Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 25.
Erhebliche Vermehrung der Anzahl der Wieder-
holungen.

Es wäre von Interesse zu wissen, ob die annähernde
Proportionalität zwischen der Anzahl der Wiederholungen
einer Reihe und der dadurch ermöglichten Arbeitsersparnis bei
dem Wiedererlernen der letzteren, die für meine Individualität
innerhalb gewisser Grenzen stattzufinden scheint, auch noch
jenseit dieser Grenzen fortbesteht. Wenn auch weiterhin
durch jede Wiederholung für die Reproduktion nach 24 Stun-
den ein knappes Drittel ihres eigenen Wertes gespart wird,
so müsste ich eine 16silbige Reihe nach 24 Stunden bei ge-
gebenem Anfangsglied gerade noch spontan reproducieren
können, falls ich sie heute reichlich dreimal so lange memo-
rierte, als zu ihrem Auswendiglernen gerade erforderlich ist.
Da dieses letztere Erfordernis etwa 31--32 Wiederholungen
beträgt, so wären zur Erreichung des erstgenannten Zieles
ungefähr 100 Wiederholungen nötig. Überhaupt könnte man
dann -- bei allgemeinerer Geltung der gefundenen Bezie-
hung -- für eine beliebige Art von Reihen, für die man erst
sozusagen den Nachwirkungskoefficienten der Wiederholungen
ermittelt hätte, direkt berechnen, wie oft sie jetzt wiederholt
werden müssten, damit sie nach 24 Stunden noch gerade her-
gesagt werden könnten.

Ich habe diese Frage nicht durch weitere Steigerung der
Wiederholungen von bis dahin unbekannten 16silbigen Reihen
untersucht, weil, wie oben schon gesagt, bei erheblicher Aus-
dehnung der Versuche die zunehmende Ermüdung und eine
gewisse Schläfrigkeit Komplikationen herbeiführen. Vielmehr
habe ich probeweise einige Versuche teils mit kürzeren, teils

Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. 6
§ 25.
Erhebliche Vermehrung der Anzahl der Wieder-
holungen.

Es wäre von Interesse zu wissen, ob die annähernde
Proportionalität zwischen der Anzahl der Wiederholungen
einer Reihe und der dadurch ermöglichten Arbeitsersparnis bei
dem Wiedererlernen der letzteren, die für meine Individualität
innerhalb gewisser Grenzen stattzufinden scheint, auch noch
jenseit dieser Grenzen fortbesteht. Wenn auch weiterhin
durch jede Wiederholung für die Reproduktion nach 24 Stun-
den ein knappes Drittel ihres eigenen Wertes gespart wird,
so müſste ich eine 16silbige Reihe nach 24 Stunden bei ge-
gebenem Anfangsglied gerade noch spontan reproducieren
können, falls ich sie heute reichlich dreimal so lange memo-
rierte, als zu ihrem Auswendiglernen gerade erforderlich ist.
Da dieses letztere Erfordernis etwa 31—32 Wiederholungen
beträgt, so wären zur Erreichung des erstgenannten Zieles
ungefähr 100 Wiederholungen nötig. Überhaupt könnte man
dann — bei allgemeinerer Geltung der gefundenen Bezie-
hung — für eine beliebige Art von Reihen, für die man erst
sozusagen den Nachwirkungskoefficienten der Wiederholungen
ermittelt hätte, direkt berechnen, wie oft sie jetzt wiederholt
werden müſsten, damit sie nach 24 Stunden noch gerade her-
gesagt werden könnten.

Ich habe diese Frage nicht durch weitere Steigerung der
Wiederholungen von bis dahin unbekannten 16silbigen Reihen
untersucht, weil, wie oben schon gesagt, bei erheblicher Aus-
dehnung der Versuche die zunehmende Ermüdung und eine
gewisse Schläfrigkeit Komplikationen herbeiführen. Vielmehr
habe ich probeweise einige Versuche teils mit kürzeren, teils

Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0097" n="81"/>
        <div n="2">
          <head>§ 25.<lb/><hi rendition="#b">Erhebliche Vermehrung der Anzahl der Wieder-<lb/>
holungen.</hi></head><lb/>
          <p>Es wäre von Interesse zu wissen, ob die annähernde<lb/>
Proportionalität zwischen der Anzahl der Wiederholungen<lb/>
einer Reihe und der dadurch ermöglichten Arbeitsersparnis bei<lb/>
dem Wiedererlernen der letzteren, die für meine Individualität<lb/>
innerhalb gewisser Grenzen stattzufinden scheint, auch noch<lb/>
jenseit dieser Grenzen fortbesteht. Wenn auch weiterhin<lb/>
durch jede Wiederholung für die Reproduktion nach 24 Stun-<lb/>
den ein knappes Drittel ihres eigenen Wertes gespart wird,<lb/>
so mü&#x017F;ste ich eine 16silbige Reihe nach 24 Stunden bei ge-<lb/>
gebenem Anfangsglied gerade noch spontan reproducieren<lb/>
können, falls ich sie heute reichlich dreimal so lange memo-<lb/>
rierte, als zu ihrem Auswendiglernen gerade erforderlich ist.<lb/>
Da dieses letztere Erfordernis etwa 31&#x2014;32 Wiederholungen<lb/>
beträgt, so wären zur Erreichung des erstgenannten Zieles<lb/>
ungefähr 100 Wiederholungen nötig. Überhaupt könnte man<lb/>
dann &#x2014; bei allgemeinerer Geltung der gefundenen Bezie-<lb/>
hung &#x2014; für eine beliebige Art von Reihen, für die man erst<lb/>
sozusagen den Nachwirkungskoefficienten der Wiederholungen<lb/>
ermittelt hätte, direkt berechnen, wie oft sie jetzt wiederholt<lb/>
werden mü&#x017F;sten, damit sie nach 24 Stunden noch gerade her-<lb/>
gesagt werden könnten.</p><lb/>
          <p>Ich habe diese Frage nicht durch weitere Steigerung der<lb/>
Wiederholungen von bis dahin unbekannten 16silbigen Reihen<lb/>
untersucht, weil, wie oben schon gesagt, bei erheblicher Aus-<lb/>
dehnung der Versuche die zunehmende Ermüdung und eine<lb/>
gewisse Schläfrigkeit Komplikationen herbeiführen. Vielmehr<lb/>
habe ich probeweise einige Versuche teils mit kürzeren, teils<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ebbinghaus</hi>, Über das Gedächtnis. 6</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0097] § 25. Erhebliche Vermehrung der Anzahl der Wieder- holungen. Es wäre von Interesse zu wissen, ob die annähernde Proportionalität zwischen der Anzahl der Wiederholungen einer Reihe und der dadurch ermöglichten Arbeitsersparnis bei dem Wiedererlernen der letzteren, die für meine Individualität innerhalb gewisser Grenzen stattzufinden scheint, auch noch jenseit dieser Grenzen fortbesteht. Wenn auch weiterhin durch jede Wiederholung für die Reproduktion nach 24 Stun- den ein knappes Drittel ihres eigenen Wertes gespart wird, so müſste ich eine 16silbige Reihe nach 24 Stunden bei ge- gebenem Anfangsglied gerade noch spontan reproducieren können, falls ich sie heute reichlich dreimal so lange memo- rierte, als zu ihrem Auswendiglernen gerade erforderlich ist. Da dieses letztere Erfordernis etwa 31—32 Wiederholungen beträgt, so wären zur Erreichung des erstgenannten Zieles ungefähr 100 Wiederholungen nötig. Überhaupt könnte man dann — bei allgemeinerer Geltung der gefundenen Bezie- hung — für eine beliebige Art von Reihen, für die man erst sozusagen den Nachwirkungskoefficienten der Wiederholungen ermittelt hätte, direkt berechnen, wie oft sie jetzt wiederholt werden müſsten, damit sie nach 24 Stunden noch gerade her- gesagt werden könnten. Ich habe diese Frage nicht durch weitere Steigerung der Wiederholungen von bis dahin unbekannten 16silbigen Reihen untersucht, weil, wie oben schon gesagt, bei erheblicher Aus- dehnung der Versuche die zunehmende Ermüdung und eine gewisse Schläfrigkeit Komplikationen herbeiführen. Vielmehr habe ich probeweise einige Versuche teils mit kürzeren, teils Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/97
Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/97>, abgerufen am 28.03.2024.