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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 1. Papillen der Blätter und Stiele.
sichtig, während die Zellen der Stengel hellroth werden, mit Ausnahme
derer dicht unter den Drüsen. Diese letzteren Zellen verlieren ihre blasze
rothe Färbung; und die grüne Substanz, welche sie ebensowohl wie die
basalen Zellen enthalten, wird heller grün. Die Stiele tragen viel viel-
zellige Haare, wovon, der Angabe Nitschke's zufolge, einige der Scheibe
nahe von einigen wenigen runden Zellen überragt werden, welche rudi-
mentäre Drüsen zu sein scheinen. Beide Flächen des Blattes, die Stiele
der Tentakeln, besonders die untere Seite der äuszeren, und die Blattstiele
sind mit kleinen Papillen (Haare oder Trichome) besetzt, welche eine
conische Basis haben und an ihrer Spitze zwei und gelegentlich auch drei
oder selbst vier abgerundete Zellen tragen, die viel Protoplasma enthal-
ten. Diese Papillen sind gewöhnlich farblos, aber manchmal enthalten sie
ein wenig purpurne Flüssigkeit. Sie sind verschieden in ihrer Entwick-
lung und gehen wie Nitschke5 angibt und ich zu wiederholten Malen
beobachtet habe, allmälich in die langen vielzelligen Haare über; die letz-
teren sowohl als die Papillen sind wahrscheinlich die Rudimente von frü-
her vorhanden gewesenen Tentakeln.

Um nicht noch einmal auf die Papillen zurückkommen zu müssen,
will ich hier hinzufügen, dasz sie nicht absondern, aber leicht von ver-
schiednen Flüssigkeiten durchdrungen werden; so dasz, wenn lebende oder
todte Blätter in eine Auflösung von einem Theil Gold-Chlorid oder salpeter-
saurem Silber auf 437 Theile Wasser eingetaucht werden, sie schnell
schwarz werden und die Entfärbung sich bald bis in das umgebende Ge-
webe ausbreitet. Die langen vielzelligen Haare werden nicht so schnell
angegriffen. Nachdem ein Blatt zehn Stunden lang in einem schwachen
Aufgusse von rohem Fleisch liegen gelassen war, hatten die Zellen der
Papillen augenscheinlich thierische Substanz aufgesaugt; denn anstatt der
klaren Flüssigkeit enthielten sie nun kleine zusammengehäufte Massen von
Protoplasma, welche langsam und unaufhörlich ihre Form änderten. Ein
ähnliches Resultat ergab sich, nachdem ein Blatt nur 15 Minuten lang
in eine Lösung von einem Theil kohlensaurem Ammoniak in 218 Theilen
Wasser getaucht wurde; die benachbarten Zellen der Tentakeln, auf wel-
chen die Papillen saszen, enthielten jetzt gleichfalls zusammengeballte
Massen von Protoplasma. Wir können daraus schlieszen, dasz, wenn ein
Blatt ein gefangenes Insect in der sofort zu beschreibenden Weise dicht
umfangen hält, die Papillen, welche von der oberen Fläche des Blattes
und der Tentakeln vorspringen, wahrscheinlich etwas von der thierischen
Substanz aufsaugen, welche in der Absonderung aufgelöst wird. Dies
kann aber mit den Papillen am Rücken der Blätter oder an den Blatt-
stielen nicht der Fall sein.

Vorläufige Skizze der Function der verschiedenen Theile und der Art, auf
welche Insecten gefangen werden.

Wenn ein kleiner organischer oder unorganischer Gegenstand auf
die Drüsen in der Mitte des Blattes gelegt wird, so übertragen diese

5 Nitschke hat diese Papillen ausführlich beschrieben und abgebildet, in
Botan. Zeitung, 1861, p. 1234, 253, 254.

Cap. 1. Papillen der Blätter und Stiele.
sichtig, während die Zellen der Stengel hellroth werden, mit Ausnahme
derer dicht unter den Drüsen. Diese letzteren Zellen verlieren ihre blasze
rothe Färbung; und die grüne Substanz, welche sie ebensowohl wie die
basalen Zellen enthalten, wird heller grün. Die Stiele tragen viel viel-
zellige Haare, wovon, der Angabe Nitschke’s zufolge, einige der Scheibe
nahe von einigen wenigen runden Zellen überragt werden, welche rudi-
mentäre Drüsen zu sein scheinen. Beide Flächen des Blattes, die Stiele
der Tentakeln, besonders die untere Seite der äuszeren, und die Blattstiele
sind mit kleinen Papillen (Haare oder Trichome) besetzt, welche eine
conische Basis haben und an ihrer Spitze zwei und gelegentlich auch drei
oder selbst vier abgerundete Zellen tragen, die viel Protoplasma enthal-
ten. Diese Papillen sind gewöhnlich farblos, aber manchmal enthalten sie
ein wenig purpurne Flüssigkeit. Sie sind verschieden in ihrer Entwick-
lung und gehen wie Nitschke5 angibt und ich zu wiederholten Malen
beobachtet habe, allmälich in die langen vielzelligen Haare über; die letz-
teren sowohl als die Papillen sind wahrscheinlich die Rudimente von frü-
her vorhanden gewesenen Tentakeln.

Um nicht noch einmal auf die Papillen zurückkommen zu müssen,
will ich hier hinzufügen, dasz sie nicht absondern, aber leicht von ver-
schiednen Flüssigkeiten durchdrungen werden; so dasz, wenn lebende oder
todte Blätter in eine Auflösung von einem Theil Gold-Chlorid oder salpeter-
saurem Silber auf 437 Theile Wasser eingetaucht werden, sie schnell
schwarz werden und die Entfärbung sich bald bis in das umgebende Ge-
webe ausbreitet. Die langen vielzelligen Haare werden nicht so schnell
angegriffen. Nachdem ein Blatt zehn Stunden lang in einem schwachen
Aufgusse von rohem Fleisch liegen gelassen war, hatten die Zellen der
Papillen augenscheinlich thierische Substanz aufgesaugt; denn anstatt der
klaren Flüssigkeit enthielten sie nun kleine zusammengehäufte Massen von
Protoplasma, welche langsam und unaufhörlich ihre Form änderten. Ein
ähnliches Resultat ergab sich, nachdem ein Blatt nur 15 Minuten lang
in eine Lösung von einem Theil kohlensaurem Ammoniak in 218 Theilen
Wasser getaucht wurde; die benachbarten Zellen der Tentakeln, auf wel-
chen die Papillen saszen, enthielten jetzt gleichfalls zusammengeballte
Massen von Protoplasma. Wir können daraus schlieszen, dasz, wenn ein
Blatt ein gefangenes Insect in der sofort zu beschreibenden Weise dicht
umfangen hält, die Papillen, welche von der oberen Fläche des Blattes
und der Tentakeln vorspringen, wahrscheinlich etwas von der thierischen
Substanz aufsaugen, welche in der Absonderung aufgelöst wird. Dies
kann aber mit den Papillen am Rücken der Blätter oder an den Blatt-
stielen nicht der Fall sein.

Vorläufige Skizze der Function der verschiedenen Theile und der Art, auf
welche Insecten gefangen werden.

Wenn ein kleiner organischer oder unorganischer Gegenstand auf
die Drüsen in der Mitte des Blattes gelegt wird, so übertragen diese

5 Nitschke hat diese Papillen ausführlich beschrieben und abgebildet, in
Botan. Zeitung, 1861, p. 1234, 253, 254.
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[7/0021] Cap. 1. Papillen der Blätter und Stiele. sichtig, während die Zellen der Stengel hellroth werden, mit Ausnahme derer dicht unter den Drüsen. Diese letzteren Zellen verlieren ihre blasze rothe Färbung; und die grüne Substanz, welche sie ebensowohl wie die basalen Zellen enthalten, wird heller grün. Die Stiele tragen viel viel- zellige Haare, wovon, der Angabe Nitschke’s zufolge, einige der Scheibe nahe von einigen wenigen runden Zellen überragt werden, welche rudi- mentäre Drüsen zu sein scheinen. Beide Flächen des Blattes, die Stiele der Tentakeln, besonders die untere Seite der äuszeren, und die Blattstiele sind mit kleinen Papillen (Haare oder Trichome) besetzt, welche eine conische Basis haben und an ihrer Spitze zwei und gelegentlich auch drei oder selbst vier abgerundete Zellen tragen, die viel Protoplasma enthal- ten. Diese Papillen sind gewöhnlich farblos, aber manchmal enthalten sie ein wenig purpurne Flüssigkeit. Sie sind verschieden in ihrer Entwick- lung und gehen wie Nitschke 5 angibt und ich zu wiederholten Malen beobachtet habe, allmälich in die langen vielzelligen Haare über; die letz- teren sowohl als die Papillen sind wahrscheinlich die Rudimente von frü- her vorhanden gewesenen Tentakeln. Um nicht noch einmal auf die Papillen zurückkommen zu müssen, will ich hier hinzufügen, dasz sie nicht absondern, aber leicht von ver- schiednen Flüssigkeiten durchdrungen werden; so dasz, wenn lebende oder todte Blätter in eine Auflösung von einem Theil Gold-Chlorid oder salpeter- saurem Silber auf 437 Theile Wasser eingetaucht werden, sie schnell schwarz werden und die Entfärbung sich bald bis in das umgebende Ge- webe ausbreitet. Die langen vielzelligen Haare werden nicht so schnell angegriffen. Nachdem ein Blatt zehn Stunden lang in einem schwachen Aufgusse von rohem Fleisch liegen gelassen war, hatten die Zellen der Papillen augenscheinlich thierische Substanz aufgesaugt; denn anstatt der klaren Flüssigkeit enthielten sie nun kleine zusammengehäufte Massen von Protoplasma, welche langsam und unaufhörlich ihre Form änderten. Ein ähnliches Resultat ergab sich, nachdem ein Blatt nur 15 Minuten lang in eine Lösung von einem Theil kohlensaurem Ammoniak in 218 Theilen Wasser getaucht wurde; die benachbarten Zellen der Tentakeln, auf wel- chen die Papillen saszen, enthielten jetzt gleichfalls zusammengeballte Massen von Protoplasma. Wir können daraus schlieszen, dasz, wenn ein Blatt ein gefangenes Insect in der sofort zu beschreibenden Weise dicht umfangen hält, die Papillen, welche von der oberen Fläche des Blattes und der Tentakeln vorspringen, wahrscheinlich etwas von der thierischen Substanz aufsaugen, welche in der Absonderung aufgelöst wird. Dies kann aber mit den Papillen am Rücken der Blätter oder an den Blatt- stielen nicht der Fall sein. Vorläufige Skizze der Function der verschiedenen Theile und der Art, auf welche Insecten gefangen werden. Wenn ein kleiner organischer oder unorganischer Gegenstand auf die Drüsen in der Mitte des Blattes gelegt wird, so übertragen diese 5 Nitschke hat diese Papillen ausführlich beschrieben und abgebildet, in Botan. Zeitung, 1861, p. 1234, 253, 254.

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/21>, abgerufen am 28.03.2024.