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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Bildung des Arztes.
§ 562.

Die Gesetze unsres Erkenntnißvermögens müssen genau
erforscht werden, ehe man zu irgend einer vollständigen phi-
losophischen Erkenntniß gelangen will, und daher wird die
Elementarphilosophie jenes Vermögens mit Recht Propä-
deutik jedes wissenschaftlichen Studiums genennt. Um aber
diese Gesetze genau zu befolgen, und sich derselben bey jedem
Acte des Erkenntnißvermögens hinreichend bewußt zu seyn,
dazu wird eine gewisse Uebung des Geistes erfordert: denn
nur durch Uebung werden alle unsere Kräfte theils entwickelt,
theils vervollkommt.

§ 563.

Die Methode des Studirens überhaupt, wird deshalb
auch am besten durch Uebung im Studiren erlernt. Wer
sich daher wissenschaftliche Kenntnisse irgend einer Art, wenn
sie auch nicht im geringsten Bezuge auf die Heilkunst stehen,
erworben hat, ist dadurch geschickter, die Heilkunst zu erler-
neu; und das Studiren auf Schulen ist die beste Vorberei-
tung dazu, gesetzt auch, daß die dadurch erlangten Kennt-
nisse keine unmittelbare Anwendung mehr finden. Wer hin-
gegen ein Handwerk oder eine Kunst bisher handwerksmäßig
getrieben hat, und nun die Heilkunst studiren will, erreicht
entweder nie seinen Zweck, oder wenn er noch auf den rech-
ten Weg geleitet wird, so hat er doch mit unendlich mehr
Schwierigkeiten zu kämpfen.

§ 564.

Den akademischen Unterricht sehe man für das an, was
er würklich ist, nämlich für eine bloße Anleitung zum Stu-
diren, für ein Mittel, um den rechten Weg zu Beobachtung
der Natur und zu Entdeckung der Wahrheit zu finden.


§ 565.
Bildung des Arztes.
§ 562.

Die Geſetze unſres Erkenntnißvermoͤgens muͤſſen genau
erforſcht werden, ehe man zu irgend einer vollſtaͤndigen phi-
loſophiſchen Erkenntniß gelangen will, und daher wird die
Elementarphiloſophie jenes Vermoͤgens mit Recht Propaͤ-
deutik jedes wiſſenſchaftlichen Studiums genennt. Um aber
dieſe Geſetze genau zu befolgen, und ſich derſelben bey jedem
Acte des Erkenntnißvermoͤgens hinreichend bewußt zu ſeyn,
dazu wird eine gewiſſe Uebung des Geiſtes erfordert: denn
nur durch Uebung werden alle unſere Kraͤfte theils entwickelt,
theils vervollkommt.

§ 563.

Die Methode des Studirens uͤberhaupt, wird deshalb
auch am beſten durch Uebung im Studiren erlernt. Wer
ſich daher wiſſenſchaftliche Kenntniſſe irgend einer Art, wenn
ſie auch nicht im geringſten Bezuge auf die Heilkunſt ſtehen,
erworben hat, iſt dadurch geſchickter, die Heilkunſt zu erler-
neu; und das Studiren auf Schulen iſt die beſte Vorberei-
tung dazu, geſetzt auch, daß die dadurch erlangten Kennt-
niſſe keine unmittelbare Anwendung mehr finden. Wer hin-
gegen ein Handwerk oder eine Kunſt bisher handwerksmaͤßig
getrieben hat, und nun die Heilkunſt ſtudiren will, erreicht
entweder nie ſeinen Zweck, oder wenn er noch auf den rech-
ten Weg geleitet wird, ſo hat er doch mit unendlich mehr
Schwierigkeiten zu kaͤmpfen.

§ 564.

Den akademiſchen Unterricht ſehe man fuͤr das an, was
er wuͤrklich iſt, naͤmlich fuͤr eine bloße Anleitung zum Stu-
diren, fuͤr ein Mittel, um den rechten Weg zu Beobachtung
der Natur und zu Entdeckung der Wahrheit zu finden.


§ 565.
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[173/0191] Bildung des Arztes. § 562. Die Geſetze unſres Erkenntnißvermoͤgens muͤſſen genau erforſcht werden, ehe man zu irgend einer vollſtaͤndigen phi- loſophiſchen Erkenntniß gelangen will, und daher wird die Elementarphiloſophie jenes Vermoͤgens mit Recht Propaͤ- deutik jedes wiſſenſchaftlichen Studiums genennt. Um aber dieſe Geſetze genau zu befolgen, und ſich derſelben bey jedem Acte des Erkenntnißvermoͤgens hinreichend bewußt zu ſeyn, dazu wird eine gewiſſe Uebung des Geiſtes erfordert: denn nur durch Uebung werden alle unſere Kraͤfte theils entwickelt, theils vervollkommt. § 563. Die Methode des Studirens uͤberhaupt, wird deshalb auch am beſten durch Uebung im Studiren erlernt. Wer ſich daher wiſſenſchaftliche Kenntniſſe irgend einer Art, wenn ſie auch nicht im geringſten Bezuge auf die Heilkunſt ſtehen, erworben hat, iſt dadurch geſchickter, die Heilkunſt zu erler- neu; und das Studiren auf Schulen iſt die beſte Vorberei- tung dazu, geſetzt auch, daß die dadurch erlangten Kennt- niſſe keine unmittelbare Anwendung mehr finden. Wer hin- gegen ein Handwerk oder eine Kunſt bisher handwerksmaͤßig getrieben hat, und nun die Heilkunſt ſtudiren will, erreicht entweder nie ſeinen Zweck, oder wenn er noch auf den rech- ten Weg geleitet wird, ſo hat er doch mit unendlich mehr Schwierigkeiten zu kaͤmpfen. § 564. Den akademiſchen Unterricht ſehe man fuͤr das an, was er wuͤrklich iſt, naͤmlich fuͤr eine bloße Anleitung zum Stu- diren, fuͤr ein Mittel, um den rechten Weg zu Beobachtung der Natur und zu Entdeckung der Wahrheit zu finden. § 565.

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/191>, abgerufen am 19.04.2024.