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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Erster Theil.
§ 30.

Da nun wegen des ewigen Fortschreitens der Natur,
und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erscheinungen,
keine Kraft immer in ganz gleichen Verhältnissen sich befin-
det, mithin auch nicht gleiche Erscheinungen hervorbringen
kann, da sie im Gegentheile, vermöge des unabänderlichen
Laufes der Natur, oft durch die Umstände gegen ihren eig-
nen Zweck zu würken bestimmt wird: so erkennen wir schon
in analogischer Rücksicht die unausbleibliche Folge der
Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft
gegen ihren zeitigen Zweck.

§ 31.

Wenn wir aber sodann bedenken, daß ein Wesen in
demselben Verhältnisse mehrere Modificationen seiner Wür-
kungsart zuläßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man-
nichfaltigen Kräften versehen ist; daß ferner jede Kraft in
ihrer Würkung um desto mehr verändert werden kann, je
beträchtlicher der Kreis von Dingen ist, welche sie berühren,
und auf sie einwürken; daß endlich diese Veränderung einer
Kraft desto leichter erfolgt, je würksamer sie selbst ist, je
zarter, zusammengesetzter, feiner also auch ihre Organe
sind: so begreifen wir, daß der Mensch, als Bürger der
physischen, organischen, thierischen und geistigen Schö-
pfung, als ein System der mannichfaltigsten Kräfte, als ein
Wesen von dem ausgebreitetsten Würkungskreise und der lei-
sesten Empfänglichkeit für die verschiedenartigsten Eindrücke,
-- daß derselbe auch unter allen Geschöpfen des Erdkreises
den meisten Modificationen seiner Existenz, also auch den
meisten Krankheiten unterworfen seyn muß *); und zwar
muß die Möglichkeit dieser Veränderung in demselben
Grade wachsen, in welchem die Berührungspuncte des

Menschen
Erſter Theil.
§ 30.

Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur,
und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen,
keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin-
det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen
kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen
Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig-
nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon
in analogiſcher Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der
Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft
gegen ihren zeitigen Zweck.

§ 31.

Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in
demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr-
kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man-
nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in
ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je
betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren,
und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer
Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je
zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe
ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der
phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ-
pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein
Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei-
ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke,
— daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes
den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den
meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar
muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben
Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte des

Menſchen
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[12/0030] Erſter Theil. § 30. Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur, und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen, keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin- det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig- nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon in analogiſcher Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft gegen ihren zeitigen Zweck. § 31. Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr- kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man- nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren, und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ- pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei- ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke, — daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte des Menſchen

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/30>, abgerufen am 18.04.2024.