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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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nur Theben wurde für seinen treulosen Abfall bestraft, es mußte
300 Verbannte wieder in die Stadt nehmen, die Feinde Philipps
des Landes verweisen, seine Freunde an die Spitze der Regierung
stellen, endlich eine Besatzung in die Kadmea nehmen, die nicht
bloß Theben, sondern zugleich Attika und das ganze Hellas zu be-
obachten und in Ruhe zu halten vermochte; ferner wurden Orcho-
menos und Platää, die von Theben zur Zeit seiner Hegemonie zer-
stört waren, wieder aufgebaut. Mit so viel Strenge wie Theben,
mit eben so viel Nachsicht wurde Athen behandelt, dessen Gebiet
der König nicht betrat; für die Insel Samos wurde es mit dem
Gebiet von Oropus entschädigt; es erhielt alle Gefangenen ohne Löse-
geld frei, und mußte sich nur verpflichten, zum Bundestage nach
Korinth im nächsten Frühling Gesandte zu schicken. Dann zog der
König nach dem Peloponnes, und ordnete die dortigen Angelegen-
heiten, namentlich die Grenzen der Messenier, der Argiver, der Te-
geaten und Megalopolitaner gegen Sparta. Dann kamen die Ge-
sandten aller Griechischen Staaten, mit Ausnahme Spartas, auf
dem Isthmus von Korinth zusammen; Philipps Freigebigkeit und
Leutseligkeit gewann die Gemüther, seine Redner trugen die Wün-
sche des Königs vor, denen sich niemand zu widersetzen wagte; er
wurde zum Oberfeldherrn der Griechen mit unumschränkter Gewalt
erwählt, um im Namen aller Griechen den Frevel, den die Bar-
baren an den heimischen Tempeln geübt hätten, zu rächen, und den
großen Nationalkrieg der Griechen gegen Persien zu vollenden.
Dann kehrte er nach Macedonien zurück, um alle Vorbereitungen
zum großen Kriege zu treffen.

So stand Philipp an der Spitze des freien Griechenlands, das, in
sich zu vielbewegtem Einzelleben atomistisch aufgelöst, und, so lange
alle Kraft nur nach Innen gewandt war, in furchtbaren Kämpfen
zerrissen, doch eine Beweglichkeit und Ueberfülle individuellen Lebens
entwickelt hatte, die allein im Stande war, die abgestorbenen Völ-
kermassen Asiens mit einem neuen Leben zu durchgähren. -- Die
Griechen wurden weder ihrer Freiheit noch Selbstständigkeit be-
raubt, nur mußte diese Selbstständigkeit, die in sich ohnmächtig und
nicht mehr das Höchste der Zeit war, mit der monarchischen Hoheit
Macedoniens überwölbt, und ihre Freiheit, in jener endlosen Zer-
splitterung und Beweglichkeit, zu der einen That, die ihre Erfüllung

sein

nur Theben wurde für ſeinen treuloſen Abfall beſtraft, es mußte
300 Verbannte wieder in die Stadt nehmen, die Feinde Philipps
des Landes verweiſen, ſeine Freunde an die Spitze der Regierung
ſtellen, endlich eine Beſatzung in die Kadmea nehmen, die nicht
bloß Theben, ſondern zugleich Attika und das ganze Hellas zu be-
obachten und in Ruhe zu halten vermochte; ferner wurden Orcho-
menos und Platää, die von Theben zur Zeit ſeiner Hegemonie zer-
ſtört waren, wieder aufgebaut. Mit ſo viel Strenge wie Theben,
mit eben ſo viel Nachſicht wurde Athen behandelt, deſſen Gebiet
der König nicht betrat; für die Inſel Samos wurde es mit dem
Gebiet von Oropus entſchädigt; es erhielt alle Gefangenen ohne Löſe-
geld frei, und mußte ſich nur verpflichten, zum Bundestage nach
Korinth im nächſten Frühling Geſandte zu ſchicken. Dann zog der
König nach dem Peloponnes, und ordnete die dortigen Angelegen-
heiten, namentlich die Grenzen der Meſſenier, der Argiver, der Te-
geaten und Megalopolitaner gegen Sparta. Dann kamen die Ge-
ſandten aller Griechiſchen Staaten, mit Ausnahme Spartas, auf
dem Iſthmus von Korinth zuſammen; Philipps Freigebigkeit und
Leutſeligkeit gewann die Gemüther, ſeine Redner trugen die Wün-
ſche des Königs vor, denen ſich niemand zu widerſetzen wagte; er
wurde zum Oberfeldherrn der Griechen mit unumſchränkter Gewalt
erwählt, um im Namen aller Griechen den Frevel, den die Bar-
baren an den heimiſchen Tempeln geübt hätten, zu rächen, und den
großen Nationalkrieg der Griechen gegen Perſien zu vollenden.
Dann kehrte er nach Macedonien zurück, um alle Vorbereitungen
zum großen Kriege zu treffen.

So ſtand Philipp an der Spitze des freien Griechenlands, das, in
ſich zu vielbewegtem Einzelleben atomiſtiſch aufgelöſt, und, ſo lange
alle Kraft nur nach Innen gewandt war, in furchtbaren Kämpfen
zerriſſen, doch eine Beweglichkeit und Ueberfülle individuellen Lebens
entwickelt hatte, die allein im Stande war, die abgeſtorbenen Völ-
kermaſſen Aſiens mit einem neuen Leben zu durchgähren. — Die
Griechen wurden weder ihrer Freiheit noch Selbſtſtändigkeit be-
raubt, nur mußte dieſe Selbſtſtändigkeit, die in ſich ohnmächtig und
nicht mehr das Höchſte der Zeit war, mit der monarchiſchen Hoheit
Macedoniens überwölbt, und ihre Freiheit, in jener endloſen Zer-
ſplitterung und Beweglichkeit, zu der einen That, die ihre Erfüllung

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[16/0030] nur Theben wurde für ſeinen treuloſen Abfall beſtraft, es mußte 300 Verbannte wieder in die Stadt nehmen, die Feinde Philipps des Landes verweiſen, ſeine Freunde an die Spitze der Regierung ſtellen, endlich eine Beſatzung in die Kadmea nehmen, die nicht bloß Theben, ſondern zugleich Attika und das ganze Hellas zu be- obachten und in Ruhe zu halten vermochte; ferner wurden Orcho- menos und Platää, die von Theben zur Zeit ſeiner Hegemonie zer- ſtört waren, wieder aufgebaut. Mit ſo viel Strenge wie Theben, mit eben ſo viel Nachſicht wurde Athen behandelt, deſſen Gebiet der König nicht betrat; für die Inſel Samos wurde es mit dem Gebiet von Oropus entſchädigt; es erhielt alle Gefangenen ohne Löſe- geld frei, und mußte ſich nur verpflichten, zum Bundestage nach Korinth im nächſten Frühling Geſandte zu ſchicken. Dann zog der König nach dem Peloponnes, und ordnete die dortigen Angelegen- heiten, namentlich die Grenzen der Meſſenier, der Argiver, der Te- geaten und Megalopolitaner gegen Sparta. Dann kamen die Ge- ſandten aller Griechiſchen Staaten, mit Ausnahme Spartas, auf dem Iſthmus von Korinth zuſammen; Philipps Freigebigkeit und Leutſeligkeit gewann die Gemüther, ſeine Redner trugen die Wün- ſche des Königs vor, denen ſich niemand zu widerſetzen wagte; er wurde zum Oberfeldherrn der Griechen mit unumſchränkter Gewalt erwählt, um im Namen aller Griechen den Frevel, den die Bar- baren an den heimiſchen Tempeln geübt hätten, zu rächen, und den großen Nationalkrieg der Griechen gegen Perſien zu vollenden. Dann kehrte er nach Macedonien zurück, um alle Vorbereitungen zum großen Kriege zu treffen. So ſtand Philipp an der Spitze des freien Griechenlands, das, in ſich zu vielbewegtem Einzelleben atomiſtiſch aufgelöſt, und, ſo lange alle Kraft nur nach Innen gewandt war, in furchtbaren Kämpfen zerriſſen, doch eine Beweglichkeit und Ueberfülle individuellen Lebens entwickelt hatte, die allein im Stande war, die abgeſtorbenen Völ- kermaſſen Aſiens mit einem neuen Leben zu durchgähren. — Die Griechen wurden weder ihrer Freiheit noch Selbſtſtändigkeit be- raubt, nur mußte dieſe Selbſtſtändigkeit, die in ſich ohnmächtig und nicht mehr das Höchſte der Zeit war, mit der monarchiſchen Hoheit Macedoniens überwölbt, und ihre Freiheit, in jener endloſen Zer- ſplitterung und Beweglichkeit, zu der einen That, die ihre Erfüllung ſein

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/30>, abgerufen am 18.04.2024.