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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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subjective Willkür, wie sich solche besonders früher in zügel-
losem Etymologisiren äusserte, aber es ist ebenso wohlthätig,
dass auch sie selbst in der Natur der Sache Schranken finden,
und dass dadurch dem übermächtigen Trieb nach geistloser
Mechanisirung auf diesem Gebiet eine Schranke gesetzt sei."
Und weiter lesen wir: "Unter den sogenannten Lautgesetzen
sprechen gerade diejenigen, denen am ehesten ausnahmslose
Richtigkeit zuerkannt werden mag, einfache Thatsachen als
solche aus, deren Kenntniss für den Sprachforscher höchst
wichtig, ja absolut nothwendig, aber mit keiner Einsicht in
den Grund oder auch nur in die genauere Art und Weise des
betreffenden Vorgangs verbunden ist". Die Folge dieser Aus-
einandersetzung war, dass einer der eifrigsten Vertreter der
neuen Ansichten, Hermann Paul, in seinen "Principien der
Sprachgeschichte" (Halle 1880) S. 55 sich folgendermassen aus-
spricht: "In dem Sinne, wie wir in der Physik oder Chemie
von Gesetzen reden, ist der Begriff Lautgesetz nicht zu ver-
stehen. Das Lautgesetz sagt nicht aus, was unter gewissen
allgemeinen Bedingungen immer wieder eintreten muss, son-
dern es constatirt nur die Gleichmässigkeit innerhalb einer
Gruppe bestimmter historischer Erscheinungen" *) Das klingt
ganz anders als das, was derselbe Gelehrte früher über die-
sen Punkt bemerkte, wo "von absoluter Notwendigkeit" die
Rede war und die Aehnlicheit mit chemischen und physika-
lischen Gesetzen streng festgehalten wurde. Tobler ist dann
in seiner Recension von Paul's Schrift im Litteraturblatt für
Germ. und Roman. Philologie 1881 S. 121 ff. wieder auf diese

*) Aehnlich drückt sich Delbrück Einl.2 130 aus: "Mit chemischen
oder physikalischen Gesetzen haben offenbar diese geschichtlichen Gleich-
mässigkeiten keine Aehnlichkeit" und Scherer Zur Geschichte der deut-
schen Sprache2 17 Anm.: "Die Lautgesetze sind nur empirische, keine
echten Gesetze". Vergl. Anzeiger für das deutsche Alterthum X (1884)
S. 378 f., Friedr. Müller, Techmer's Zeitschr. 1,1 "Sind die Lautgesetze
Naturgesetze?"

subjective Willkür, wie sich solche besonders früher in zügel-
losem Etymologisiren äusserte, aber es ist ebenso wohlthätig,
dass auch sie selbst in der Natur der Sache Schranken finden,
und dass dadurch dem übermächtigen Trieb nach geistloser
Mechanisirung auf diesem Gebiet eine Schranke gesetzt sei."
Und weiter lesen wir: „Unter den sogenannten Lautgesetzen
sprechen gerade diejenigen, denen am ehesten ausnahmslose
Richtigkeit zuerkannt werden mag, einfache Thatsachen als
solche aus, deren Kenntniss für den Sprachforscher höchst
wichtig, ja absolut nothwendig, aber mit keiner Einsicht in
den Grund oder auch nur in die genauere Art und Weise des
betreffenden Vorgangs verbunden ist“. Die Folge dieser Aus-
einandersetzung war, dass einer der eifrigsten Vertreter der
neuen Ansichten, Hermann Paul, in seinen „Principien der
Sprachgeschichte“ (Halle 1880) S. 55 sich folgendermassen aus-
spricht: „In dem Sinne, wie wir in der Physik oder Chemie
von Gesetzen reden, ist der Begriff Lautgesetz nicht zu ver-
stehen. Das Lautgesetz sagt nicht aus, was unter gewissen
allgemeinen Bedingungen immer wieder eintreten muss, son-
dern es constatirt nur die Gleichmässigkeit innerhalb einer
Gruppe bestimmter historischer Erscheinungen" *) Das klingt
ganz anders als das, was derselbe Gelehrte früher über die-
sen Punkt bemerkte, wo „von absoluter Notwendigkeit“ die
Rede war und die Aehnlicheit mit chemischen und physika-
lischen Gesetzen streng festgehalten wurde. Tobler ist dann
in seiner Recension von Paul's Schrift im Litteraturblatt für
Germ. und Roman. Philologie 1881 S. 121 ff. wieder auf diese

*) Aehnlich drückt sich Delbrück Einl.2 130 aus: „Mit chemischen
oder physikalischen Gesetzen haben offenbar diese geschichtlichen Gleich-
mässigkeiten keine Aehnlichkeit“ und Scherer Zur Geschichte der deut-
schen Sprache2 17 Anm.: „Die Lautgesetze sind nur empirische, keine
echten Gesetze“. Vergl. Anzeiger für das deutsche Alterthum X (1884)
S. 378 f., Friedr. Müller, Techmer's Zeitschr. 1,1 „Sind die Lautgesetze
Naturgesetze?"
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[11/0019] subjective Willkür, wie sich solche besonders früher in zügel- losem Etymologisiren äusserte, aber es ist ebenso wohlthätig, dass auch sie selbst in der Natur der Sache Schranken finden, und dass dadurch dem übermächtigen Trieb nach geistloser Mechanisirung auf diesem Gebiet eine Schranke gesetzt sei." Und weiter lesen wir: „Unter den sogenannten Lautgesetzen sprechen gerade diejenigen, denen am ehesten ausnahmslose Richtigkeit zuerkannt werden mag, einfache Thatsachen als solche aus, deren Kenntniss für den Sprachforscher höchst wichtig, ja absolut nothwendig, aber mit keiner Einsicht in den Grund oder auch nur in die genauere Art und Weise des betreffenden Vorgangs verbunden ist“. Die Folge dieser Aus- einandersetzung war, dass einer der eifrigsten Vertreter der neuen Ansichten, Hermann Paul, in seinen „Principien der Sprachgeschichte“ (Halle 1880) S. 55 sich folgendermassen aus- spricht: „In dem Sinne, wie wir in der Physik oder Chemie von Gesetzen reden, ist der Begriff Lautgesetz nicht zu ver- stehen. Das Lautgesetz sagt nicht aus, was unter gewissen allgemeinen Bedingungen immer wieder eintreten muss, son- dern es constatirt nur die Gleichmässigkeit innerhalb einer Gruppe bestimmter historischer Erscheinungen" *) Das klingt ganz anders als das, was derselbe Gelehrte früher über die- sen Punkt bemerkte, wo „von absoluter Notwendigkeit“ die Rede war und die Aehnlicheit mit chemischen und physika- lischen Gesetzen streng festgehalten wurde. Tobler ist dann in seiner Recension von Paul's Schrift im Litteraturblatt für Germ. und Roman. Philologie 1881 S. 121 ff. wieder auf diese *) Aehnlich drückt sich Delbrück Einl.2 130 aus: „Mit chemischen oder physikalischen Gesetzen haben offenbar diese geschichtlichen Gleich- mässigkeiten keine Aehnlichkeit“ und Scherer Zur Geschichte der deut- schen Sprache2 17 Anm.: „Die Lautgesetze sind nur empirische, keine echten Gesetze“. Vergl. Anzeiger für das deutsche Alterthum X (1884) S. 378 f., Friedr. Müller, Techmer's Zeitschr. 1,1 „Sind die Lautgesetze Naturgesetze?"

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/19>, abgerufen am 28.03.2024.