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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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neuen Heimat und bald darauf in den ihr zur einstweiligen
Wohnung angewiesenen Räumen des Weiberhauses.

Kambyses, Bartja und die uns bekannten Freunde,
standen noch, von hundert glänzenden Würdenträgern um-
geben, in dem mit bunten Teppichen belegten Schloßhofe,
als man laute Weiberstimmen vernahm und eine wunder-
schöne junge Perserin, in kostbaren Kleidern, reiche Per-
lenschnüre in den vollen blonden Haaren tragend, von
mehreren älteren Frauen verfolgt, in den Hof und den
Männern entgegen stürzte.

Kambyses stellte sich der Ungestümen lächelnd in den
Weg; das Mädchen aber schlüpfte mit einer geschickten
Wendung an ihm vorbei und hing einen Augenblick später,
bald lachend, bald weinend, an Bartjas Halse.

Die verfolgenden Frauen warfen sich in ehrerbietiger
Entfernung auf die Erde nieder; Kambyses aber rief, als
das Mädchen den Heimgekehrten mit immer neuen Lieb-
kosungen überhäufte: "Schäme Dich, Atossa! Bedenke,
daß Du, seitdem Du die Ohrringe trägst 20), aufgehört
hast, ein Kind zu sein. Jch habe nichts dagegen, wenn
Du Freude über die Heimkehr Deines Bruders empfindest,
aber selbst in der Freude darf eine königliche Jungfrau
der Schicklichkeit nicht vergessen. Mach', daß Du zu der
Mutter zurückkommst! Dort drüben seh' ich Deine Wär-
terinnen. Geh, und sage ihnen, ich wolle Dich an
diesem Freudentage straflos lassen! Drängst Du Dich zum
Zweitenmale in diese, jedem Unberufenen verschlossenen
Räume, so lasse ich Dich von Boges zwölf Tage lang
einsperren. Merke Dir das, Du Wildfang, und sage der
Mutter, ich würde sie sogleich mit Bartja besuchen. Gib
mir einen Kuß! Du willst nicht, Du schmollst? Warte,
Trotzkopf!"

neuen Heimat und bald darauf in den ihr zur einſtweiligen
Wohnung angewieſenen Räumen des Weiberhauſes.

Kambyſes, Bartja und die uns bekannten Freunde,
ſtanden noch, von hundert glänzenden Würdenträgern um-
geben, in dem mit bunten Teppichen belegten Schloßhofe,
als man laute Weiberſtimmen vernahm und eine wunder-
ſchöne junge Perſerin, in koſtbaren Kleidern, reiche Per-
lenſchnüre in den vollen blonden Haaren tragend, von
mehreren älteren Frauen verfolgt, in den Hof und den
Männern entgegen ſtürzte.

Kambyſes ſtellte ſich der Ungeſtümen lächelnd in den
Weg; das Mädchen aber ſchlüpfte mit einer geſchickten
Wendung an ihm vorbei und hing einen Augenblick ſpäter,
bald lachend, bald weinend, an Bartjas Halſe.

Die verfolgenden Frauen warfen ſich in ehrerbietiger
Entfernung auf die Erde nieder; Kambyſes aber rief, als
das Mädchen den Heimgekehrten mit immer neuen Lieb-
koſungen überhäufte: „Schäme Dich, Atoſſa! Bedenke,
daß Du, ſeitdem Du die Ohrringe trägſt 20), aufgehört
haſt, ein Kind zu ſein. Jch habe nichts dagegen, wenn
Du Freude über die Heimkehr Deines Bruders empfindeſt,
aber ſelbſt in der Freude darf eine königliche Jungfrau
der Schicklichkeit nicht vergeſſen. Mach’, daß Du zu der
Mutter zurückkommſt! Dort drüben ſeh’ ich Deine Wär-
terinnen. Geh, und ſage ihnen, ich wolle Dich an
dieſem Freudentage ſtraflos laſſen! Drängſt Du Dich zum
Zweitenmale in dieſe, jedem Unberufenen verſchloſſenen
Räume, ſo laſſe ich Dich von Boges zwölf Tage lang
einſperren. Merke Dir das, Du Wildfang, und ſage der
Mutter, ich würde ſie ſogleich mit Bartja beſuchen. Gib
mir einen Kuß! Du willſt nicht, Du ſchmollſt? Warte,
Trotzkopf!“

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[18/0020] neuen Heimat und bald darauf in den ihr zur einſtweiligen Wohnung angewieſenen Räumen des Weiberhauſes. Kambyſes, Bartja und die uns bekannten Freunde, ſtanden noch, von hundert glänzenden Würdenträgern um- geben, in dem mit bunten Teppichen belegten Schloßhofe, als man laute Weiberſtimmen vernahm und eine wunder- ſchöne junge Perſerin, in koſtbaren Kleidern, reiche Per- lenſchnüre in den vollen blonden Haaren tragend, von mehreren älteren Frauen verfolgt, in den Hof und den Männern entgegen ſtürzte. Kambyſes ſtellte ſich der Ungeſtümen lächelnd in den Weg; das Mädchen aber ſchlüpfte mit einer geſchickten Wendung an ihm vorbei und hing einen Augenblick ſpäter, bald lachend, bald weinend, an Bartjas Halſe. Die verfolgenden Frauen warfen ſich in ehrerbietiger Entfernung auf die Erde nieder; Kambyſes aber rief, als das Mädchen den Heimgekehrten mit immer neuen Lieb- koſungen überhäufte: „Schäme Dich, Atoſſa! Bedenke, daß Du, ſeitdem Du die Ohrringe trägſt 20), aufgehört haſt, ein Kind zu ſein. Jch habe nichts dagegen, wenn Du Freude über die Heimkehr Deines Bruders empfindeſt, aber ſelbſt in der Freude darf eine königliche Jungfrau der Schicklichkeit nicht vergeſſen. Mach’, daß Du zu der Mutter zurückkommſt! Dort drüben ſeh’ ich Deine Wär- terinnen. Geh, und ſage ihnen, ich wolle Dich an dieſem Freudentage ſtraflos laſſen! Drängſt Du Dich zum Zweitenmale in dieſe, jedem Unberufenen verſchloſſenen Räume, ſo laſſe ich Dich von Boges zwölf Tage lang einſperren. Merke Dir das, Du Wildfang, und ſage der Mutter, ich würde ſie ſogleich mit Bartja beſuchen. Gib mir einen Kuß! Du willſt nicht, Du ſchmollſt? Warte, Trotzkopf!“

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/20>, abgerufen am 29.03.2024.