daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt
zurück erwartet wurde. Es iſt in dieſer Zeit zumal von
venezianiſchen Geſandten eine Kunſt der politiſchen Ueber-
redung aufgewandt worden, von welcher man dieſſeits der
Alpen erſt durch die Italiener einen Begriff bekam, und
welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur-
theilt werden darf, denn dieſe gehören der humaniſtiſchen
Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte
es im diplomatiſchen Verkehr auch nicht 3), trotz aller ſonſt
ſehr entwickelten Etikette. Faſt rührend aber erſcheint uns
ein Geiſt wie Macchiavell in ſeinen „Legazioni“. Mangel-
haft inſtruirt, kümmerlich ausgeſtattet, als untergeordneter
Agent behandelt, verliert er niemals ſeinen freien, hohen
Beobachtungsgeiſt und ſeine Luſt des anſchaulichen Berich-
tens. — Von dem Studium des Menſchen, als Volk wie
als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält-
niſſe bei dieſen Italienern Hand in Hand ging, wird in
einem beſondern Abſchnitte die Rede ſein.

Der Krieg als
Kunſtwerk.
Auf welche Weiſe auch der Krieg den Character eines

1) Nic. Valori, vita di Lorenzo. — Paul. Jovius, vita Leonis X,
L. I.
letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik.
2) Wenn Comines bei dieſem und hundert andern Anläſſen ſo objectiv
beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, ſo iſt dabei ſein
italieniſcher Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß ſehr in Be-
tracht zu ziehen
3) Vgl. z. B. Malipiero, a. a. O. p. 216. 221. 236. 237. 478, etc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="98"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">1. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>&#x2014; unter allgemeiner Be&#x017F;türzung der Florentiner &#x2014; dem<lb/>
treulo&#x017F;en Ferrante in Neapel ab&#x017F;tattete, der gewiß in der<lb/>
Ver&#x017F;uchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan-<lb/>
genen da zu behalten <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Nic. Valori, vita di Lorenzo. &#x2014; Paul. Jovius, vita Leonis X,<lb/>
L. I.</hi> letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik.</note>. Denn daß man einen mächtigen<lb/>
Für&#x017F;ten verhaften und dann nach Aus&#x017F;tellung einiger Unter-<lb/>
&#x017F;chriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig<lb/>
entla&#x017F;&#x017F;en könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig <hi rendition="#aq">XI.</hi> zu<lb/>
P<hi rendition="#aq">é</hi>ronne that (1468), er&#x017F;chien den Italienern als Thorheit <note place="foot" n="2)">Wenn Comines bei die&#x017F;em und hundert andern Anlä&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o objectiv<lb/>
beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, &#x017F;o i&#x017F;t dabei &#x017F;ein<lb/>
italieni&#x017F;cher Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß &#x017F;ehr in Be-<lb/>
tracht zu ziehen</note>,<lb/>
&#x017F;o daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt<lb/>
zurück erwartet wurde. Es i&#x017F;t in die&#x017F;er Zeit zumal von<lb/>
veneziani&#x017F;chen Ge&#x017F;andten eine Kun&#x017F;t der politi&#x017F;chen Ueber-<lb/>
redung aufgewandt worden, von welcher man die&#x017F;&#x017F;eits der<lb/>
Alpen er&#x017F;t durch die Italiener einen Begriff bekam, und<lb/>
welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur-<lb/>
theilt werden darf, denn die&#x017F;e gehören der humani&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte<lb/>
es im diplomati&#x017F;chen Verkehr auch nicht <note place="foot" n="3)">Vgl. z. B. <hi rendition="#aq">Malipiero,</hi> a. a. O. <hi rendition="#aq">p. 216. 221. 236. 237. 478, etc.</hi></note>, trotz aller &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehr entwickelten Etikette. Fa&#x017F;t rührend aber er&#x017F;cheint uns<lb/>
ein Gei&#x017F;t wie Macchiavell in &#x017F;einen &#x201E;Legazioni&#x201C;. Mangel-<lb/>
haft in&#x017F;truirt, kümmerlich ausge&#x017F;tattet, als untergeordneter<lb/>
Agent behandelt, verliert er niemals &#x017F;einen freien, hohen<lb/>
Beobachtungsgei&#x017F;t und &#x017F;eine Lu&#x017F;t des an&#x017F;chaulichen Berich-<lb/>
tens. &#x2014; Von dem Studium des Men&#x017F;chen, als Volk wie<lb/>
als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e bei die&#x017F;en Italienern Hand in Hand ging, wird in<lb/>
einem be&#x017F;ondern Ab&#x017F;chnitte die Rede &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p><note place="left">Der Krieg als<lb/>
Kun&#x017F;twerk.</note>Auf welche Wei&#x017F;e auch der Krieg den Character eines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0108] — unter allgemeiner Beſtürzung der Florentiner — dem treuloſen Ferrante in Neapel abſtattete, der gewiß in der Verſuchung und nicht zu gut dazu war, ihn als Gefan- genen da zu behalten 1). Denn daß man einen mächtigen Fürſten verhaften und dann nach Ausſtellung einiger Unter- ſchriften und andern tiefen Kränkungen wieder lebendig entlaſſen könne, wie Carl der Kühne mit Ludwig XI. zu Péronne that (1468), erſchien den Italienern als Thorheit 2), ſo daß Lorenzo entweder gar nicht mehr oder ruhmbedeckt zurück erwartet wurde. Es iſt in dieſer Zeit zumal von venezianiſchen Geſandten eine Kunſt der politiſchen Ueber- redung aufgewandt worden, von welcher man dieſſeits der Alpen erſt durch die Italiener einen Begriff bekam, und welche ja nicht nach den officiellen Empfangsreden beur- theilt werden darf, denn dieſe gehören der humaniſtiſchen Schulrhetorik an. An Derbheiten und Naivetäten fehlte es im diplomatiſchen Verkehr auch nicht 3), trotz aller ſonſt ſehr entwickelten Etikette. Faſt rührend aber erſcheint uns ein Geiſt wie Macchiavell in ſeinen „Legazioni“. Mangel- haft inſtruirt, kümmerlich ausgeſtattet, als untergeordneter Agent behandelt, verliert er niemals ſeinen freien, hohen Beobachtungsgeiſt und ſeine Luſt des anſchaulichen Berich- tens. — Von dem Studium des Menſchen, als Volk wie als Individuum, welches mit dem Studium der Verhält- niſſe bei dieſen Italienern Hand in Hand ging, wird in einem beſondern Abſchnitte die Rede ſein. 1. Abſchnitt. Auf welche Weiſe auch der Krieg den Character eines Der Krieg als Kunſtwerk. 1) Nic. Valori, vita di Lorenzo. — Paul. Jovius, vita Leonis X, L. I. letzterer gewiß nach guten Quellen, obwohl nicht ohne Rhetorik. 2) Wenn Comines bei dieſem und hundert andern Anläſſen ſo objectiv beobachtet und urtheilt als irgend ein Italiener, ſo iſt dabei ſein italieniſcher Umgang, zumal mit Angelo Catto, gewiß ſehr in Be- tracht zu ziehen 3) Vgl. z. B. Malipiero, a. a. O. p. 216. 221. 236. 237. 478, etc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/108
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/108>, abgerufen am 20.04.2024.