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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.Häusern der Varani von Camerino, der Malatesta von
Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni
von Perugia. Ueber die Ereignisse im Hause der letztern
gegen Ende des XV. Jahrhunderts sind wir durch ausge-
zeichnete Geschichtsquellen -- die Chroniken des Graziani
und des Matarazzo 1) -- besonders anschaulich unterrichtet.

Die Baglionen
von Perugia.
Die Baglionen waren eines von jenen Häusern, deren
Herrschaft sich nicht zu einem förmlichen Fürstenthum durch-
gebildet hatte, sondern mehr nur in einem städtischen Primat
bestand und auf großem Familienreichthum und thatsäch-
lichem Einfluß auf die Aemterbesetzung beruhte. Innerhalb
der Familie wurde Einer als Gesammtoberhaupt anerkannt;
doch herrschte tiefer verborgener Haß zwischen den Mit-
gliedern der verschiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt
sich eine gegnerische Adelspartei unter Anführung der Fa-
milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle
Häuser der Großen waren voller Bravi; täglich gab es
Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten
deutschen Studenten stellten sich zwei Collegien in Waffen
gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten sich die Bravi
verschiedener Häuser Schlachten auf offener Piazza. Ver-
gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpst-
lichen Governatoren und Nepoten schwiegen oder machten
Bertreibung
der Oddi.
sich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia
verlassen und nun wird die Stadt eine belagerte Feste
unter der vollendeten Gewaltherrschaft der Baglionen, wel-
chen auch der Dom als Caserne dienen muß. Complotten
und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach-
dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zusammenge-
hauen und am Staatspalast gehenkt, wurden auf der Piazza
35 Altäre errichtet und drei Tage lang Messen gelesen und
Processionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg-
zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen

1) Archiv. stor. VXI, Parte I. et II.

1. Abſchnitt.Häuſern der Varani von Camerino, der Malateſta von
Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni
von Perugia. Ueber die Ereigniſſe im Hauſe der letztern
gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſind wir durch ausge-
zeichnete Geſchichtsquellen — die Chroniken des Graziani
und des Matarazzo 1) — beſonders anſchaulich unterrichtet.

Die Baglionen
von Perugia.
Die Baglionen waren eines von jenen Häuſern, deren
Herrſchaft ſich nicht zu einem förmlichen Fürſtenthum durch-
gebildet hatte, ſondern mehr nur in einem ſtädtiſchen Primat
beſtand und auf großem Familienreichthum und thatſäch-
lichem Einfluß auf die Aemterbeſetzung beruhte. Innerhalb
der Familie wurde Einer als Geſammtoberhaupt anerkannt;
doch herrſchte tiefer verborgener Haß zwiſchen den Mit-
gliedern der verſchiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt
ſich eine gegneriſche Adelspartei unter Anführung der Fa-
milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle
Häuſer der Großen waren voller Bravi; täglich gab es
Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten
deutſchen Studenten ſtellten ſich zwei Collegien in Waffen
gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten ſich die Bravi
verſchiedener Häuſer Schlachten auf offener Piazza. Ver-
gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpſt-
lichen Governatoren und Nepoten ſchwiegen oder machten
Bertreibung
der Oddi.
ſich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia
verlaſſen und nun wird die Stadt eine belagerte Feſte
unter der vollendeten Gewaltherrſchaft der Baglionen, wel-
chen auch der Dom als Caſerne dienen muß. Complotten
und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach-
dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zuſammenge-
hauen und am Staatspalaſt gehenkt, wurden auf der Piazza
35 Altäre errichtet und drei Tage lang Meſſen geleſen und
Proceſſionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg-
zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen

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[28/0038] Häuſern der Varani von Camerino, der Malateſta von Rimini, der Manfreddi von Faenza, vor Allem der Baglioni von Perugia. Ueber die Ereigniſſe im Hauſe der letztern gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſind wir durch ausge- zeichnete Geſchichtsquellen — die Chroniken des Graziani und des Matarazzo 1) — beſonders anſchaulich unterrichtet. 1. Abſchnitt. Die Baglionen waren eines von jenen Häuſern, deren Herrſchaft ſich nicht zu einem förmlichen Fürſtenthum durch- gebildet hatte, ſondern mehr nur in einem ſtädtiſchen Primat beſtand und auf großem Familienreichthum und thatſäch- lichem Einfluß auf die Aemterbeſetzung beruhte. Innerhalb der Familie wurde Einer als Geſammtoberhaupt anerkannt; doch herrſchte tiefer verborgener Haß zwiſchen den Mit- gliedern der verſchiedenen Zweige. Ihnen gegenüber hielt ſich eine gegneriſche Adelspartei unter Anführung der Fa- milie Oddi; Alles ging (um 1487) in Waffen und alle Häuſer der Großen waren voller Bravi; täglich gab es Gewaltthaten; bei Anlaß der Beerdigung eines ermordeten deutſchen Studenten ſtellten ſich zwei Collegien in Waffen gegeneinander auf; ja bisweilen lieferten ſich die Bravi verſchiedener Häuſer Schlachten auf offener Piazza. Ver- gebens jammerten Kaufleute und Handwerker; die päpſt- lichen Governatoren und Nepoten ſchwiegen oder machten ſich bald wieder davon. Endlich müßen die Oddi Perugia verlaſſen und nun wird die Stadt eine belagerte Feſte unter der vollendeten Gewaltherrſchaft der Baglionen, wel- chen auch der Dom als Caſerne dienen muß. Complotten und Ueberfällen wird mit furchtbarer Rache begegnet; nach- dem man (im J. 1491) 130 Eingedrungene zuſammenge- hauen und am Staatspalaſt gehenkt, wurden auf der Piazza 35 Altäre errichtet und drei Tage lang Meſſen geleſen und Proceſſionen gehalten um den Fluch von der Stätte weg- zunehmen. Ein Nepot Innocenz VIII. wurde am hellen Die Baglionen von Perugia. Bertreibung der Oddi. 1) Archiv. stor. VXI, Parte I. et II.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/38>, abgerufen am 28.03.2024.