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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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dem Plündern und Morden ein Ende; von den Thebanern sollen
sechstausend umgekommen sein, von den Macedoniern fünfhundert,
unter ihnen der Anführer der Bogenschützen.

Am folgenden Tage ließ der König die gefallenen Macedonier
ehrenvoll bestatten, berief sodann eine Versammlung der Bundes-
genossen 96), welche an dem Kampfe Theil genommen hatten, und
überließ ihnen das künftige Schicksal der Stadt. Er konnte keine
besseren Vollstrecker eines Gerichtes finden, das nach so schnödem
Verrath, nach so freventlicher Verachtung aller Milde, nach so
hartnäckigem Widerstande nur zu gerecht war. Die Richter über
Theben waren dieselben Platäer, Orchomenier, Phocier, Thespier,
Böotier, welche den furchtbaren Druck der Thebaner lange hatten
erdulden müssen, deren Städte ehemals von ihnen verwüstet, deren
Söhne und Töchter von ihnen geschändet und als Sklaven verkauft
waren; jetzt sollte die schuldbelastete Stadt den Verrath im Persi-
schen Kriege und die oft gebrochenen Schwüre und die Tyrannei,
die sie über Böotien ungestraft geübt, büßen; es schien sich mit
dem frechen Hochmuth und der gottlosen Verstocktheit des Oedipus
auch sein Fluch und sein furchtbares Verhängniß auf sie vererbt zu
haben. Es wurde beschlossen: die Stadt sollte dem Erdboden gleich-
gemacht, das Land, mit Ausnahme des Tempellandes, unter Alexan-
ders Bundesgenossen vertheilt, alle Thebaner mit Weib und Kind
in die Sklaverei verkauft, und nur den Priestern und Priesterinnen,
den Gastfreunden Philipps, Alexanders, der Macedonier die Frei-
heit geschenkt werden; Alexander gebot auch Pindars Haus und Pin-
dars Nachkommen zu verschonen. Dann wurden dreißigtausend
Menschen 97) jedes Alters und Standes verkauft und in die weite
95a)

96) So Arrian. Diodor spricht von sunedroi ton Ellenon.
97) Wir nehmen diese Zahlen von dreißigtausend Verkauften und
95a) rend ein Theil des Heeres unter Antipaters Führung über eine un-
bewachte Stelle der Mauer gestiegen sei und so die Stadt besetzt habe, ist
gleichfalls ohne bedeutenden Werth; Antipater möchte als Reichsver-
weser in Macedonien wohl kaum der Belagerung beigewohnt haben,
und unzweifelhaft ist für den blutigen Tag das Anrücken der Phalanx
und ihr Eindringen in das Elektrische Thor entscheidend gewesen; cf.
Agatharchid. apd. Phot. p. 441 ed. Beck
. Dort sah man noch in spä-
ter Zeit das Polyandrion der gefallenen Thebaner; Paus. IX. 10.

dem Plündern und Morden ein Ende; von den Thebanern ſollen
ſechstauſend umgekommen ſein, von den Macedoniern fünfhundert,
unter ihnen der Anführer der Bogenſchützen.

Am folgenden Tage ließ der König die gefallenen Macedonier
ehrenvoll beſtatten, berief ſodann eine Verſammlung der Bundes-
genoſſen 96), welche an dem Kampfe Theil genommen hatten, und
überließ ihnen das künftige Schickſal der Stadt. Er konnte keine
beſſeren Vollſtrecker eines Gerichtes finden, das nach ſo ſchnödem
Verrath, nach ſo freventlicher Verachtung aller Milde, nach ſo
hartnäckigem Widerſtande nur zu gerecht war. Die Richter über
Theben waren dieſelben Platäer, Orchomenier, Phocier, Thespier,
Böotier, welche den furchtbaren Druck der Thebaner lange hatten
erdulden müſſen, deren Städte ehemals von ihnen verwüſtet, deren
Söhne und Töchter von ihnen geſchändet und als Sklaven verkauft
waren; jetzt ſollte die ſchuldbelaſtete Stadt den Verrath im Perſi-
ſchen Kriege und die oft gebrochenen Schwüre und die Tyrannei,
die ſie über Böotien ungeſtraft geübt, büßen; es ſchien ſich mit
dem frechen Hochmuth und der gottloſen Verſtocktheit des Oedipus
auch ſein Fluch und ſein furchtbares Verhängniß auf ſie vererbt zu
haben. Es wurde beſchloſſen: die Stadt ſollte dem Erdboden gleich-
gemacht, das Land, mit Ausnahme des Tempellandes, unter Alexan-
ders Bundesgenoſſen vertheilt, alle Thebaner mit Weib und Kind
in die Sklaverei verkauft, und nur den Prieſtern und Prieſterinnen,
den Gaſtfreunden Philipps, Alexanders, der Macedonier die Frei-
heit geſchenkt werden; Alexander gebot auch Pindars Haus und Pin-
dars Nachkommen zu verſchonen. Dann wurden dreißigtauſend
Menſchen 97) jedes Alters und Standes verkauft und in die weite
95a)

96) So Arrian. Diodor ſpricht von σύνεδϱοι τῶν Ἑλλήνων.
97) Wir nehmen dieſe Zahlen von dreißigtauſend Verkauften und
95a) rend ein Theil des Heeres unter Antipaters Führung über eine un-
bewachte Stelle der Mauer geſtiegen ſei und ſo die Stadt beſetzt habe, iſt
gleichfalls ohne bedeutenden Werth; Antipater möchte als Reichsver-
weſer in Macedonien wohl kaum der Belagerung beigewohnt haben,
und unzweifelhaft iſt für den blutigen Tag das Anrücken der Phalanx
und ihr Eindringen in das Elektriſche Thor entſcheidend geweſen; cf.
Agatharchid. apd. Phot. p. 441 ed. Beck
. Dort ſah man noch in ſpä-
ter Zeit das Polyandrion der gefallenen Thebaner; Paus. IX. 10.
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[86/0100] dem Plündern und Morden ein Ende; von den Thebanern ſollen ſechstauſend umgekommen ſein, von den Macedoniern fünfhundert, unter ihnen der Anführer der Bogenſchützen. Am folgenden Tage ließ der König die gefallenen Macedonier ehrenvoll beſtatten, berief ſodann eine Verſammlung der Bundes- genoſſen 96), welche an dem Kampfe Theil genommen hatten, und überließ ihnen das künftige Schickſal der Stadt. Er konnte keine beſſeren Vollſtrecker eines Gerichtes finden, das nach ſo ſchnödem Verrath, nach ſo freventlicher Verachtung aller Milde, nach ſo hartnäckigem Widerſtande nur zu gerecht war. Die Richter über Theben waren dieſelben Platäer, Orchomenier, Phocier, Thespier, Böotier, welche den furchtbaren Druck der Thebaner lange hatten erdulden müſſen, deren Städte ehemals von ihnen verwüſtet, deren Söhne und Töchter von ihnen geſchändet und als Sklaven verkauft waren; jetzt ſollte die ſchuldbelaſtete Stadt den Verrath im Perſi- ſchen Kriege und die oft gebrochenen Schwüre und die Tyrannei, die ſie über Böotien ungeſtraft geübt, büßen; es ſchien ſich mit dem frechen Hochmuth und der gottloſen Verſtocktheit des Oedipus auch ſein Fluch und ſein furchtbares Verhängniß auf ſie vererbt zu haben. Es wurde beſchloſſen: die Stadt ſollte dem Erdboden gleich- gemacht, das Land, mit Ausnahme des Tempellandes, unter Alexan- ders Bundesgenoſſen vertheilt, alle Thebaner mit Weib und Kind in die Sklaverei verkauft, und nur den Prieſtern und Prieſterinnen, den Gaſtfreunden Philipps, Alexanders, der Macedonier die Frei- heit geſchenkt werden; Alexander gebot auch Pindars Haus und Pin- dars Nachkommen zu verſchonen. Dann wurden dreißigtauſend Menſchen 97) jedes Alters und Standes verkauft und in die weite 95a) 96) So Arrian. Diodor ſpricht von σύνεδϱοι τῶν Ἑλλήνων. 97) Wir nehmen dieſe Zahlen von dreißigtauſend Verkauften und 95a) rend ein Theil des Heeres unter Antipaters Führung über eine un- bewachte Stelle der Mauer geſtiegen ſei und ſo die Stadt beſetzt habe, iſt gleichfalls ohne bedeutenden Werth; Antipater möchte als Reichsver- weſer in Macedonien wohl kaum der Belagerung beigewohnt haben, und unzweifelhaft iſt für den blutigen Tag das Anrücken der Phalanx und ihr Eindringen in das Elektriſche Thor entſcheidend geweſen; cf. Agatharchid. apd. Phot. p. 441 ed. Beck. Dort ſah man noch in ſpä- ter Zeit das Polyandrion der gefallenen Thebaner; Paus. IX. 10.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/100>, abgerufen am 28.03.2024.