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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Encyklopädie der Heilkunst.
mit der Körperwelt, Seele nennt), und sucht nur seine
Würkungsgesetze und ihren Zusammenhang zu entwickeln.

§ 251.

Diese Gesetze nämlich, nach welchen die geistigen Er-
scheinungen erfolgen, und nach welchen sie verschiedne Wür-
kungen nach sich ziehen, werden dadurch entdeckt, daß der
Mensch seine einzelnen Geisteswürkungen im gesunden so-
wohl, als im kranken Zustande, unter einander vergleicht,
durch Versuche belehrt, das Wesentliche von dem Unwesent-
lichen unterscheidet, die an andern Menschen hierüber ge-
machten Beobachtungen hierzu benutzt, und die verschiede-
nen Verhältnisse aufsucht, welche ihre Modificationen be-
stimmen.

§ 252.

Sie ist also blos durch die Erfahrung gegeben, und
wird daher auch gewöhnlich die empirische Psychologie ge-
nennt. Man nennt sie auch Anthropologie, in sofern das
eigentliche Wesen des Menschen auf dem geistigen Vermö-
gen beruht, und der Körper nur das Substrat desselben
abgiebt.

§ 253.

Der Mensch darf nie bloß körperlich betrachtet werden:
denn sonst übersieht man den wichtigsten Theil seines Wesens,
und kann nur einseitige Urtheile über ihn fällen. Dadurch
wird die Psychologie eben so nöthig für die Heilkunst, als
die Physiologie.

§ 254.

Einige Krankheiten des Menschen beruhen unmittelbar
und ausschließlich auf einer unregelmäßigen Würkung seines
geistigen Vermögens. Uebrigens sind aber auch die verschie-
denen Charakter des Menschen so innig unter einander ver-

kettet,

Encyklopaͤdie der Heilkunſt.
mit der Koͤrperwelt, Seele nennt), und ſucht nur ſeine
Wuͤrkungsgeſetze und ihren Zuſammenhang zu entwickeln.

§ 251.

Dieſe Geſetze naͤmlich, nach welchen die geiſtigen Er-
ſcheinungen erfolgen, und nach welchen ſie verſchiedne Wuͤr-
kungen nach ſich ziehen, werden dadurch entdeckt, daß der
Menſch ſeine einzelnen Geiſteswuͤrkungen im geſunden ſo-
wohl, als im kranken Zuſtande, unter einander vergleicht,
durch Verſuche belehrt, das Weſentliche von dem Unweſent-
lichen unterſcheidet, die an andern Menſchen hieruͤber ge-
machten Beobachtungen hierzu benutzt, und die verſchiede-
nen Verhaͤltniſſe aufſucht, welche ihre Modificationen be-
ſtimmen.

§ 252.

Sie iſt alſo blos durch die Erfahrung gegeben, und
wird daher auch gewoͤhnlich die empiriſche Pſychologie ge-
nennt. Man nennt ſie auch Anthropologie, in ſofern das
eigentliche Weſen des Menſchen auf dem geiſtigen Vermoͤ-
gen beruht, und der Koͤrper nur das Subſtrat deſſelben
abgiebt.

§ 253.

Der Menſch darf nie bloß koͤrperlich betrachtet werden:
denn ſonſt uͤberſieht man den wichtigſten Theil ſeines Weſens,
und kann nur einſeitige Urtheile uͤber ihn faͤllen. Dadurch
wird die Pſychologie eben ſo noͤthig fuͤr die Heilkunſt, als
die Phyſiologie.

§ 254.

Einige Krankheiten des Menſchen beruhen unmittelbar
und ausſchließlich auf einer unregelmaͤßigen Wuͤrkung ſeines
geiſtigen Vermoͤgens. Uebrigens ſind aber auch die verſchie-
denen Charakter des Menſchen ſo innig unter einander ver-

kettet,
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[77/0095] Encyklopaͤdie der Heilkunſt. mit der Koͤrperwelt, Seele nennt), und ſucht nur ſeine Wuͤrkungsgeſetze und ihren Zuſammenhang zu entwickeln. § 251. Dieſe Geſetze naͤmlich, nach welchen die geiſtigen Er- ſcheinungen erfolgen, und nach welchen ſie verſchiedne Wuͤr- kungen nach ſich ziehen, werden dadurch entdeckt, daß der Menſch ſeine einzelnen Geiſteswuͤrkungen im geſunden ſo- wohl, als im kranken Zuſtande, unter einander vergleicht, durch Verſuche belehrt, das Weſentliche von dem Unweſent- lichen unterſcheidet, die an andern Menſchen hieruͤber ge- machten Beobachtungen hierzu benutzt, und die verſchiede- nen Verhaͤltniſſe aufſucht, welche ihre Modificationen be- ſtimmen. § 252. Sie iſt alſo blos durch die Erfahrung gegeben, und wird daher auch gewoͤhnlich die empiriſche Pſychologie ge- nennt. Man nennt ſie auch Anthropologie, in ſofern das eigentliche Weſen des Menſchen auf dem geiſtigen Vermoͤ- gen beruht, und der Koͤrper nur das Subſtrat deſſelben abgiebt. § 253. Der Menſch darf nie bloß koͤrperlich betrachtet werden: denn ſonſt uͤberſieht man den wichtigſten Theil ſeines Weſens, und kann nur einſeitige Urtheile uͤber ihn faͤllen. Dadurch wird die Pſychologie eben ſo noͤthig fuͤr die Heilkunſt, als die Phyſiologie. § 254. Einige Krankheiten des Menſchen beruhen unmittelbar und ausſchließlich auf einer unregelmaͤßigen Wuͤrkung ſeines geiſtigen Vermoͤgens. Uebrigens ſind aber auch die verſchie- denen Charakter des Menſchen ſo innig unter einander ver- kettet,

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/95>, abgerufen am 16.04.2024.