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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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dann war Theben und ganz Griechenland frei, dann die Schande
von Chäronea gerächt, und der Bundestag von Korinth, dies Trug-
bild von Selbstständigkeit und Sicherheit, verschwand vor dem fröh-
lichen Lichte eines neuen Morgens, der schon über Griechenland
heranzubrechen schien. Da verbreitete sich das Gerücht, die Mace-
donier rückten in Eilmärschen heran, sie ständen nur zwei Meilen
entfernt in Onchestus. Die Aufrührer beschwichtigten das Volk:
es werde Antipater sein, seit Alexander todt sei, brauche man die
Macedonier nicht zu fürchten. Dann kamen Boten: es sei Alexan-
der selbst; sie wurden übel empfangen: Alexander, der Lynkestier,
Aeropus Sohn sei es, der wahrscheinlich das Reich geerbt habe,
den brauche man nicht zu fürchten. Tags drauf stand der König
Alexander, der todtgeglaubte, mit zwanzigtausend Mann Fußvolk
und dreitausend Reutern unter den Mauern der Stadt.

In der That war dies plötzliche Erscheinen Alexanders ein
Räthsel, das nur die Kühnheit seiner Operationen und die außer-
ordentliche Geübtheit seiner Truppen erklärte. Noch vierzehn Tage
früher hatte er fern im Norden vor Pellion gestanden, und die Il-
lyrier und Taulantiner über die Grenzgebirge zurückgeworfen; da
erhielt er die Nachricht von der Empörung der Thebaner, und
rückte durch die Landschaften Eordäa und Elymiotis, das Thal des
Haliakmon hinab, durch die Perrhäbischen Pässe nach Thessalien hin-
ein, von da durch die Thermopylen nach Onchestus 94). Sein

94) Wir dürfen nicht unbemerkt lassen, daß nach dem Aeschines,
welchen Mitford gelesen, in Thessalien ein Aufstand der Perrhäber,
welche unterthänige Schutzgenossen der eigentlichen Thessalier gewesen
seien, gleichzeitig mit dem Thebanischen erfolgt sei, und der Thessali-
schen Bundesversammlung Veranlassung gegeben habe, den Thebanern
und Athenern den Krieg zu erklären. Dafür citirt der gelehrte Eng-
länder Aeschin. de cor. p. 548 ed. Reisk. Wir finden in der gan-
zen Rede nichts dem Aehnliches; denn was p. 436 und p. 439 ed.
Beck
. erwähnt wird, gehört nach dem unmittelbaren Zusammenhang
jener Stellen in ganz andere Zeiten. Vielmehr muß man annehmen,
daß die Thessalische Ritterschaft von Pelline aus mit zu Felde gezo-
gen ist; die dreitausend Ritter im Heere vor Theben bestehen unleug-
bar aus funfzehnhundert Macedoniern und eben so viel Thessaliern;

dann war Theben und ganz Griechenland frei, dann die Schande
von Chäronea gerächt, und der Bundestag von Korinth, dies Trug-
bild von Selbſtſtändigkeit und Sicherheit, verſchwand vor dem fröh-
lichen Lichte eines neuen Morgens, der ſchon über Griechenland
heranzubrechen ſchien. Da verbreitete ſich das Gerücht, die Mace-
donier rückten in Eilmärſchen heran, ſie ſtänden nur zwei Meilen
entfernt in Oncheſtus. Die Aufrührer beſchwichtigten das Volk:
es werde Antipater ſein, ſeit Alexander todt ſei, brauche man die
Macedonier nicht zu fürchten. Dann kamen Boten: es ſei Alexan-
der ſelbſt; ſie wurden übel empfangen: Alexander, der Lynkeſtier,
Aeropus Sohn ſei es, der wahrſcheinlich das Reich geerbt habe,
den brauche man nicht zu fürchten. Tags drauf ſtand der König
Alexander, der todtgeglaubte, mit zwanzigtauſend Mann Fußvolk
und dreitauſend Reutern unter den Mauern der Stadt.

In der That war dies plötzliche Erſcheinen Alexanders ein
Räthſel, das nur die Kühnheit ſeiner Operationen und die außer-
ordentliche Geübtheit ſeiner Truppen erklärte. Noch vierzehn Tage
früher hatte er fern im Norden vor Pellion geſtanden, und die Il-
lyrier und Taulantiner über die Grenzgebirge zurückgeworfen; da
erhielt er die Nachricht von der Empörung der Thebaner, und
rückte durch die Landſchaften Eordäa und Elymiotis, das Thal des
Haliakmon hinab, durch die Perrhäbiſchen Päſſe nach Theſſalien hin-
ein, von da durch die Thermopylen nach Oncheſtus 94). Sein

94) Wir dürfen nicht unbemerkt laſſen, daß nach dem Aeſchines,
welchen Mitford geleſen, in Theſſalien ein Aufſtand der Perrhäber,
welche unterthänige Schutzgenoſſen der eigentlichen Theſſalier geweſen
ſeien, gleichzeitig mit dem Thebaniſchen erfolgt ſei, und der Theſſali-
ſchen Bundesverſammlung Veranlaſſung gegeben habe, den Thebanern
und Athenern den Krieg zu erklären. Dafür citirt der gelehrte Eng-
länder Aeschin. de cor. p. 548 ed. Reisk. Wir finden in der gan-
zen Rede nichts dem Aehnliches; denn was p. 436 und p. 439 ed.
Beck
. erwähnt wird, gehört nach dem unmittelbaren Zuſammenhang
jener Stellen in ganz andere Zeiten. Vielmehr muß man annehmen,
daß die Theſſaliſche Ritterſchaft von Pelline aus mit zu Felde gezo-
gen iſt; die dreitauſend Ritter im Heere vor Theben beſtehen unleug-
bar aus funfzehnhundert Macedoniern und eben ſo viel Theſſaliern;
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[82/0096] dann war Theben und ganz Griechenland frei, dann die Schande von Chäronea gerächt, und der Bundestag von Korinth, dies Trug- bild von Selbſtſtändigkeit und Sicherheit, verſchwand vor dem fröh- lichen Lichte eines neuen Morgens, der ſchon über Griechenland heranzubrechen ſchien. Da verbreitete ſich das Gerücht, die Mace- donier rückten in Eilmärſchen heran, ſie ſtänden nur zwei Meilen entfernt in Oncheſtus. Die Aufrührer beſchwichtigten das Volk: es werde Antipater ſein, ſeit Alexander todt ſei, brauche man die Macedonier nicht zu fürchten. Dann kamen Boten: es ſei Alexan- der ſelbſt; ſie wurden übel empfangen: Alexander, der Lynkeſtier, Aeropus Sohn ſei es, der wahrſcheinlich das Reich geerbt habe, den brauche man nicht zu fürchten. Tags drauf ſtand der König Alexander, der todtgeglaubte, mit zwanzigtauſend Mann Fußvolk und dreitauſend Reutern unter den Mauern der Stadt. In der That war dies plötzliche Erſcheinen Alexanders ein Räthſel, das nur die Kühnheit ſeiner Operationen und die außer- ordentliche Geübtheit ſeiner Truppen erklärte. Noch vierzehn Tage früher hatte er fern im Norden vor Pellion geſtanden, und die Il- lyrier und Taulantiner über die Grenzgebirge zurückgeworfen; da erhielt er die Nachricht von der Empörung der Thebaner, und rückte durch die Landſchaften Eordäa und Elymiotis, das Thal des Haliakmon hinab, durch die Perrhäbiſchen Päſſe nach Theſſalien hin- ein, von da durch die Thermopylen nach Oncheſtus 94). Sein 94) Wir dürfen nicht unbemerkt laſſen, daß nach dem Aeſchines, welchen Mitford geleſen, in Theſſalien ein Aufſtand der Perrhäber, welche unterthänige Schutzgenoſſen der eigentlichen Theſſalier geweſen ſeien, gleichzeitig mit dem Thebaniſchen erfolgt ſei, und der Theſſali- ſchen Bundesverſammlung Veranlaſſung gegeben habe, den Thebanern und Athenern den Krieg zu erklären. Dafür citirt der gelehrte Eng- länder Aeschin. de cor. p. 548 ed. Reisk. Wir finden in der gan- zen Rede nichts dem Aehnliches; denn was p. 436 und p. 439 ed. Beck. erwähnt wird, gehört nach dem unmittelbaren Zuſammenhang jener Stellen in ganz andere Zeiten. Vielmehr muß man annehmen, daß die Theſſaliſche Ritterſchaft von Pelline aus mit zu Felde gezo- gen iſt; die dreitauſend Ritter im Heere vor Theben beſtehen unleug- bar aus funfzehnhundert Macedoniern und eben ſo viel Theſſaliern;

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/96>, abgerufen am 29.03.2024.