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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.spielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging
beständig auf die höchste Leutseligkeit und Zugänglichkeit;
er besuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkstatt,
gab beständig Audienzen, und erledigte die Anliegen der
Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder,
daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder-
knieten und sagten: Dio ti mantenga, Signore! Die
Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1) --
Guidobaldo.Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenschaften von Krank-
heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508)
seinen Staat in sichere Hände, an seinen Neffen Francesco
Maria, zugleich Nepoten des Papstes Julius II. übergeben
können, und dieser wiederum das Land wenigstens vor
dauernder Fremdherrschaft geborgen. Merkwürdig ist die
Sicherheit, mit welcher diese Fürsten, Guidobaldo vor Ce-
sare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X.
unterducken und fliehen; sie haben das Bewußtsein, daß
ihre Rückkehr um so leichter und erwünschter sein werde,
je weniger das Land durch fruchtlose Vertheidigung gelitten
hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls so rechnete, so vergaß
er die vielen andern Gründe des Hasses die ihm entgegen-
wirkten. -- Guidobaldo's Hof ist als hohe Schule der
feinsten Geselligkeit durch Baldassar Castiglione unsterblich
gemacht worden, der seine Ecloge Tirsi (1506) vor jenen
Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und später (1518) die
Gespräche seines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten
Herzogin (Glisabetta Gonzaga) verlegte.

Die Este in
Ferrara.
Hausgräuel.
Die Regierung der Este in Ferrara, Modena und
Reggio hält zwischen Gewaltsamkeit und Popularität eine
merkwürdige Mitte. 2) Im Innern des Palastes gehen ent-

1) Castiglione, Cortigiano, L. I.
2) Das Folgende bes. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX.
und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV.

1. Abſchnitt.ſpielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging
beſtändig auf die höchſte Leutſeligkeit und Zugänglichkeit;
er beſuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkſtatt,
gab beſtändig Audienzen, und erledigte die Anliegen der
Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder,
daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder-
knieten und ſagten: Dio ti mantenga, Signore! Die
Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1)
Guidobaldo.Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenſchaften von Krank-
heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508)
ſeinen Staat in ſichere Hände, an ſeinen Neffen Francesco
Maria, zugleich Nepoten des Papſtes Julius II. übergeben
können, und dieſer wiederum das Land wenigſtens vor
dauernder Fremdherrſchaft geborgen. Merkwürdig iſt die
Sicherheit, mit welcher dieſe Fürſten, Guidobaldo vor Ce-
ſare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X.
unterducken und fliehen; ſie haben das Bewußtſein, daß
ihre Rückkehr um ſo leichter und erwünſchter ſein werde,
je weniger das Land durch fruchtloſe Vertheidigung gelitten
hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls ſo rechnete, ſo vergaß
er die vielen andern Gründe des Haſſes die ihm entgegen-
wirkten. — Guidobaldo's Hof iſt als hohe Schule der
feinſten Geſelligkeit durch Baldaſſar Caſtiglione unſterblich
gemacht worden, der ſeine Ecloge Tirſi (1506) vor jenen
Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und ſpäter (1518) die
Geſpräche ſeines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten
Herzogin (Gliſabetta Gonzaga) verlegte.

Die Eſte in
Ferrara.
Hausgräuel.
Die Regierung der Eſte in Ferrara, Modena und
Reggio hält zwiſchen Gewaltſamkeit und Popularität eine
merkwürdige Mitte. 2) Im Innern des Palaſtes gehen ent-

1) Castiglione, Cortigiano, L. I.
2) Das Folgende beſ. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX.
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[46/0056] ſpielen vollkommen bewegen lernten. Sein Streben ging beſtändig auf die höchſte Leutſeligkeit und Zugänglichkeit; er beſuchte die welche für ihn arbeiteten, in der Werkſtatt, gab beſtändig Audienzen, und erledigte die Anliegen der Einzelnen womöglich am gleichen Tage. Kein Wunder, daß die Leute, wenn er durch die Straßen ging, nieder- knieten und ſagten: Dio ti mantenga, Signore! Die Denkenden aber nannten ihn das Licht Italiens. 1) — Sein Sohn Guidobaldo, bei hohen Eigenſchaften von Krank- heit und Unglück aller Art verfolgt, hat doch zuletzt (1508) ſeinen Staat in ſichere Hände, an ſeinen Neffen Francesco Maria, zugleich Nepoten des Papſtes Julius II. übergeben können, und dieſer wiederum das Land wenigſtens vor dauernder Fremdherrſchaft geborgen. Merkwürdig iſt die Sicherheit, mit welcher dieſe Fürſten, Guidobaldo vor Ce- ſare Borgia, Francesco Maria vor den Truppen Leo's X. unterducken und fliehen; ſie haben das Bewußtſein, daß ihre Rückkehr um ſo leichter und erwünſchter ſein werde, je weniger das Land durch fruchtloſe Vertheidigung gelitten hat. Wenn Lodovico Moro ebenfalls ſo rechnete, ſo vergaß er die vielen andern Gründe des Haſſes die ihm entgegen- wirkten. — Guidobaldo's Hof iſt als hohe Schule der feinſten Geſelligkeit durch Baldaſſar Caſtiglione unſterblich gemacht worden, der ſeine Ecloge Tirſi (1506) vor jenen Leuten zu ihrem Lobe aufführte, und ſpäter (1518) die Geſpräche ſeines Cortigiano in den Kreis der hochgebildeten Herzogin (Gliſabetta Gonzaga) verlegte. 1. Abſchnitt. Guidobaldo. Die Regierung der Eſte in Ferrara, Modena und Reggio hält zwiſchen Gewaltſamkeit und Popularität eine merkwürdige Mitte. 2) Im Innern des Palaſtes gehen ent- Die Eſte in Ferrara. Hausgräuel. 1) Castiglione, Cortigiano, L. I. 2) Das Folgende beſ. nach den Annales Estenses bei Muratori, XX. und dem Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/56>, abgerufen am 19.04.2024.