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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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"O nein," rief Kassandane, "ein so langes Dasein
würde mir, selbst wenn Mithra das Licht meiner Augen
erneuern wollte, furchtbar scheinen. Ohne meinen Gatten
komm ich mir vor wie ein Wandrer, der sonder Ziel und
Führer die Wüste durchirrt."

"Vergißt Du denn ganz Deine Kinder und dieses
Reich, welches Du entstehen und wachsen sahst?"

"O nein! Aber die Kinder bedürfen meiner nicht
mehr, und der Beherrscher dieses Reiches ist zu stolz, um
auf den Rath eines Weibes zu hören."

Jetzt ergriff Atossa die rechte, Nitetis die linke Hand
der Greisin, und die Aegypterin rief: "Um Deiner Töchter,
um unsres Glückes willen mußt Du Dir ein langes Le-
ben wünschen. Was wären wir ohne Deinen Schutz und
Deine Hülfe?"

Kassandane lächelte und murmelte kaum hörbar: "Jhr
habt recht, ihr werdet der Mutter bedürfen."

"An diesen Worten erkenn ich die Gattin des Ky-
ros," rief Krösus, das Gewand der Blinden küssend. "Jch
sage Dir, Kassandane, daß man Deiner bedürfen wird,
wer weiß wie bald! Kambyses ist ein harter Stahl, der
Funken weckt, wohin er schlägt. Deine Pflicht ist es, da-
für zu sorgen, daß diese Funken keine Feuersbrunst im
Kreise Derjenigen, welche Deinem Herzen die Liebsten sind,
entzünden. Du bist die Einzige, welche den Aufwallun-
gen des Königs eine Mahnung entgegensetzen darf; Dich
allein betrachtet er als ebenbürtig seiner Majestät. Er
verachtet das Urtheil aller Menschen; aber der Tadel sei-
ner Mutter thut ihm weh. -- So ist es denn Deine
Pflicht, als Vermittlerin zwischen dem Könige, dem
Reiche und den Deinen auszuharren und dafür zu
sorgen, daß der Stolz Deines Sohnes nicht, statt von

„O nein,“ rief Kaſſandane, „ein ſo langes Daſein
würde mir, ſelbſt wenn Mithra das Licht meiner Augen
erneuern wollte, furchtbar ſcheinen. Ohne meinen Gatten
komm ich mir vor wie ein Wandrer, der ſonder Ziel und
Führer die Wüſte durchirrt.“

„Vergißt Du denn ganz Deine Kinder und dieſes
Reich, welches Du entſtehen und wachſen ſahſt?“

„O nein! Aber die Kinder bedürfen meiner nicht
mehr, und der Beherrſcher dieſes Reiches iſt zu ſtolz, um
auf den Rath eines Weibes zu hören.“

Jetzt ergriff Atoſſa die rechte, Nitetis die linke Hand
der Greiſin, und die Aegypterin rief: „Um Deiner Töchter,
um unſres Glückes willen mußt Du Dir ein langes Le-
ben wünſchen. Was wären wir ohne Deinen Schutz und
Deine Hülfe?“

Kaſſandane lächelte und murmelte kaum hörbar: „Jhr
habt recht, ihr werdet der Mutter bedürfen.“

„An dieſen Worten erkenn ich die Gattin des Ky-
ros,“ rief Kröſus, das Gewand der Blinden küſſend. „Jch
ſage Dir, Kaſſandane, daß man Deiner bedürfen wird,
wer weiß wie bald! Kambyſes iſt ein harter Stahl, der
Funken weckt, wohin er ſchlägt. Deine Pflicht iſt es, da-
für zu ſorgen, daß dieſe Funken keine Feuersbrunſt im
Kreiſe Derjenigen, welche Deinem Herzen die Liebſten ſind,
entzünden. Du biſt die Einzige, welche den Aufwallun-
gen des Königs eine Mahnung entgegenſetzen darf; Dich
allein betrachtet er als ebenbürtig ſeiner Majeſtät. Er
verachtet das Urtheil aller Menſchen; aber der Tadel ſei-
ner Mutter thut ihm weh. — So iſt es denn Deine
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[45/0047] „O nein,“ rief Kaſſandane, „ein ſo langes Daſein würde mir, ſelbſt wenn Mithra das Licht meiner Augen erneuern wollte, furchtbar ſcheinen. Ohne meinen Gatten komm ich mir vor wie ein Wandrer, der ſonder Ziel und Führer die Wüſte durchirrt.“ „Vergißt Du denn ganz Deine Kinder und dieſes Reich, welches Du entſtehen und wachſen ſahſt?“ „O nein! Aber die Kinder bedürfen meiner nicht mehr, und der Beherrſcher dieſes Reiches iſt zu ſtolz, um auf den Rath eines Weibes zu hören.“ Jetzt ergriff Atoſſa die rechte, Nitetis die linke Hand der Greiſin, und die Aegypterin rief: „Um Deiner Töchter, um unſres Glückes willen mußt Du Dir ein langes Le- ben wünſchen. Was wären wir ohne Deinen Schutz und Deine Hülfe?“ Kaſſandane lächelte und murmelte kaum hörbar: „Jhr habt recht, ihr werdet der Mutter bedürfen.“ „An dieſen Worten erkenn ich die Gattin des Ky- ros,“ rief Kröſus, das Gewand der Blinden küſſend. „Jch ſage Dir, Kaſſandane, daß man Deiner bedürfen wird, wer weiß wie bald! Kambyſes iſt ein harter Stahl, der Funken weckt, wohin er ſchlägt. Deine Pflicht iſt es, da- für zu ſorgen, daß dieſe Funken keine Feuersbrunſt im Kreiſe Derjenigen, welche Deinem Herzen die Liebſten ſind, entzünden. Du biſt die Einzige, welche den Aufwallun- gen des Königs eine Mahnung entgegenſetzen darf; Dich allein betrachtet er als ebenbürtig ſeiner Majeſtät. Er verachtet das Urtheil aller Menſchen; aber der Tadel ſei- ner Mutter thut ihm weh. — So iſt es denn Deine Pflicht, als Vermittlerin zwiſchen dem Könige, dem Reiche und den Deinen auszuharren und dafür zu ſorgen, daß der Stolz Deines Sohnes nicht, ſtatt von

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/47>, abgerufen am 29.03.2024.