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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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wechsel und unnatürlicher Grausamkeit gegen die eben noch all-
mächtige Parthei der Despotismus immer weitere und weitere
Grenzen gewinnt. Persiens Unglück war eine Reihe schwacher Re-
genten gewesen, welche die Zügel der Herrschaft nicht so fest anzu-
ziehen vermocht hatten, wie es zum Bestehen des Reiches nöthig
war; daraus folgte, daß in den Völkern die sclavische Furcht, in
den Satrapen der blinde Gehorsam, im Reiche die einzige Einheit
schwand, die es zusammenhielt; so nahm in den Völkern, die überall
noch ihre alte Religion, ihre Gesetze und Sitten, und zum Theil
einheimische Fürsten hatten, das Verlangen nach Selbstständig-
keit, in den Satrapen, zu mächtigen Statthaltern großer und ent-
fernter Länderstrecken, die Begier nach unabhängiger Macht, in
dem herrschenden Volke, das im Besitz und der Gewohnheit der
Gewalt die Bedingungen ihrer Gründung und ihrer Dauer vergessen
hatte, die Gleichgültigkeit gegen den Großkönig und gegen das
Geschlecht der Achämeniden überhand. In den hundert Jahren
fast gänzlicher Unthätigkeit, welche auf Xerxes Kriegszug nach Eu-
ropa gefolgt waren, hatte sich in dem Griechischen Lande eine eigen-
thümliche Kriegskunst entwickelt, mit der sich Asien zu messen ver-
lernt hatte; Griechische Waffe erschien mächtiger als die ungeheueren
Völkerheere Persiens, ihr vertrauten sich die Satrapen, wenn sie
sich empörten, ihr der König Ochus, als er den Aufstand in Aegyp-
ten zu unterdrücken auszog; so daß das Königthum, auf die Siege
der Persischen Waffen gegründet, sich durch Griechische Söldner zu
schützen genöthigt war.

Allerdings hatte Ochus noch einmal die Einheit des Reiches
äußerlich hergestellt, und mit der fanatischen Strenge, die den Des-
poten gebührt, seine Macht geltend zu machen gewußt; aber es
war zu spät; er selbst versank in Unthätigkeit und Schwäche, die
Satrapen behielten ihre allzumächtige Stellung, und die Völker,
namentlich der westlichen Satrapien, vergaßen unter dem erneuten
Druck nicht, daß sie schon nahe daran gewesen, ihn abzuthun.
Nach neuen und furchtbaren Verwirrungen war endlich der Thron
an Darius gekommen; er hätte statt tugendhaft energisch, statt
sanftmüthig grausam, statt ehrwürdig Despot sein müssen, wenn
das Reich durch ihn sollte gerettet werden; er hatte die Achtung
der Perser, und alle Satrapen waren ihm ergeben, aber das rettete

wechſel und unnatürlicher Grauſamkeit gegen die eben noch all-
mächtige Parthei der Despotismus immer weitere und weitere
Grenzen gewinnt. Perſiens Unglück war eine Reihe ſchwacher Re-
genten geweſen, welche die Zügel der Herrſchaft nicht ſo feſt anzu-
ziehen vermocht hatten, wie es zum Beſtehen des Reiches nöthig
war; daraus folgte, daß in den Völkern die ſclaviſche Furcht, in
den Satrapen der blinde Gehorſam, im Reiche die einzige Einheit
ſchwand, die es zuſammenhielt; ſo nahm in den Völkern, die überall
noch ihre alte Religion, ihre Geſetze und Sitten, und zum Theil
einheimiſche Fürſten hatten, das Verlangen nach Selbſtſtändig-
keit, in den Satrapen, zu mächtigen Statthaltern großer und ent-
fernter Länderſtrecken, die Begier nach unabhängiger Macht, in
dem herrſchenden Volke, das im Beſitz und der Gewohnheit der
Gewalt die Bedingungen ihrer Gründung und ihrer Dauer vergeſſen
hatte, die Gleichgültigkeit gegen den Großkönig und gegen das
Geſchlecht der Achämeniden überhand. In den hundert Jahren
faſt gänzlicher Unthätigkeit, welche auf Xerxes Kriegszug nach Eu-
ropa gefolgt waren, hatte ſich in dem Griechiſchen Lande eine eigen-
thümliche Kriegskunſt entwickelt, mit der ſich Aſien zu meſſen ver-
lernt hatte; Griechiſche Waffe erſchien mächtiger als die ungeheueren
Völkerheere Perſiens, ihr vertrauten ſich die Satrapen, wenn ſie
ſich empörten, ihr der König Ochus, als er den Aufſtand in Aegyp-
ten zu unterdrücken auszog; ſo daß das Königthum, auf die Siege
der Perſiſchen Waffen gegründet, ſich durch Griechiſche Söldner zu
ſchützen genöthigt war.

Allerdings hatte Ochus noch einmal die Einheit des Reiches
äußerlich hergeſtellt, und mit der fanatiſchen Strenge, die den Des-
poten gebührt, ſeine Macht geltend zu machen gewußt; aber es
war zu ſpät; er ſelbſt verſank in Unthätigkeit und Schwäche, die
Satrapen behielten ihre allzumächtige Stellung, und die Völker,
namentlich der weſtlichen Satrapien, vergaßen unter dem erneuten
Druck nicht, daß ſie ſchon nahe daran geweſen, ihn abzuthun.
Nach neuen und furchtbaren Verwirrungen war endlich der Thron
an Darius gekommen; er hätte ſtatt tugendhaft energiſch, ſtatt
ſanftmüthig grauſam, ſtatt ehrwürdig Despot ſein müſſen, wenn
das Reich durch ihn ſollte gerettet werden; er hatte die Achtung
der Perſer, und alle Satrapen waren ihm ergeben, aber das rettete

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[102/0116] wechſel und unnatürlicher Grauſamkeit gegen die eben noch all- mächtige Parthei der Despotismus immer weitere und weitere Grenzen gewinnt. Perſiens Unglück war eine Reihe ſchwacher Re- genten geweſen, welche die Zügel der Herrſchaft nicht ſo feſt anzu- ziehen vermocht hatten, wie es zum Beſtehen des Reiches nöthig war; daraus folgte, daß in den Völkern die ſclaviſche Furcht, in den Satrapen der blinde Gehorſam, im Reiche die einzige Einheit ſchwand, die es zuſammenhielt; ſo nahm in den Völkern, die überall noch ihre alte Religion, ihre Geſetze und Sitten, und zum Theil einheimiſche Fürſten hatten, das Verlangen nach Selbſtſtändig- keit, in den Satrapen, zu mächtigen Statthaltern großer und ent- fernter Länderſtrecken, die Begier nach unabhängiger Macht, in dem herrſchenden Volke, das im Beſitz und der Gewohnheit der Gewalt die Bedingungen ihrer Gründung und ihrer Dauer vergeſſen hatte, die Gleichgültigkeit gegen den Großkönig und gegen das Geſchlecht der Achämeniden überhand. In den hundert Jahren faſt gänzlicher Unthätigkeit, welche auf Xerxes Kriegszug nach Eu- ropa gefolgt waren, hatte ſich in dem Griechiſchen Lande eine eigen- thümliche Kriegskunſt entwickelt, mit der ſich Aſien zu meſſen ver- lernt hatte; Griechiſche Waffe erſchien mächtiger als die ungeheueren Völkerheere Perſiens, ihr vertrauten ſich die Satrapen, wenn ſie ſich empörten, ihr der König Ochus, als er den Aufſtand in Aegyp- ten zu unterdrücken auszog; ſo daß das Königthum, auf die Siege der Perſiſchen Waffen gegründet, ſich durch Griechiſche Söldner zu ſchützen genöthigt war. Allerdings hatte Ochus noch einmal die Einheit des Reiches äußerlich hergeſtellt, und mit der fanatiſchen Strenge, die den Des- poten gebührt, ſeine Macht geltend zu machen gewußt; aber es war zu ſpät; er ſelbſt verſank in Unthätigkeit und Schwäche, die Satrapen behielten ihre allzumächtige Stellung, und die Völker, namentlich der weſtlichen Satrapien, vergaßen unter dem erneuten Druck nicht, daß ſie ſchon nahe daran geweſen, ihn abzuthun. Nach neuen und furchtbaren Verwirrungen war endlich der Thron an Darius gekommen; er hätte ſtatt tugendhaft energiſch, ſtatt ſanftmüthig grauſam, ſtatt ehrwürdig Despot ſein müſſen, wenn das Reich durch ihn ſollte gerettet werden; er hatte die Achtung der Perſer, und alle Satrapen waren ihm ergeben, aber das rettete

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/116>, abgerufen am 29.03.2024.