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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Systematik.
Namen Telliamed die seiner Zeit berühmten Unterhaltungen eines
indischen Philosophen mit einem französischen Missionnair über die Ver-
minderung des Meeres (1748 und 1756) herausgab, hängt noch immer
der wenig begründete Vorwurf des Atheismus an. Er suchte vielmehr
nur das Natürliche aus der Summe des von der Natur bereits Ge-
wußten zu erklären. Auch er nimmt wie Buffon uranfängliche orga-
nische Keime an. Hat sich ein Planet gebildet, so tritt zunächst eine
Bevölkerung des Wassers ein; dieser folgen dann die Luftthiere, diesen
endlich die Landthiere. Das Spätere entwickelt sich aus dem Früheren.
Bei Erörterung der möglichen Ursachen der Umwandlung berücksichtigt
er nur theilweise die Lebensformen selbst. Die Veränderungen, welche
zuweilen plötzlich erscheinen, erfolgen nach ihm durch Einwirkung des
umgebenden Medium und durch Angewöhnung. Von ähnlichen Vor-
aussetzungen wie Maillet gieng auch Robinet aus (Ueber die Natur,
1760, und Philosophische Betrachtungen über die natürliche Stufen-
leiter der Wesensformen, 1768), nur zog er noch weiter gehende
Schlüsse. Er erklärt die ganze Materie für belebt und nimmt daher
nur ein Naturreich, das thierische, an. Zum ersten Male spricht er
aber ferner aus, daß es nur Individuen gibt, welche sämmtlich durch
unmerkbar geringe Abstufungen mit einander verbunden sind. Die
Annahme der Species ruht nur auf der Unfähigkeit unserer Sinne,
diese minimalen Unterschiede zu erkennen, durch welche die einzelnen
Glieder der großen Kette zusammenhängen. Robinet erwähnt aber so
wenig wie Maillet den genetischen Zusammenhang der Individuen und
die Erblichkeit der Form; nach ihm schafft die Natur Alles direct durch
Zusammenwirken der Naturkräfte mit den präformirten Keimen.

Erweiterung der Thierkenntniß.

Die systematische Ordnung der thierischen Gestalten, der Gebrauch
des Mikroskops und vervollkommneter Untersuchungsmethoden, der
weitere Gesichtspunkt bei Berücksichtigung einzelner Thatsachen, das
Auftauchen allgemein umfassender Hypothesen -- alles dies waren
Momente, durch deren Zusammenwirken die Entwickelung der Zoologie
gesichert schien. Noch galt es aber die einzelnen Richtungen zu verbin-

Periode der Syſtematik.
Namen Telliamed die ſeiner Zeit berühmten Unterhaltungen eines
indiſchen Philoſophen mit einem franzöſiſchen Miſſionnair über die Ver-
minderung des Meeres (1748 und 1756) herausgab, hängt noch immer
der wenig begründete Vorwurf des Atheismus an. Er ſuchte vielmehr
nur das Natürliche aus der Summe des von der Natur bereits Ge-
wußten zu erklären. Auch er nimmt wie Buffon uranfängliche orga-
niſche Keime an. Hat ſich ein Planet gebildet, ſo tritt zunächſt eine
Bevölkerung des Waſſers ein; dieſer folgen dann die Luftthiere, dieſen
endlich die Landthiere. Das Spätere entwickelt ſich aus dem Früheren.
Bei Erörterung der möglichen Urſachen der Umwandlung berückſichtigt
er nur theilweiſe die Lebensformen ſelbſt. Die Veränderungen, welche
zuweilen plötzlich erſcheinen, erfolgen nach ihm durch Einwirkung des
umgebenden Medium und durch Angewöhnung. Von ähnlichen Vor-
ausſetzungen wie Maillet gieng auch Robinet aus (Ueber die Natur,
1760, und Philoſophiſche Betrachtungen über die natürliche Stufen-
leiter der Weſensformen, 1768), nur zog er noch weiter gehende
Schlüſſe. Er erklärt die ganze Materie für belebt und nimmt daher
nur ein Naturreich, das thieriſche, an. Zum erſten Male ſpricht er
aber ferner aus, daß es nur Individuen gibt, welche ſämmtlich durch
unmerkbar geringe Abſtufungen mit einander verbunden ſind. Die
Annahme der Species ruht nur auf der Unfähigkeit unſerer Sinne,
dieſe minimalen Unterſchiede zu erkennen, durch welche die einzelnen
Glieder der großen Kette zuſammenhängen. Robinet erwähnt aber ſo
wenig wie Maillet den genetiſchen Zuſammenhang der Individuen und
die Erblichkeit der Form; nach ihm ſchafft die Natur Alles direct durch
Zuſammenwirken der Naturkräfte mit den präformirten Keimen.

Erweiterung der Thierkenntniß.

Die ſyſtematiſche Ordnung der thieriſchen Geſtalten, der Gebrauch
des Mikroſkops und vervollkommneter Unterſuchungsmethoden, der
weitere Geſichtspunkt bei Berückſichtigung einzelner Thatſachen, das
Auftauchen allgemein umfaſſender Hypotheſen — alles dies waren
Momente, durch deren Zuſammenwirken die Entwickelung der Zoologie
geſichert ſchien. Noch galt es aber die einzelnen Richtungen zu verbin-

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[528/0539] Periode der Syſtematik. Namen Telliamed die ſeiner Zeit berühmten Unterhaltungen eines indiſchen Philoſophen mit einem franzöſiſchen Miſſionnair über die Ver- minderung des Meeres (1748 und 1756) herausgab, hängt noch immer der wenig begründete Vorwurf des Atheismus an. Er ſuchte vielmehr nur das Natürliche aus der Summe des von der Natur bereits Ge- wußten zu erklären. Auch er nimmt wie Buffon uranfängliche orga- niſche Keime an. Hat ſich ein Planet gebildet, ſo tritt zunächſt eine Bevölkerung des Waſſers ein; dieſer folgen dann die Luftthiere, dieſen endlich die Landthiere. Das Spätere entwickelt ſich aus dem Früheren. Bei Erörterung der möglichen Urſachen der Umwandlung berückſichtigt er nur theilweiſe die Lebensformen ſelbſt. Die Veränderungen, welche zuweilen plötzlich erſcheinen, erfolgen nach ihm durch Einwirkung des umgebenden Medium und durch Angewöhnung. Von ähnlichen Vor- ausſetzungen wie Maillet gieng auch Robinet aus (Ueber die Natur, 1760, und Philoſophiſche Betrachtungen über die natürliche Stufen- leiter der Weſensformen, 1768), nur zog er noch weiter gehende Schlüſſe. Er erklärt die ganze Materie für belebt und nimmt daher nur ein Naturreich, das thieriſche, an. Zum erſten Male ſpricht er aber ferner aus, daß es nur Individuen gibt, welche ſämmtlich durch unmerkbar geringe Abſtufungen mit einander verbunden ſind. Die Annahme der Species ruht nur auf der Unfähigkeit unſerer Sinne, dieſe minimalen Unterſchiede zu erkennen, durch welche die einzelnen Glieder der großen Kette zuſammenhängen. Robinet erwähnt aber ſo wenig wie Maillet den genetiſchen Zuſammenhang der Individuen und die Erblichkeit der Form; nach ihm ſchafft die Natur Alles direct durch Zuſammenwirken der Naturkräfte mit den präformirten Keimen. Erweiterung der Thierkenntniß. Die ſyſtematiſche Ordnung der thieriſchen Geſtalten, der Gebrauch des Mikroſkops und vervollkommneter Unterſuchungsmethoden, der weitere Geſichtspunkt bei Berückſichtigung einzelner Thatſachen, das Auftauchen allgemein umfaſſender Hypotheſen — alles dies waren Momente, durch deren Zuſammenwirken die Entwickelung der Zoologie geſichert ſchien. Noch galt es aber die einzelnen Richtungen zu verbin-

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/539>, abgerufen am 28.03.2024.