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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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die schon nach der Energie ihres An-sich-seins mächtiger
sind als alle andere, und diese Größe ist es auch, welche,
wenn das An-sich-sein der Seele dahinangewachsen war,
schon den Alten das höchste Resultat eines Lebens schien
und welche so vielen ihrer Productionen eine eigene nie genug
zu bewundernde Macht und Schönheit aufdrückt, wobei man
jedoch nicht vergessen darf, einmal: daß eben dieser Gleich¬
muth allerdings es auch ist, der diesen Productionen bei aller
Schönheit einen gewissen kältern Charakter aufdrückt, und
ein andermal, daß, eben weil im Alterthum jenes Urge¬
fühl der Liebe, von welchem stärkere Aufregungen der Seele
immer ausgehen werden, noch nicht wahrhaft in die Welt
eingetreten war, dort auch jener höhere Gleichmuth gleichsam
mehr angemessen und leichter zu erreichen erscheinen mußte
als in späterer und unserer Zeit. In jenem Sinne daher,
wäre etwa ein Sophokles zu denken, dem im reifsten
Alter erst die höchsten Tragödien gelingen! -- Man stelle
daneben in Gedanken den Charakter eines Göthe'schen
Tasso, wo mit so vielem Schönen und Tiefsinnigen die
höchste Gereiztheit sich verbindet, und das Bild der ver¬
schiedenen Zustände, die wir schildern wollten, wird um so
deutlicher hervortreten.

Der tiefe apathische Zustand, wo keine Beweglichkeit
des Gemüths möglich ist, weil die lebendige Bedingung zu
Erregung nach verschiedenen Richtungen fehlt, ist oftmals
geradezu durch partielles Absterben des unbewußten Lebens
und lähmende Krankheit bedingt, selten geht er vom be¬
wußten Leben aus, und nur vorhergegangene enorme Er¬
schütterungen des Gemüthlebens oder übermäßige Anstrengun¬
gen in Wirksamkeit nach Außen, bringen ihn dann hervor.

Endlich ist zu bemerken, daß, wenn überhaupt der be¬
sondere und schöne Gleichmuth nur auf der vollen Höhe
des Lebens erreicht werden kann, nämlich dann, wenn die
unruhigen Ueberfluthungen des unbewußten Lebens schon
naturgemäß sich geebnet haben, es damit ausgesprochen sei,

die ſchon nach der Energie ihres An-ſich-ſeins mächtiger
ſind als alle andere, und dieſe Größe iſt es auch, welche,
wenn das An-ſich-ſein der Seele dahinangewachſen war,
ſchon den Alten das höchſte Reſultat eines Lebens ſchien
und welche ſo vielen ihrer Productionen eine eigene nie genug
zu bewundernde Macht und Schönheit aufdrückt, wobei man
jedoch nicht vergeſſen darf, einmal: daß eben dieſer Gleich¬
muth allerdings es auch iſt, der dieſen Productionen bei aller
Schönheit einen gewiſſen kältern Charakter aufdrückt, und
ein andermal, daß, eben weil im Alterthum jenes Urge¬
fühl der Liebe, von welchem ſtärkere Aufregungen der Seele
immer ausgehen werden, noch nicht wahrhaft in die Welt
eingetreten war, dort auch jener höhere Gleichmuth gleichſam
mehr angemeſſen und leichter zu erreichen erſcheinen mußte
als in ſpäterer und unſerer Zeit. In jenem Sinne daher,
wäre etwa ein Sophokles zu denken, dem im reifſten
Alter erſt die höchſten Tragödien gelingen! — Man ſtelle
daneben in Gedanken den Charakter eines Göthe'ſchen
Taſſo, wo mit ſo vielem Schönen und Tiefſinnigen die
höchſte Gereiztheit ſich verbindet, und das Bild der ver¬
ſchiedenen Zuſtände, die wir ſchildern wollten, wird um ſo
deutlicher hervortreten.

Der tiefe apathiſche Zuſtand, wo keine Beweglichkeit
des Gemüths möglich iſt, weil die lebendige Bedingung zu
Erregung nach verſchiedenen Richtungen fehlt, iſt oftmals
geradezu durch partielles Abſterben des unbewußten Lebens
und lähmende Krankheit bedingt, ſelten geht er vom be¬
wußten Leben aus, und nur vorhergegangene enorme Er¬
ſchütterungen des Gemüthlebens oder übermäßige Anſtrengun¬
gen in Wirkſamkeit nach Außen, bringen ihn dann hervor.

Endlich iſt zu bemerken, daß, wenn überhaupt der be¬
ſondere und ſchöne Gleichmuth nur auf der vollen Höhe
des Lebens erreicht werden kann, nämlich dann, wenn die
unruhigen Ueberfluthungen des unbewußten Lebens ſchon
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[327/0343] die ſchon nach der Energie ihres An-ſich-ſeins mächtiger ſind als alle andere, und dieſe Größe iſt es auch, welche, wenn das An-ſich-ſein der Seele dahinangewachſen war, ſchon den Alten das höchſte Reſultat eines Lebens ſchien und welche ſo vielen ihrer Productionen eine eigene nie genug zu bewundernde Macht und Schönheit aufdrückt, wobei man jedoch nicht vergeſſen darf, einmal: daß eben dieſer Gleich¬ muth allerdings es auch iſt, der dieſen Productionen bei aller Schönheit einen gewiſſen kältern Charakter aufdrückt, und ein andermal, daß, eben weil im Alterthum jenes Urge¬ fühl der Liebe, von welchem ſtärkere Aufregungen der Seele immer ausgehen werden, noch nicht wahrhaft in die Welt eingetreten war, dort auch jener höhere Gleichmuth gleichſam mehr angemeſſen und leichter zu erreichen erſcheinen mußte als in ſpäterer und unſerer Zeit. In jenem Sinne daher, wäre etwa ein Sophokles zu denken, dem im reifſten Alter erſt die höchſten Tragödien gelingen! — Man ſtelle daneben in Gedanken den Charakter eines Göthe'ſchen Taſſo, wo mit ſo vielem Schönen und Tiefſinnigen die höchſte Gereiztheit ſich verbindet, und das Bild der ver¬ ſchiedenen Zuſtände, die wir ſchildern wollten, wird um ſo deutlicher hervortreten. Der tiefe apathiſche Zuſtand, wo keine Beweglichkeit des Gemüths möglich iſt, weil die lebendige Bedingung zu Erregung nach verſchiedenen Richtungen fehlt, iſt oftmals geradezu durch partielles Abſterben des unbewußten Lebens und lähmende Krankheit bedingt, ſelten geht er vom be¬ wußten Leben aus, und nur vorhergegangene enorme Er¬ ſchütterungen des Gemüthlebens oder übermäßige Anſtrengun¬ gen in Wirkſamkeit nach Außen, bringen ihn dann hervor. Endlich iſt zu bemerken, daß, wenn überhaupt der be¬ ſondere und ſchöne Gleichmuth nur auf der vollen Höhe des Lebens erreicht werden kann, nämlich dann, wenn die unruhigen Ueberfluthungen des unbewußten Lebens ſchon naturgemäß ſich geebnet haben, es damit ausgeſprochen ſei,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/343>, abgerufen am 28.03.2024.