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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall
die Bauern gegen die Licenz der Soldaten schützte, und die
Zerstörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß
er seine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran-
cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürst-
lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh-
lungen seiner Verwandten unterlagen einem gewissen Plan.
Von der Gottlosigkeit und dem wüsten Leben seiner Fach-
genossen hielt er sich ferne; die drei Lehren, womit er seinen
Francesco in die Welt sandte, lauten: rühre keines Andern
Weib an; schlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es
geschehen, schicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu-
liges Pferd und keines das gerne die Eisen verliert. Vor
Allem aber besaß er die Persönlichkeit wenn nicht eines
großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch-
tigen, allseitig geübten Körper, ein populäres Bauerngesicht,
ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle
ihre Pferde und ihre Soldverhältnisse von vielen Jahren
her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur
italienisch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der
Geschichte und ließ griechische und lateinische Autoren für
Franc. Sforza
und Giacomo
Piccinino.
seinen Gebrauch übersetzen. Francesco, sein noch ruhm-
vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer
großen Herrschaft gestrebt und das gewaltige Mailand durch
glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch
erhalten (1447--1450).

Sein Beispiel lockte. Aeneas Sylvius 1) schrieb um
diese Zeit: "in unserm veränderungslustigen Italien, wo
nichts fest steht und keine alte Herrschaft existirt, können
leicht aus Knechten Könige werden". Einer aber, der sich
selber "den Mann der Fortuna" nannte, beschäftigte damals
vor allen die Phantasie des ganzen Landes: Giacomo Pic-
cinino, der Sohn des Nicolo. Es war eine offene und

1) Aen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475.

1. Abſchnitt.Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall
die Bauern gegen die Licenz der Soldaten ſchützte, und die
Zerſtörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß
er ſeine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran-
cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürſt-
lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh-
lungen ſeiner Verwandten unterlagen einem gewiſſen Plan.
Von der Gottloſigkeit und dem wüſten Leben ſeiner Fach-
genoſſen hielt er ſich ferne; die drei Lehren, womit er ſeinen
Francesco in die Welt ſandte, lauten: rühre keines Andern
Weib an; ſchlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es
geſchehen, ſchicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu-
liges Pferd und keines das gerne die Eiſen verliert. Vor
Allem aber beſaß er die Perſönlichkeit wenn nicht eines
großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch-
tigen, allſeitig geübten Körper, ein populäres Bauerngeſicht,
ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle
ihre Pferde und ihre Soldverhältniſſe von vielen Jahren
her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur
italieniſch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der
Geſchichte und ließ griechiſche und lateiniſche Autoren für
Franc. Sforza
und Giacomo
Piccinino.
ſeinen Gebrauch überſetzen. Francesco, ſein noch ruhm-
vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer
großen Herrſchaft geſtrebt und das gewaltige Mailand durch
glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch
erhalten (1447—1450).

Sein Beiſpiel lockte. Aeneas Sylvius 1) ſchrieb um
dieſe Zeit: „in unſerm veränderungsluſtigen Italien, wo
nichts feſt ſteht und keine alte Herrſchaft exiſtirt, können
leicht aus Knechten Könige werden“. Einer aber, der ſich
ſelber „den Mann der Fortuna“ nannte, beſchäftigte damals
vor allen die Phantaſie des ganzen Landes: Giacomo Pic-
cinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und

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[24/0034] Niederlagen Credit bei den Banquiers fand; daß er überall die Bauern gegen die Licenz der Soldaten ſchützte, und die Zerſtörung eroberter Städte nicht liebte; vollends aber, daß er ſeine ausgezeichnete Concubine Lucia (die Mutter Fran- cesco's) an einen Andern verheirathete, um für einen fürſt- lichen Ehebund verfügbar zu bleiben. Auch die Vermäh- lungen ſeiner Verwandten unterlagen einem gewiſſen Plan. Von der Gottloſigkeit und dem wüſten Leben ſeiner Fach- genoſſen hielt er ſich ferne; die drei Lehren, womit er ſeinen Francesco in die Welt ſandte, lauten: rühre keines Andern Weib an; ſchlage keinen von deinen Leuten oder, wenn es geſchehen, ſchicke ihn weit fort; endlich: reite kein hartmäu- liges Pferd und keines das gerne die Eiſen verliert. Vor Allem aber beſaß er die Perſönlichkeit wenn nicht eines großen Feldherrn doch eines großen Soldaten, einen mäch- tigen, allſeitig geübten Körper, ein populäres Bauerngeſicht, ein wunderwürdiges Gedächtniß, das alle Soldaten, alle ihre Pferde und ihre Soldverhältniſſe von vielen Jahren her kannte und aufbewahrte. Seine Bildung war nur italieniſch; alle Muße aber wandte er auf Kenntniß der Geſchichte und ließ griechiſche und lateiniſche Autoren für ſeinen Gebrauch überſetzen. Francesco, ſein noch ruhm- vollerer Sohn, hat von Anfang an deutlich nach einer großen Herrſchaft geſtrebt und das gewaltige Mailand durch glänzende Heerführung und unbedenklichen Verrath auch erhalten (1447—1450). 1. Abſchnitt. Franc. Sforza und Giacomo Piccinino. Sein Beiſpiel lockte. Aeneas Sylvius 1) ſchrieb um dieſe Zeit: „in unſerm veränderungsluſtigen Italien, wo nichts feſt ſteht und keine alte Herrſchaft exiſtirt, können leicht aus Knechten Könige werden“. Einer aber, der ſich ſelber „den Mann der Fortuna“ nannte, beſchäftigte damals vor allen die Phantaſie des ganzen Landes: Giacomo Pic- cinino, der Sohn des Nicolò. Es war eine offene und 1) Aen. Sylvius: De dictis et factis Alphonsi, Opera, Fol. 475.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/34>, abgerufen am 28.03.2024.