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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.Als Lorenzino Medici den Herzog Alessandro (1537) um-
gebracht und sich geflüchtet hatte, erschien eine wahrscheinlich
echte, mindestens in seinem Auftrag verfaßte Apologie 1)
der That, worin er den Tyrannenmord an sich als das
verdienstlichste Werk preist; sich selbst vergleicht er, auf den
Fall daß Alessandro wirklich ein echter Medici und also
(wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt gewesen, unge-
scheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus.
Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht,
und daß selbst Michelangelo noch ganz spät Gedanken dieser
Art nachgehangen hat, darf man wohl aus seiner Brutus-
büste (in den Uffizien) schließen. Er ließ sie unvollendet
wie fast alle seine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der
Mord Cäsar's zu schwer auf das Herz gefallen, wie das
darunter angebrachte Distichon meint.

Das Volk u. die
Verschwörer.
Einen Massenradicalismus, wie er sich gegenüber den
neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürsten-
staaten der Renaissance vergebens suchen. Jeder Einzelne pro-
testirte wohl in seinem Innern gegen das Fürstenthum, aber er
suchte viel eher sich leidlich oder vortheilhaft unter demselben
einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es
mußte schon so weit kommen wie damals in Camerino, in
Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr
regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm.
Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den
Herrn wechseln würde. Das Gestirn der Republiken war
entschieden im Sinken.


Untergang der
freien Städte.
Einst hatten die italienischen Städte in höchstem Grade
jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht.
Es bedurfte nichts weiter als daß sich diese Städte zu einer
großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien

1) Bei Roscoe, vita di Lorenzo de' Medici, vol. IV, Beilage 12.

1. Abſchnitt.Als Lorenzino Medici den Herzog Aleſſandro (1537) um-
gebracht und ſich geflüchtet hatte, erſchien eine wahrſcheinlich
echte, mindeſtens in ſeinem Auftrag verfaßte Apologie 1)
der That, worin er den Tyrannenmord an ſich als das
verdienſtlichſte Werk preiſt; ſich ſelbſt vergleicht er, auf den
Fall daß Aleſſandro wirklich ein echter Medici und alſo
(wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt geweſen, unge-
ſcheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus.
Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht,
und daß ſelbſt Michelangelo noch ganz ſpät Gedanken dieſer
Art nachgehangen hat, darf man wohl aus ſeiner Brutus-
büſte (in den Uffizien) ſchließen. Er ließ ſie unvollendet
wie faſt alle ſeine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der
Mord Cäſar's zu ſchwer auf das Herz gefallen, wie das
darunter angebrachte Diſtichon meint.

Das Volk u. die
Verſchwörer.
Einen Maſſenradicalismus, wie er ſich gegenüber den
neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürſten-
ſtaaten der Renaiſſance vergebens ſuchen. Jeder Einzelne pro-
teſtirte wohl in ſeinem Innern gegen das Fürſtenthum, aber er
ſuchte viel eher ſich leidlich oder vortheilhaft unter demſelben
einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es
mußte ſchon ſo weit kommen wie damals in Camerino, in
Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr
regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm.
Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den
Herrn wechſeln würde. Das Geſtirn der Republiken war
entſchieden im Sinken.


Untergang der
freien Städte.
Einſt hatten die italieniſchen Städte in höchſtem Grade
jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht.
Es bedurfte nichts weiter als daß ſich dieſe Städte zu einer
großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien

1) Bei Roscoe, vita di Lorenzo de' Medici, vol. IV, Beilage 12.
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[60/0070] Als Lorenzino Medici den Herzog Aleſſandro (1537) um- gebracht und ſich geflüchtet hatte, erſchien eine wahrſcheinlich echte, mindeſtens in ſeinem Auftrag verfaßte Apologie 1) der That, worin er den Tyrannenmord an ſich als das verdienſtlichſte Werk preiſt; ſich ſelbſt vergleicht er, auf den Fall daß Aleſſandro wirklich ein echter Medici und alſo (wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt geweſen, unge- ſcheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus. Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht, und daß ſelbſt Michelangelo noch ganz ſpät Gedanken dieſer Art nachgehangen hat, darf man wohl aus ſeiner Brutus- büſte (in den Uffizien) ſchließen. Er ließ ſie unvollendet wie faſt alle ſeine Werke, aber gewiß nicht weil ihm der Mord Cäſar's zu ſchwer auf das Herz gefallen, wie das darunter angebrachte Diſtichon meint. 1. Abſchnitt. Einen Maſſenradicalismus, wie er ſich gegenüber den neuern Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürſten- ſtaaten der Renaiſſance vergebens ſuchen. Jeder Einzelne pro- teſtirte wohl in ſeinem Innern gegen das Fürſtenthum, aber er ſuchte viel eher ſich leidlich oder vortheilhaft unter demſelben einzurichten als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es mußte ſchon ſo weit kommen wie damals in Camerino, in Fabriano, in Rimini (S. 33), bis eine Bevölkerung ihr regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm. Auch wußte man in der Regel zu gut, daß man nur den Herrn wechſeln würde. Das Geſtirn der Republiken war entſchieden im Sinken. Das Volk u. die Verſchwörer. Einſt hatten die italieniſchen Städte in höchſtem Grade jene Kraft entwickelt, welche die Stadt zum Staate macht. Es bedurfte nichts weiter als daß ſich dieſe Städte zu einer großen Föderation verbündeten; ein Gedanke, der in Italien Untergang der freien Städte. 1) Bei Roscoe, vita di Lorenzo de' Medici, vol. IV, Beilage 12.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/70>, abgerufen am 28.03.2024.