Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald sollte sich zeigen,
wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als
die Gunst und die Vertheidigung eines Herrn, an dem sie Alles,
nur nicht Herrschergröße bewunderten.

Darius Reich erstreckte sich vom Indus bis zum Hellenischen
Meere, vom Jaxartes bis zur Libyschen Wüste. Seine oder viel-
mehr seiner Satrapen Herrschaft war nicht nach dem Charakter der
verschiedenen Völker, über die sie herrschten, verschieden; sie war
nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or-
ganisation gesichert, sie beschränkte sich auf momentane Willkühr,
auf stete Erpressungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie sie, ganz
gegen den Sinn einer despotischen Herrschaft, unter den schwachen
Fürsten üblich geworden war, so daß der Großkönig kaum noch
eine andere Gewalt über sie hatte, als die der Waffen oder die,
welche sie aus persönlichen Rücksichten anerkennen mochten. Die
volksthümlichen Zustände, welche in allen Ländern des Persischen
Reiches fortbestanden, machten den morschen Koloß nur noch unfä-
higer, sich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu-
ran und Ariana waren allerdings kriegerisch, und mit jeder Art
von Herrschaft glücklich, so lange sie diese zu Krieg und Plünderung
führte, und Hyrkanische, Baktrische, Sogdianische Reuter bildeten
die stehenden Satrapenheere in den meisten Provinzen; aber beson-
dere Anhänglichkeit für das Persische Königthum war keinesweges
bei ihnen zu finden, und so furchtbar sie einst in den Völkerheeren
des Cyrus und Cambyses zum Angriff gewesen waren, eben so un-
fähig waren sie zur ernsten und gehaltenen Vertheidigung, zumal
wenn sie Griechische Kriegskunst und Tapferkeit gegenüber hatten.
Die westlichen Völker gar, stets nur durch Gewalt und oft mit
Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein siegreicher
Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Persische Sache zu
verlassen; kaum waren die Griechen der Kleinasiatischen Küste durch
Tyrannen, deren Existenz von der Macht der Satrapen und des
Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im
Inneren der Halbinsel hatten, seit zwei Jahrhunderten im härtesten
Druck, weder die Kraft noch das Interesse, sich für Persien zu er-
heben; selbst an den früheren Empörungen der Kleinasiatischen Sa-
trapien hatten sie nicht Theil genommen, sie waren stumpf, träge

nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald ſollte ſich zeigen,
wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als
die Gunſt und die Vertheidigung eines Herrn, an dem ſie Alles,
nur nicht Herrſchergröße bewunderten.

Darius Reich erſtreckte ſich vom Indus bis zum Helleniſchen
Meere, vom Jaxartes bis zur Libyſchen Wüſte. Seine oder viel-
mehr ſeiner Satrapen Herrſchaft war nicht nach dem Charakter der
verſchiedenen Völker, über die ſie herrſchten, verſchieden; ſie war
nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or-
ganiſation geſichert, ſie beſchränkte ſich auf momentane Willkühr,
auf ſtete Erpreſſungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie ſie, ganz
gegen den Sinn einer despotiſchen Herrſchaft, unter den ſchwachen
Fürſten üblich geworden war, ſo daß der Großkönig kaum noch
eine andere Gewalt über ſie hatte, als die der Waffen oder die,
welche ſie aus perſönlichen Rückſichten anerkennen mochten. Die
volksthümlichen Zuſtände, welche in allen Ländern des Perſiſchen
Reiches fortbeſtanden, machten den morſchen Koloß nur noch unfä-
higer, ſich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu-
ran und Ariana waren allerdings kriegeriſch, und mit jeder Art
von Herrſchaft glücklich, ſo lange ſie dieſe zu Krieg und Plünderung
führte, und Hyrkaniſche, Baktriſche, Sogdianiſche Reuter bildeten
die ſtehenden Satrapenheere in den meiſten Provinzen; aber beſon-
dere Anhänglichkeit für das Perſiſche Königthum war keinesweges
bei ihnen zu finden, und ſo furchtbar ſie einſt in den Völkerheeren
des Cyrus und Cambyſes zum Angriff geweſen waren, eben ſo un-
fähig waren ſie zur ernſten und gehaltenen Vertheidigung, zumal
wenn ſie Griechiſche Kriegskunſt und Tapferkeit gegenüber hatten.
Die weſtlichen Völker gar, ſtets nur durch Gewalt und oft mit
Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein ſiegreicher
Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Perſiſche Sache zu
verlaſſen; kaum waren die Griechen der Kleinaſiatiſchen Küſte durch
Tyrannen, deren Exiſtenz von der Macht der Satrapen und des
Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im
Inneren der Halbinſel hatten, ſeit zwei Jahrhunderten im härteſten
Druck, weder die Kraft noch das Intereſſe, ſich für Perſien zu er-
heben; ſelbſt an den früheren Empörungen der Kleinaſiatiſchen Sa-
trapien hatten ſie nicht Theil genommen, ſie waren ſtumpf, träge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="103"/>
nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald &#x017F;ollte &#x017F;ich zeigen,<lb/>
wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als<lb/>
die Gun&#x017F;t und die Vertheidigung eines Herrn, an dem &#x017F;ie Alles,<lb/>
nur nicht Herr&#x017F;chergröße bewunderten.</p><lb/>
          <p>Darius Reich er&#x017F;treckte &#x017F;ich vom Indus bis zum Helleni&#x017F;chen<lb/>
Meere, vom Jaxartes bis zur Liby&#x017F;chen Wü&#x017F;te. Seine oder viel-<lb/>
mehr &#x017F;einer Satrapen Herr&#x017F;chaft war nicht nach dem Charakter der<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Völker, über die &#x017F;ie herr&#x017F;chten, ver&#x017F;chieden; &#x017F;ie war<lb/>
nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or-<lb/>
gani&#x017F;ation ge&#x017F;ichert, &#x017F;ie be&#x017F;chränkte &#x017F;ich auf momentane Willkühr,<lb/>
auf &#x017F;tete Erpre&#x017F;&#x017F;ungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie &#x017F;ie, ganz<lb/>
gegen den Sinn einer despoti&#x017F;chen Herr&#x017F;chaft, unter den &#x017F;chwachen<lb/>
Für&#x017F;ten üblich geworden war, &#x017F;o daß der Großkönig kaum noch<lb/>
eine andere Gewalt über &#x017F;ie hatte, als die der Waffen oder die,<lb/>
welche &#x017F;ie aus per&#x017F;önlichen Rück&#x017F;ichten anerkennen mochten. Die<lb/>
volksthümlichen Zu&#x017F;tände, welche in allen Ländern des Per&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Reiches fortbe&#x017F;tanden, machten den mor&#x017F;chen Koloß nur noch unfä-<lb/>
higer, &#x017F;ich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu-<lb/>
ran und Ariana waren allerdings kriegeri&#x017F;ch, und mit jeder Art<lb/>
von Herr&#x017F;chaft glücklich, &#x017F;o lange &#x017F;ie die&#x017F;e zu Krieg und Plünderung<lb/>
führte, und Hyrkani&#x017F;che, Baktri&#x017F;che, Sogdiani&#x017F;che Reuter bildeten<lb/>
die &#x017F;tehenden Satrapenheere in den mei&#x017F;ten Provinzen; aber be&#x017F;on-<lb/>
dere Anhänglichkeit für das Per&#x017F;i&#x017F;che Königthum war keinesweges<lb/>
bei ihnen zu finden, und &#x017F;o furchtbar &#x017F;ie ein&#x017F;t in den Völkerheeren<lb/>
des Cyrus und Camby&#x017F;es zum Angriff gewe&#x017F;en waren, eben &#x017F;o un-<lb/>
fähig waren &#x017F;ie zur ern&#x017F;ten und gehaltenen Vertheidigung, zumal<lb/>
wenn &#x017F;ie Griechi&#x017F;che Kriegskun&#x017F;t und Tapferkeit gegenüber hatten.<lb/>
Die we&#x017F;tlichen Völker gar, &#x017F;tets nur durch Gewalt und oft mit<lb/>
Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein &#x017F;iegreicher<lb/>
Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Per&#x017F;i&#x017F;che Sache zu<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en; kaum waren die Griechen der Kleina&#x017F;iati&#x017F;chen Kü&#x017F;te durch<lb/>
Tyrannen, deren Exi&#x017F;tenz von der Macht der Satrapen und des<lb/>
Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im<lb/>
Inneren der Halbin&#x017F;el hatten, &#x017F;eit zwei Jahrhunderten im härte&#x017F;ten<lb/>
Druck, weder die Kraft noch das Intere&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;ich für Per&#x017F;ien zu er-<lb/>
heben; &#x017F;elb&#x017F;t an den früheren Empörungen der Kleina&#x017F;iati&#x017F;chen Sa-<lb/>
trapien hatten &#x017F;ie nicht Theil genommen, &#x017F;ie waren &#x017F;tumpf, träge<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0117] nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald ſollte ſich zeigen, wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als die Gunſt und die Vertheidigung eines Herrn, an dem ſie Alles, nur nicht Herrſchergröße bewunderten. Darius Reich erſtreckte ſich vom Indus bis zum Helleniſchen Meere, vom Jaxartes bis zur Libyſchen Wüſte. Seine oder viel- mehr ſeiner Satrapen Herrſchaft war nicht nach dem Charakter der verſchiedenen Völker, über die ſie herrſchten, verſchieden; ſie war nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or- ganiſation geſichert, ſie beſchränkte ſich auf momentane Willkühr, auf ſtete Erpreſſungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie ſie, ganz gegen den Sinn einer despotiſchen Herrſchaft, unter den ſchwachen Fürſten üblich geworden war, ſo daß der Großkönig kaum noch eine andere Gewalt über ſie hatte, als die der Waffen oder die, welche ſie aus perſönlichen Rückſichten anerkennen mochten. Die volksthümlichen Zuſtände, welche in allen Ländern des Perſiſchen Reiches fortbeſtanden, machten den morſchen Koloß nur noch unfä- higer, ſich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu- ran und Ariana waren allerdings kriegeriſch, und mit jeder Art von Herrſchaft glücklich, ſo lange ſie dieſe zu Krieg und Plünderung führte, und Hyrkaniſche, Baktriſche, Sogdianiſche Reuter bildeten die ſtehenden Satrapenheere in den meiſten Provinzen; aber beſon- dere Anhänglichkeit für das Perſiſche Königthum war keinesweges bei ihnen zu finden, und ſo furchtbar ſie einſt in den Völkerheeren des Cyrus und Cambyſes zum Angriff geweſen waren, eben ſo un- fähig waren ſie zur ernſten und gehaltenen Vertheidigung, zumal wenn ſie Griechiſche Kriegskunſt und Tapferkeit gegenüber hatten. Die weſtlichen Völker gar, ſtets nur durch Gewalt und oft mit Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein ſiegreicher Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Perſiſche Sache zu verlaſſen; kaum waren die Griechen der Kleinaſiatiſchen Küſte durch Tyrannen, deren Exiſtenz von der Macht der Satrapen und des Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im Inneren der Halbinſel hatten, ſeit zwei Jahrhunderten im härteſten Druck, weder die Kraft noch das Intereſſe, ſich für Perſien zu er- heben; ſelbſt an den früheren Empörungen der Kleinaſiatiſchen Sa- trapien hatten ſie nicht Theil genommen, ſie waren ſtumpf, träge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/117
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/117>, abgerufen am 29.03.2024.