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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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setzliche Dinge vor; eine Fürstin wird wegen vorgeblichen1. Abschnitt.
Ehebruches mit einem Stiefsohn enthauptet (1425); eheliche
und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in
der Fremde durch nachgesandte Mörder bedroht (letzteres
1471); dazu beständige Complotte von außen; der Bastard
eines Bastardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.)
die Herrschaft entreißen; später (1493) soll der letztere seine
Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß sie ihn
vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders
Ferrante von Neapel. Den Schluß dieser Tragödien macht
das Complott zweier Bastarde gegen ihre Brüder, den re-
gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506)
welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker
gebüßt wurde. -- Ferner ist die Fiscalität in diesem StaateFiscalität.
höchst ausgebildet und muß es sein schon weil er der be-
drohteste unter allen großen und mittlern Staaten von
Italien ist und der Rüstungen und Befestigungen in hohem
Grade bedarf. Allerdings sollte in gleichem Maße mit der
Steuerkraft auch der natürliche Wohlstand des Landes ge-
steigert werden, und Marchese Nicolo (st. 1441) wünschte
ausdrücklich, daß seine Unterthanen reicher würden als an-
dere Völker. Wenn die rasch wachsende Bevölkerung einen
Beleg für den wirklich erreichten Wohlstand abgiebt, so ist
es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der
außerordentlich erweiterten Hauptstadt keine Häuser mehr
zu vermiethen waren. 1) Ferrara ist die erste moderne Stadt
Europa's; hier zuerst entstanden auf den Wink der Fürsten
so große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier sammelte
sich durch Concentration der Beamtenschaft und künstlich
herbeigezogene Industrie ein Residenzvolk; reiche Flüchtlinge
aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt,
sich hier anzusiedeln und Paläste zu bauen. Allein die in-
directe Besteuerung wenigstens muß einen eben nur noch

1) Diario Ferr. l. c. Col. 347.

ſetzliche Dinge vor; eine Fürſtin wird wegen vorgeblichen1. Abſchnitt.
Ehebruches mit einem Stiefſohn enthauptet (1425); eheliche
und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in
der Fremde durch nachgeſandte Mörder bedroht (letzteres
1471); dazu beſtändige Complotte von außen; der Baſtard
eines Baſtardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.)
die Herrſchaft entreißen; ſpäter (1493) ſoll der letztere ſeine
Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß ſie ihn
vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders
Ferrante von Neapel. Den Schluß dieſer Tragödien macht
das Complott zweier Baſtarde gegen ihre Brüder, den re-
gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506)
welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker
gebüßt wurde. — Ferner iſt die Fiscalität in dieſem StaateFiscalität.
höchſt ausgebildet und muß es ſein ſchon weil er der be-
drohteſte unter allen großen und mittlern Staaten von
Italien iſt und der Rüſtungen und Befeſtigungen in hohem
Grade bedarf. Allerdings ſollte in gleichem Maße mit der
Steuerkraft auch der natürliche Wohlſtand des Landes ge-
ſteigert werden, und Marcheſe Nicolò (ſt. 1441) wünſchte
ausdrücklich, daß ſeine Unterthanen reicher würden als an-
dere Völker. Wenn die raſch wachſende Bevölkerung einen
Beleg für den wirklich erreichten Wohlſtand abgiebt, ſo iſt
es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der
außerordentlich erweiterten Hauptſtadt keine Häuſer mehr
zu vermiethen waren. 1) Ferrara iſt die erſte moderne Stadt
Europa's; hier zuerſt entſtanden auf den Wink der Fürſten
ſo große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier ſammelte
ſich durch Concentration der Beamtenſchaft und künſtlich
herbeigezogene Induſtrie ein Reſidenzvolk; reiche Flüchtlinge
aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt,
ſich hier anzuſiedeln und Paläſte zu bauen. Allein die in-
directe Beſteuerung wenigſtens muß einen eben nur noch

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[47/0057] ſetzliche Dinge vor; eine Fürſtin wird wegen vorgeblichen Ehebruches mit einem Stiefſohn enthauptet (1425); eheliche und uneheliche Prinzen fliehen vom Hof und werden auch in der Fremde durch nachgeſandte Mörder bedroht (letzteres 1471); dazu beſtändige Complotte von außen; der Baſtard eines Baſtardes will dem einzig rechtmäßigen Erben (Ercole I.) die Herrſchaft entreißen; ſpäter (1493) ſoll der letztere ſeine Gemahlin vergiftet haben nachdem er erkundet, daß ſie ihn vergiften wollte, und zwar im Auftrag ihres Bruders Ferrante von Neapel. Den Schluß dieſer Tragödien macht das Complott zweier Baſtarde gegen ihre Brüder, den re- gierenden Herzog Alfons I. und den Cardinal Ippolito (1506) welches bei Zeiten entdeckt und mit lebenslänglichem Kerker gebüßt wurde. — Ferner iſt die Fiscalität in dieſem Staate höchſt ausgebildet und muß es ſein ſchon weil er der be- drohteſte unter allen großen und mittlern Staaten von Italien iſt und der Rüſtungen und Befeſtigungen in hohem Grade bedarf. Allerdings ſollte in gleichem Maße mit der Steuerkraft auch der natürliche Wohlſtand des Landes ge- ſteigert werden, und Marcheſe Nicolò (ſt. 1441) wünſchte ausdrücklich, daß ſeine Unterthanen reicher würden als an- dere Völker. Wenn die raſch wachſende Bevölkerung einen Beleg für den wirklich erreichten Wohlſtand abgiebt, ſo iſt es in der That ein wichtiges Factum, daß (1497) in der außerordentlich erweiterten Hauptſtadt keine Häuſer mehr zu vermiethen waren. 1) Ferrara iſt die erſte moderne Stadt Europa's; hier zuerſt entſtanden auf den Wink der Fürſten ſo große, regelmäßig angelegte Quartiere; hier ſammelte ſich durch Concentration der Beamtenſchaft und künſtlich herbeigezogene Induſtrie ein Reſidenzvolk; reiche Flüchtlinge aus ganz Italien, zumal Florentiner, wurden veranlaßt, ſich hier anzuſiedeln und Paläſte zu bauen. Allein die in- directe Beſteuerung wenigſtens muß einen eben nur noch 1. Abſchnitt. Fiscalität. 1) Diario Ferr. l. c. Col. 347.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/57>, abgerufen am 19.04.2024.