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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Kunstwerkes annahm, soll hier nur mit einigen Worten1. Abschnitt.
angedeutet werden. Im abendländischen Mittelalter war
die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchst vollendete
innerhalb des herrschenden Systemes von Wehr und Waffen,
auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be-
festigungs- und Belagerungskunst, allein Strategie sowohl
als Tactik wurden in ihrer Entwicklung gestört durch die
vielen sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Kriegs-
pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B.
Angesichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte
und mit seinem bloßen Ungestüm gerade die wichtigsten
Schlachten, wie die von Crecy und Maupertuis, verdarb.
Bei den Italienern dagegen herrschte am frühsten das in
solchen Dingen anders geartete Söldnerwesen vor, und auch
die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerseits dazuFeuerwaffen.
bei, den Krieg gleichsam zu democratisiren, nicht nur weil
die festesten Burgen vor den Bombarden erzitterten, sondern
weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geschicklichkeit
des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleristen in den Vor-
dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz,
daß die Geltung des Individuums, -- die Seele der kleinen,
trefflich ausgebildeten italienischen Söldnerheere -- durch
jene von ferne her wirkenden Zerstörungsmittel beeinträch-
tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche sich
wenigstens gegen das unlängst in Deutschland erfundene 1)
Handrohr aus Kräften verwahrten; so ließ Paolo Vitelli 2)
den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus-
stechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen
als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und
Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte

1) Pii II, Commentarii L. IV. p. 190 ad a. 1459.
2) Paul. Jovius, elogia. Man wird an Federigo von Urbino erin-
innert, "welcher sich geschämt hätte", in seiner Bibliothek ein ge-
drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent.
7*

Kunſtwerkes annahm, ſoll hier nur mit einigen Worten1. Abſchnitt.
angedeutet werden. Im abendländiſchen Mittelalter war
die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchſt vollendete
innerhalb des herrſchenden Syſtemes von Wehr und Waffen,
auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be-
feſtigungs- und Belagerungskunſt, allein Strategie ſowohl
als Tactik wurden in ihrer Entwicklung geſtört durch die
vielen ſachlichen und zeitlichen Beſchränkungen der Kriegs-
pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B.
Angeſichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte
und mit ſeinem bloßen Ungeſtüm gerade die wichtigſten
Schlachten, wie die von Crécy und Maupertuis, verdarb.
Bei den Italienern dagegen herrſchte am frühſten das in
ſolchen Dingen anders geartete Söldnerweſen vor, und auch
die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerſeits dazuFeuerwaffen.
bei, den Krieg gleichſam zu democratiſiren, nicht nur weil
die feſteſten Burgen vor den Bombarden erzitterten, ſondern
weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geſchicklichkeit
des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleriſten in den Vor-
dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz,
daß die Geltung des Individuums, — die Seele der kleinen,
trefflich ausgebildeten italieniſchen Söldnerheere — durch
jene von ferne her wirkenden Zerſtörungsmittel beeinträch-
tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche ſich
wenigſtens gegen das unlängſt in Deutſchland erfundene 1)
Handrohr aus Kräften verwahrten; ſo ließ Paolo Vitelli 2)
den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus-
ſtechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen
als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und
Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte

1) Pii II, Commentarii L. IV. p. 190 ad a. 1459.
2) Paul. Jovius, elogia. Man wird an Federigo von Urbino erin-
innert, „welcher ſich geſchämt hätte“, in ſeiner Bibliothek ein ge-
drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent.
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[99/0109] Kunſtwerkes annahm, ſoll hier nur mit einigen Worten angedeutet werden. Im abendländiſchen Mittelalter war die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchſt vollendete innerhalb des herrſchenden Syſtemes von Wehr und Waffen, auch gab es gewiß jederzeit geniale Erfinder in der Be- feſtigungs- und Belagerungskunſt, allein Strategie ſowohl als Tactik wurden in ihrer Entwicklung geſtört durch die vielen ſachlichen und zeitlichen Beſchränkungen der Kriegs- pflicht, und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B. Angeſichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte und mit ſeinem bloßen Ungeſtüm gerade die wichtigſten Schlachten, wie die von Crécy und Maupertuis, verdarb. Bei den Italienern dagegen herrſchte am frühſten das in ſolchen Dingen anders geartete Söldnerweſen vor, und auch die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerſeits dazu bei, den Krieg gleichſam zu democratiſiren, nicht nur weil die feſteſten Burgen vor den Bombarden erzitterten, ſondern weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geſchicklichkeit des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleriſten in den Vor- dergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz, daß die Geltung des Individuums, — die Seele der kleinen, trefflich ausgebildeten italieniſchen Söldnerheere — durch jene von ferne her wirkenden Zerſtörungsmittel beeinträch- tigt wurde, und es gab einzelne Condottieren, welche ſich wenigſtens gegen das unlängſt in Deutſchland erfundene 1) Handrohr aus Kräften verwahrten; ſo ließ Paolo Vitelli 2) den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen aus- ſtechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im Großen und Ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte 1. Abſchnitt. Feuerwaffen. 1) Pii II, Commentarii L. IV. p. 190 ad a. 1459. 2) Paul. Jovius, elogia. Man wird an Federigo von Urbino erin- innert, „welcher ſich geſchämt hätte“, in ſeiner Bibliothek ein ge- drucktes Buch zu dulden. Vgl. Vespas. Fiorent. 7*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/109>, abgerufen am 19.04.2024.