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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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gessen, daß sie eines Königs Gemahlin sei, er habe sie und die
Mutter und die Kinder in höchsten Ehren gehalten bis auf diesen
Tag, er habe die königliche Leiche mit aller Pracht nach Persischer
Weise bestatten lassen und mit Thränen ihr Gedächtniß geehrt.
Bestürzt fragte Darius, ob sie keusch, ob sie treu geblieben, ob
Alexander sie nicht gezwungen habe zu seinem, wider ihren Willen.
Da warf sich der treue Eunuch ihm zu Füßen und beschwor ihn,
nicht das Andenken seiner edlen Herrin zu beschimpfen, und sich
nicht selbst in seinem endlosen Unglück den letzten Trost zu rauben,
den, von einem Feinde überwunden zu sein, der mehr als ein Sterb-
licher zu sein scheine; er schwur es mit den höchsten Eiden, daß
Statira treu und keusch gestorben, daß Alexanders Tugend eben so
groß sei als seine Kühnheit. Und Darius hob die Hände gen
Himmel und sprach: "Du, großer Ormuzd, und Ihr, Geister des
Lichtes, wollet das Reich mir erhalten, das Ihr in meine Hand
gegeben; doch soll ich nicht länger Asiens Herr sein, so gebt die
Tiara des großen Cyrus keinem Anderen als dem Macedonier
Alexander" 1). --

Und schon waren die Boten des Königs ausgesendet in alle
Satrapien des Reichs, von dem, wenn auch große, doch im Ver-
hältniß zum Ganzen nicht bedeutende Länderstrecken in Feindeshand
waren. Noch war alles Gebiet innerhalb und jenseits der Gebirge

1) Wir haben uns erlaubt, diese Erzählung mit den meisten
Schriftstellern, denen auch Plutarch cp. 30. gefolgt ist, zu wiederho-
len, da sie Arrian IV. 20., der manches Abweichende hat, nicht nach
Ptolemäus und Aristobul zu erzählen scheint. Namentlich läßt sie
Arrian noch bei Lebzeiten der Königin, von deren Schwangerschaft er
nichts erwähnt, und zwar bald nach der Schlacht von Issus vorfal-
len, wobei auffallen müßte, daß der treue Eunuch von seiner Herrin,
deren Hüter er war, entflohen, und ohne Vorwurf von Darius an-
genommen wäre. Curtius in seiner manierirten Weise läßt, damit
Alexander bei der Leiche der Königin schön thun kann, Statira un-
mittelbar vor der Schlacht von Arbela, also zwei Jahre nach ihrer
Gefangennehmung, sterben, was dem gelehrten St. Croix Anlaß zu
einer eben so seichten wie equivoquen Kritik gegeben hat. Will man
für jene Flucht des Eunuchen eine Zeitangabe, so möchte sie wenig-
stens vor der Einnahme von Tyrus zu setzen sein.

geſſen, daß ſie eines Königs Gemahlin ſei, er habe ſie und die
Mutter und die Kinder in höchſten Ehren gehalten bis auf dieſen
Tag, er habe die königliche Leiche mit aller Pracht nach Perſiſcher
Weiſe beſtatten laſſen und mit Thränen ihr Gedächtniß geehrt.
Beſtürzt fragte Darius, ob ſie keuſch, ob ſie treu geblieben, ob
Alexander ſie nicht gezwungen habe zu ſeinem, wider ihren Willen.
Da warf ſich der treue Eunuch ihm zu Füßen und beſchwor ihn,
nicht das Andenken ſeiner edlen Herrin zu beſchimpfen, und ſich
nicht ſelbſt in ſeinem endloſen Unglück den letzten Troſt zu rauben,
den, von einem Feinde überwunden zu ſein, der mehr als ein Sterb-
licher zu ſein ſcheine; er ſchwur es mit den höchſten Eiden, daß
Statira treu und keuſch geſtorben, daß Alexanders Tugend eben ſo
groß ſei als ſeine Kühnheit. Und Darius hob die Hände gen
Himmel und ſprach: „Du, großer Ormuzd, und Ihr, Geiſter des
Lichtes, wollet das Reich mir erhalten, das Ihr in meine Hand
gegeben; doch ſoll ich nicht länger Aſiens Herr ſein, ſo gebt die
Tiara des großen Cyrus keinem Anderen als dem Macedonier
Alexander“ 1). —

Und ſchon waren die Boten des Königs ausgeſendet in alle
Satrapien des Reichs, von dem, wenn auch große, doch im Ver-
hältniß zum Ganzen nicht bedeutende Länderſtrecken in Feindeshand
waren. Noch war alles Gebiet innerhalb und jenſeits der Gebirge

1) Wir haben uns erlaubt, dieſe Erzählung mit den meiſten
Schriftſtellern, denen auch Plutarch cp. 30. gefolgt iſt, zu wiederho-
len, da ſie Arrian IV. 20., der manches Abweichende hat, nicht nach
Ptolemäus und Ariſtobul zu erzählen ſcheint. Namentlich läßt ſie
Arrian noch bei Lebzeiten der Königin, von deren Schwangerſchaft er
nichts erwähnt, und zwar bald nach der Schlacht von Iſſus vorfal-
len, wobei auffallen müßte, daß der treue Eunuch von ſeiner Herrin,
deren Hüter er war, entflohen, und ohne Vorwurf von Darius an-
genommen wäre. Curtius in ſeiner manierirten Weiſe läßt, damit
Alexander bei der Leiche der Königin ſchön thun kann, Statira un-
mittelbar vor der Schlacht von Arbela, alſo zwei Jahre nach ihrer
Gefangennehmung, ſterben, was dem gelehrten St. Croix Anlaß zu
einer eben ſo ſeichten wie equivoquen Kritik gegeben hat. Will man
für jene Flucht des Eunuchen eine Zeitangabe, ſo möchte ſie wenig-
ſtens vor der Einnahme von Tyrus zu ſetzen ſein.
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[207/0221] geſſen, daß ſie eines Königs Gemahlin ſei, er habe ſie und die Mutter und die Kinder in höchſten Ehren gehalten bis auf dieſen Tag, er habe die königliche Leiche mit aller Pracht nach Perſiſcher Weiſe beſtatten laſſen und mit Thränen ihr Gedächtniß geehrt. Beſtürzt fragte Darius, ob ſie keuſch, ob ſie treu geblieben, ob Alexander ſie nicht gezwungen habe zu ſeinem, wider ihren Willen. Da warf ſich der treue Eunuch ihm zu Füßen und beſchwor ihn, nicht das Andenken ſeiner edlen Herrin zu beſchimpfen, und ſich nicht ſelbſt in ſeinem endloſen Unglück den letzten Troſt zu rauben, den, von einem Feinde überwunden zu ſein, der mehr als ein Sterb- licher zu ſein ſcheine; er ſchwur es mit den höchſten Eiden, daß Statira treu und keuſch geſtorben, daß Alexanders Tugend eben ſo groß ſei als ſeine Kühnheit. Und Darius hob die Hände gen Himmel und ſprach: „Du, großer Ormuzd, und Ihr, Geiſter des Lichtes, wollet das Reich mir erhalten, das Ihr in meine Hand gegeben; doch ſoll ich nicht länger Aſiens Herr ſein, ſo gebt die Tiara des großen Cyrus keinem Anderen als dem Macedonier Alexander“ 1). — Und ſchon waren die Boten des Königs ausgeſendet in alle Satrapien des Reichs, von dem, wenn auch große, doch im Ver- hältniß zum Ganzen nicht bedeutende Länderſtrecken in Feindeshand waren. Noch war alles Gebiet innerhalb und jenſeits der Gebirge 1) Wir haben uns erlaubt, dieſe Erzählung mit den meiſten Schriftſtellern, denen auch Plutarch cp. 30. gefolgt iſt, zu wiederho- len, da ſie Arrian IV. 20., der manches Abweichende hat, nicht nach Ptolemäus und Ariſtobul zu erzählen ſcheint. Namentlich läßt ſie Arrian noch bei Lebzeiten der Königin, von deren Schwangerſchaft er nichts erwähnt, und zwar bald nach der Schlacht von Iſſus vorfal- len, wobei auffallen müßte, daß der treue Eunuch von ſeiner Herrin, deren Hüter er war, entflohen, und ohne Vorwurf von Darius an- genommen wäre. Curtius in ſeiner manierirten Weiſe läßt, damit Alexander bei der Leiche der Königin ſchön thun kann, Statira un- mittelbar vor der Schlacht von Arbela, alſo zwei Jahre nach ihrer Gefangennehmung, ſterben, was dem gelehrten St. Croix Anlaß zu einer eben ſo ſeichten wie equivoquen Kritik gegeben hat. Will man für jene Flucht des Eunuchen eine Zeitangabe, ſo möchte ſie wenig- ſtens vor der Einnahme von Tyrus zu ſetzen ſein.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/221>, abgerufen am 28.03.2024.