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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Siebentes Kapitel.
Der Indische Feldzug
.

Indien, durch die vollendete Eigenthümlichkeit seiner Natur, sei-
ner Bevölkerung, seiner Civilisation in sich abgeschlossen, ist lange
Jahrhunderte hindurch von den geschichtlichen Bewegungen der
Westwelt unberührt geblieben. Von zweien Seiten umfluthen es
Oceanische Meere, in denen erst spät Wissenschaft und Betriebsam-
keit die Straßen der leichtesten und sichersten Verbindung finden
sollte; von zweien anderen Seiten thürmen sich in doppelter und
dreifacher Umwallung Gebirgsmassen auf, durch deren Schneepässe
und glühende Felsspalten der fromme Pilger, der wandernde Han-
delsmann, der Räuber der Wüste einen mühsamen Weg findet.
Auch bedarf dieß Land der Hindu nicht des Verkehrs mit der Welt
draußen; vielgestaltig in sich, überreich an Erzeugnissen aller An,
bis zum Unglaublichen bevölkert, hat es in vollendeter Selbststän-
digkeit eine Geschichte von Jahrtausenden entwickelt; ihre Erinne-
rungen sind dem eigenen Volke fast verschwunden, in zeit- und raum-
losen Phantastereien scheint dessen Gedächtniß verkommen zu sein,
seit es aufgehört hat, sich selbst anzugehören; aber dem voraus liegt
eine Vergangenheit großer und mannich faltiger Entwickelungen; in ih-
rer Blüthe scheint sie der Macedonische Eroberer gesehen zu haben, der
erste Fremdling des Abendlandes, der den Weg nach Indien gefunden.

Ein Strom durchbricht den Felsenwall, der Indien von der
Westwelt scheiden sollte; entsprungen aus jenen Bergen, denen
dicht aneinander die Gewässer von Turan und Ariana, von Balk
und Kandahar entquellen, stürzt er sich ostwärts zu dem Bette des
Indus hinab; umsonst thürmen sich im Norden und Süden

Siebentes Kapitel.
Der Indiſche Feldzug
.

Indien, durch die vollendete Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Natur, ſei-
ner Bevoͤlkerung, ſeiner Civiliſation in ſich abgeſchloſſen, iſt lange
Jahrhunderte hindurch von den geſchichtlichen Bewegungen der
Weſtwelt unberuͤhrt geblieben. Von zweien Seiten umfluthen es
Oceaniſche Meere, in denen erſt ſpaͤt Wiſſenſchaft und Betriebſam-
keit die Straßen der leichteſten und ſicherſten Verbindung finden
ſollte; von zweien anderen Seiten thuͤrmen ſich in doppelter und
dreifacher Umwallung Gebirgsmaſſen auf, durch deren Schneepaͤſſe
und gluͤhende Felsſpalten der fromme Pilger, der wandernde Han-
delsmann, der Raͤuber der Wuͤſte einen muͤhſamen Weg findet.
Auch bedarf dieß Land der Hindu nicht des Verkehrs mit der Welt
draußen; vielgeſtaltig in ſich, uͤberreich an Erzeugniſſen aller An,
bis zum Unglaublichen bevoͤlkert, hat es in vollendeter Selbſtſtaͤn-
digkeit eine Geſchichte von Jahrtauſenden entwickelt; ihre Erinne-
rungen ſind dem eigenen Volke faſt verſchwunden, in zeit- und raum-
loſen Phantaſtereien ſcheint deſſen Gedaͤchtniß verkommen zu ſein,
ſeit es aufgehoͤrt hat, ſich ſelbſt anzugehoͤren; aber dem voraus liegt
eine Vergangenheit großer und mannich faltiger Entwickelungen; in ih-
rer Bluͤthe ſcheint ſie der Macedoniſche Eroberer geſehen zu haben, der
erſte Fremdling des Abendlandes, der den Weg nach Indien gefunden.

Ein Strom durchbricht den Felſenwall, der Indien von der
Weſtwelt ſcheiden ſollte; entſprungen aus jenen Bergen, denen
dicht aneinander die Gewaͤſſer von Turan und Ariana, von Balk
und Kandahar entquellen, ſtuͤrzt er ſich oſtwaͤrts zu dem Bette des
Indus hinab; umſonſt thuͤrmen ſich im Norden und Suͤden

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[[358]/0372] Siebentes Kapitel. Der Indiſche Feldzug. Indien, durch die vollendete Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Natur, ſei- ner Bevoͤlkerung, ſeiner Civiliſation in ſich abgeſchloſſen, iſt lange Jahrhunderte hindurch von den geſchichtlichen Bewegungen der Weſtwelt unberuͤhrt geblieben. Von zweien Seiten umfluthen es Oceaniſche Meere, in denen erſt ſpaͤt Wiſſenſchaft und Betriebſam- keit die Straßen der leichteſten und ſicherſten Verbindung finden ſollte; von zweien anderen Seiten thuͤrmen ſich in doppelter und dreifacher Umwallung Gebirgsmaſſen auf, durch deren Schneepaͤſſe und gluͤhende Felsſpalten der fromme Pilger, der wandernde Han- delsmann, der Raͤuber der Wuͤſte einen muͤhſamen Weg findet. Auch bedarf dieß Land der Hindu nicht des Verkehrs mit der Welt draußen; vielgeſtaltig in ſich, uͤberreich an Erzeugniſſen aller An, bis zum Unglaublichen bevoͤlkert, hat es in vollendeter Selbſtſtaͤn- digkeit eine Geſchichte von Jahrtauſenden entwickelt; ihre Erinne- rungen ſind dem eigenen Volke faſt verſchwunden, in zeit- und raum- loſen Phantaſtereien ſcheint deſſen Gedaͤchtniß verkommen zu ſein, ſeit es aufgehoͤrt hat, ſich ſelbſt anzugehoͤren; aber dem voraus liegt eine Vergangenheit großer und mannich faltiger Entwickelungen; in ih- rer Bluͤthe ſcheint ſie der Macedoniſche Eroberer geſehen zu haben, der erſte Fremdling des Abendlandes, der den Weg nach Indien gefunden. Ein Strom durchbricht den Felſenwall, der Indien von der Weſtwelt ſcheiden ſollte; entſprungen aus jenen Bergen, denen dicht aneinander die Gewaͤſſer von Turan und Ariana, von Balk und Kandahar entquellen, ſtuͤrzt er ſich oſtwaͤrts zu dem Bette des Indus hinab; umſonſt thuͤrmen ſich im Norden und Suͤden

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. [358]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/372>, abgerufen am 29.03.2024.