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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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unbeständig ist dieser Lautwandel, wie ihn jetzt die olym-
pischen Inschriften uns vor Augen stellen in der älteren Zeit.
Erst die jüngste der rhotakisirenden Tafeln, die aus der Zeit
nach Alexander d. Gr. stammt, hat es zur Consequenz gebracht
(Cauer Del.2 No. 264).

2) Wir stellen zweitens einiges über den Anlaut zusam-
men. Die Unregelmässigkeiten des Anlauts beruhen, wenigstens
zum Theil, auf demselben Princip, aus welchem sich die des
Auslauts erklären, auf dem Conflict der zu einem Satze verbun-
denen Wörter unter einander. Einige Fälle von Consonanten-
gruppen sind schon oben S. 15 angeführt. Was in einzelnen
Sprachen sporadisch geschieht, ist in andern zu festem Gesetz
geworden. Beispiele von der Erleichterung eines anlautenden
st zu t sind Grundz.5 S. 429 verzeichnet. Im Irischen ist diese
Reduction zur Regel geworden. Ein Beispiel uralten Abfalls
eines anlautenden Dentals vor folgendem v ist skt. vicati neben
böot. wikati und lat. viginti. Da die Herkunft der Silbe vi
aus dvi (zwei) nicht bezweifelt werden kann, haben wir hier
einen Fall eines ganz vereinzelten proethnischen vi für dvi. --
Der Verlust des anlautenden w im Griechischen vor Vocalen
erweist sich auf Grund unsrer Inschriften als ein ganz all-
mählich eingetretener. Der herakleische Dialekt z. B., der
uns doch manches wichtige Beispiel des erhaltenen w bewahrt
hat, verschmäht diesen Laut in oikos und was damit zusam-
menhängt. Das Lautgesetz also, wonach w verloren geht, hat
sich erst mit der Zeit aus schwankenden Gewohnheiten heraus-
gebildet. Die Uebergangszeit wird uns hier nicht selten ur-
kundlich bestätigt.

Der Abfall ganzer Silben im Anlaut ist selten, aber doch
vielfach sicher constatirt. Dass die Reduplicationssilbe ge-
legentlich abfallen kann, bezweifelt selbst Brugmann nicht
(Morphol. Unters. III, 53). Dieselbe Silbe te, durch deren Ver-
lust altlat. tetuli zu tuli ward, ist in trapeza abgefallen, wie
Misteli in der Zeitschr. für Völkerpsychol. XI, 392 glaubhaft

unbeständig ist dieser Lautwandel, wie ihn jetzt die olym-
pischen Inschriften uns vor Augen stellen in der älteren Zeit.
Erst die jüngste der rhotakisirenden Tafeln, die aus der Zeit
nach Alexander d. Gr. stammt, hat es zur Consequenz gebracht
(Cauer Del.2 No. 264).

2) Wir stellen zweitens einiges über den Anlaut zusam-
men. Die Unregelmässigkeiten des Anlauts beruhen, wenigstens
zum Theil, auf demselben Princip, aus welchem sich die des
Auslauts erklären, auf dem Conflict der zu einem Satze verbun-
denen Wörter unter einander. Einige Fälle von Consonanten-
gruppen sind schon oben S. 15 angeführt. Was in einzelnen
Sprachen sporadisch geschieht, ist in andern zu festem Gesetz
geworden. Beispiele von der Erleichterung eines anlautenden
st zu t sind Grundz.⁵ S. 429 verzeichnet. Im Irischen ist diese
Reduction zur Regel geworden. Ein Beispiel uralten Abfalls
eines anlautenden Dentals vor folgendem v ist skt. vi̜c̹ati neben
böot. ϝίκατι und lat. viginti. Da die Herkunft der Silbe vi
aus dvi (zwei) nicht bezweifelt werden kann, haben wir hier
einen Fall eines ganz vereinzelten proethnischen vi für dvi. —
Der Verlust des anlautenden ϝ im Griechischen vor Vocalen
erweist sich auf Grund unsrer Inschriften als ein ganz all-
mählich eingetretener. Der herakleische Dialekt z. B., der
uns doch manches wichtige Beispiel des erhaltenen ϝ bewahrt
hat, verschmäht diesen Laut in οἶκος und was damit zusam-
menhängt. Das Lautgesetz also, wonach ϝ verloren geht, hat
sich erst mit der Zeit aus schwankenden Gewohnheiten heraus-
gebildet. Die Uebergangszeit wird uns hier nicht selten ur-
kundlich bestätigt.

Der Abfall ganzer Silben im Anlaut ist selten, aber doch
vielfach sicher constatirt. Dass die Reduplicationssilbe ge-
legentlich abfallen kann, bezweifelt selbst Brugmann nicht
(Morphol. Unters. III, 53). Dieselbe Silbe te, durch deren Ver-
lust altlat. tetuli zu tuli ward, ist in τράπεζα abgefallen, wie
Misteli in der Zeitschr. für Völkerpsychol. XI, 392 glaubhaft

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[27/0035] unbeständig ist dieser Lautwandel, wie ihn jetzt die olym- pischen Inschriften uns vor Augen stellen in der älteren Zeit. Erst die jüngste der rhotakisirenden Tafeln, die aus der Zeit nach Alexander d. Gr. stammt, hat es zur Consequenz gebracht (Cauer Del.2 No. 264). 2) Wir stellen zweitens einiges über den Anlaut zusam- men. Die Unregelmässigkeiten des Anlauts beruhen, wenigstens zum Theil, auf demselben Princip, aus welchem sich die des Auslauts erklären, auf dem Conflict der zu einem Satze verbun- denen Wörter unter einander. Einige Fälle von Consonanten- gruppen sind schon oben S. 15 angeführt. Was in einzelnen Sprachen sporadisch geschieht, ist in andern zu festem Gesetz geworden. Beispiele von der Erleichterung eines anlautenden st zu t sind Grundz.⁵ S. 429 verzeichnet. Im Irischen ist diese Reduction zur Regel geworden. Ein Beispiel uralten Abfalls eines anlautenden Dentals vor folgendem v ist skt. vi̜c̹ati neben böot. ϝίκατι und lat. viginti. Da die Herkunft der Silbe vi aus dvi (zwei) nicht bezweifelt werden kann, haben wir hier einen Fall eines ganz vereinzelten proethnischen vi für dvi. — Der Verlust des anlautenden ϝ im Griechischen vor Vocalen erweist sich auf Grund unsrer Inschriften als ein ganz all- mählich eingetretener. Der herakleische Dialekt z. B., der uns doch manches wichtige Beispiel des erhaltenen ϝ bewahrt hat, verschmäht diesen Laut in οἶκος und was damit zusam- menhängt. Das Lautgesetz also, wonach ϝ verloren geht, hat sich erst mit der Zeit aus schwankenden Gewohnheiten heraus- gebildet. Die Uebergangszeit wird uns hier nicht selten ur- kundlich bestätigt. Der Abfall ganzer Silben im Anlaut ist selten, aber doch vielfach sicher constatirt. Dass die Reduplicationssilbe ge- legentlich abfallen kann, bezweifelt selbst Brugmann nicht (Morphol. Unters. III, 53). Dieselbe Silbe te, durch deren Ver- lust altlat. tetuli zu tuli ward, ist in τράπεζα abgefallen, wie Misteli in der Zeitschr. für Völkerpsychol. XI, 392 glaubhaft

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/35>, abgerufen am 20.04.2024.