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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Der König schien im Gedanken an die Jagd seine
Erschlaffung vollständig abgeschüttelt zu haben und wollte
die Halle verlassen, als sich Hystaspes von Neuem ihm
zu Füßen warf und mit erhobenen Händen ausrief: "Soll
mein Sohn, soll Dein Bruder unschuldig sterben? Bei
der Seele Deines Vaters, der mich seinen treusten Freund
zu nennen pflegte, beschwöre ich Dich, diesen edlen Fremd-
ling anzuhören!"

Kambyses blieb stehen. Seine Stirn umzog sich mit
neuen Falten, seine Stimme klang drohend, und seine
Augen sprühten Blitze, als er dem Griechen, die Hand
gegen ihn erhebend, zurief: "Sage, was Du weißt; be-
denke aber, daß Du mit jedem unwahren Worte Dein
eigenes Todesurtheil aussprichst!"

Phanes hörte ihn vollkommen ruhig an und sagte,
indem er sich anmuthsvoll verneigte: "Der Sonne und
meinem Könige kann nichts verborgen bleiben. Wie ver-
möchte ein armer Sterblicher so Gewaltigen die Wahrheit
zu verschließen? Der edle Hystaspes sagt, ich vermöge
die Unschuld Deines Bruders sicher zu beweisen; ich aber
kann nur hoffen und wünschen, daß mir so Großes und
Schönes gelingen möge. Jedenfalls haben mich die Götter
eine Spur auffinden lassen, welche wohl geeignet scheint,
ein ganz neues Licht auf die gestrigen Vorgänge zu werfen.
Beurtheile selbst, ob ich allzukühn gehofft und allzuschnellen
Verdacht geschöpft habe; bedenke aber stets, daß mein
Wille, Dir zu dienen, redlich, und mein Jrrthum, wenn
ich mich täuschte, verzeihlich war; bedenke, daß es nichts
Gewisses auf der Welt gibt, und daß ein Jeder eben das,
was er für das Wahrscheinlichste hält, untrüglich zu nennen
pflegt."

"Du sprichst gut und erinnerst mich durch Deine

Ebers, Eine ägyptische Königstochter. II. 14

Der König ſchien im Gedanken an die Jagd ſeine
Erſchlaffung vollſtändig abgeſchüttelt zu haben und wollte
die Halle verlaſſen, als ſich Hyſtaspes von Neuem ihm
zu Füßen warf und mit erhobenen Händen ausrief: „Soll
mein Sohn, ſoll Dein Bruder unſchuldig ſterben? Bei
der Seele Deines Vaters, der mich ſeinen treuſten Freund
zu nennen pflegte, beſchwöre ich Dich, dieſen edlen Fremd-
ling anzuhören!“

Kambyſes blieb ſtehen. Seine Stirn umzog ſich mit
neuen Falten, ſeine Stimme klang drohend, und ſeine
Augen ſprühten Blitze, als er dem Griechen, die Hand
gegen ihn erhebend, zurief: „Sage, was Du weißt; be-
denke aber, daß Du mit jedem unwahren Worte Dein
eigenes Todesurtheil ausſprichſt!“

Phanes hörte ihn vollkommen ruhig an und ſagte,
indem er ſich anmuthsvoll verneigte: „Der Sonne und
meinem Könige kann nichts verborgen bleiben. Wie ver-
möchte ein armer Sterblicher ſo Gewaltigen die Wahrheit
zu verſchließen? Der edle Hyſtaspes ſagt, ich vermöge
die Unſchuld Deines Bruders ſicher zu beweiſen; ich aber
kann nur hoffen und wünſchen, daß mir ſo Großes und
Schönes gelingen möge. Jedenfalls haben mich die Götter
eine Spur auffinden laſſen, welche wohl geeignet ſcheint,
ein ganz neues Licht auf die geſtrigen Vorgänge zu werfen.
Beurtheile ſelbſt, ob ich allzukühn gehofft und allzuſchnellen
Verdacht geſchöpft habe; bedenke aber ſtets, daß mein
Wille, Dir zu dienen, redlich, und mein Jrrthum, wenn
ich mich täuſchte, verzeihlich war; bedenke, daß es nichts
Gewiſſes auf der Welt gibt, und daß ein Jeder eben das,
was er für das Wahrſcheinlichſte hält, untrüglich zu nennen
pflegt.“

„Du ſprichſt gut und erinnerſt mich durch Deine

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[209/0211] Der König ſchien im Gedanken an die Jagd ſeine Erſchlaffung vollſtändig abgeſchüttelt zu haben und wollte die Halle verlaſſen, als ſich Hyſtaspes von Neuem ihm zu Füßen warf und mit erhobenen Händen ausrief: „Soll mein Sohn, ſoll Dein Bruder unſchuldig ſterben? Bei der Seele Deines Vaters, der mich ſeinen treuſten Freund zu nennen pflegte, beſchwöre ich Dich, dieſen edlen Fremd- ling anzuhören!“ Kambyſes blieb ſtehen. Seine Stirn umzog ſich mit neuen Falten, ſeine Stimme klang drohend, und ſeine Augen ſprühten Blitze, als er dem Griechen, die Hand gegen ihn erhebend, zurief: „Sage, was Du weißt; be- denke aber, daß Du mit jedem unwahren Worte Dein eigenes Todesurtheil ausſprichſt!“ Phanes hörte ihn vollkommen ruhig an und ſagte, indem er ſich anmuthsvoll verneigte: „Der Sonne und meinem Könige kann nichts verborgen bleiben. Wie ver- möchte ein armer Sterblicher ſo Gewaltigen die Wahrheit zu verſchließen? Der edle Hyſtaspes ſagt, ich vermöge die Unſchuld Deines Bruders ſicher zu beweiſen; ich aber kann nur hoffen und wünſchen, daß mir ſo Großes und Schönes gelingen möge. Jedenfalls haben mich die Götter eine Spur auffinden laſſen, welche wohl geeignet ſcheint, ein ganz neues Licht auf die geſtrigen Vorgänge zu werfen. Beurtheile ſelbſt, ob ich allzukühn gehofft und allzuſchnellen Verdacht geſchöpft habe; bedenke aber ſtets, daß mein Wille, Dir zu dienen, redlich, und mein Jrrthum, wenn ich mich täuſchte, verzeihlich war; bedenke, daß es nichts Gewiſſes auf der Welt gibt, und daß ein Jeder eben das, was er für das Wahrſcheinlichſte hält, untrüglich zu nennen pflegt.“ „Du ſprichſt gut und erinnerſt mich durch Deine Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 14

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/211>, abgerufen am 18.04.2024.