Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeinen und der Hofrath Rehbein bemerkte, daß
das poetische Talent der Frauenzimmer ihm oft als eine
Art von geistigem Geschlechtstrieb vorkomme. "Da hö¬
ren Sie nur, sagte Goethe lachend, indem er mich an¬
sah, geistigen Geschlechtstrieb! -- wie der Arzt
das zurechtlegt! --" Ich weiß nicht, ob ich mich recht
ausdrücke, fuhr dieser fort, aber es ist so etwas. Ge¬
wöhnlich haben diese Wesen das Glück der Liebe nicht
genossen und sie suchen nun in geistigen Richtungen
Ersatz. Wären sie zu rechter Zeit verheirathet und hät¬
ten sie Kinder geboren, sie würden an poetische Pro¬
ductionen nicht gedacht haben.

"Ich will nicht untersuchen, sagte Goethe, in wie¬
fern Sie in diesem Falle Recht haben; aber bey Frauen¬
zimmer-Talenten anderer Art habe ich immer gefunden,
daß sie mit der Ehe aufhörten. Ich habe Mädchen
gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber sobald sie Frauen
und Mütter wurden, war es aus; sie hatten mit den
Kindern zu thun und nahmen keinen Griffel mehr in
die Hand."

"Doch unsere Dichterinnen, fuhr er sehr lebhaft
fort, möchten immer dichten und schreiben, soviel sie
wollten, wenn nur unsere Männer nicht wie die Weiber
schrieben! Aber das ist es, was mir nicht gefällt. Man
sehe doch nur unsere Zeitschriften und Taschenbücher, wie
das alles so schwach ist und immer schwächer wird! --
Wenn man jetzt ein Capitel des Cellini im Mor¬

Allgemeinen und der Hofrath Rehbein bemerkte, daß
das poetiſche Talent der Frauenzimmer ihm oft als eine
Art von geiſtigem Geſchlechtstrieb vorkomme. „Da hoͤ¬
ren Sie nur, ſagte Goethe lachend, indem er mich an¬
ſah, geiſtigen Geſchlechtstrieb! — wie der Arzt
das zurechtlegt! —“ Ich weiß nicht, ob ich mich recht
ausdruͤcke, fuhr dieſer fort, aber es iſt ſo etwas. Ge¬
woͤhnlich haben dieſe Weſen das Gluͤck der Liebe nicht
genoſſen und ſie ſuchen nun in geiſtigen Richtungen
Erſatz. Waͤren ſie zu rechter Zeit verheirathet und haͤt¬
ten ſie Kinder geboren, ſie wuͤrden an poetiſche Pro¬
ductionen nicht gedacht haben.

„Ich will nicht unterſuchen, ſagte Goethe, in wie¬
fern Sie in dieſem Falle Recht haben; aber bey Frauen¬
zimmer-Talenten anderer Art habe ich immer gefunden,
daß ſie mit der Ehe aufhoͤrten. Ich habe Maͤdchen
gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber ſobald ſie Frauen
und Muͤtter wurden, war es aus; ſie hatten mit den
Kindern zu thun und nahmen keinen Griffel mehr in
die Hand.“

„Doch unſere Dichterinnen, fuhr er ſehr lebhaft
fort, moͤchten immer dichten und ſchreiben, ſoviel ſie
wollten, wenn nur unſere Maͤnner nicht wie die Weiber
ſchrieben! Aber das iſt es, was mir nicht gefaͤllt. Man
ſehe doch nur unſere Zeitſchriften und Taſchenbuͤcher, wie
das alles ſo ſchwach iſt und immer ſchwaͤcher wird! —
Wenn man jetzt ein Capitel des Cellini im Mor¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="186"/>
Allgemeinen und der Hofrath Rehbein bemerkte, daß<lb/>
das poeti&#x017F;che Talent der Frauenzimmer ihm oft als eine<lb/>
Art von gei&#x017F;tigem Ge&#x017F;chlechtstrieb vorkomme. &#x201E;Da ho&#x0364;¬<lb/>
ren Sie nur, &#x017F;agte Goethe lachend, indem er mich an¬<lb/>
&#x017F;ah, <hi rendition="#g">gei&#x017F;tigen Ge&#x017F;chlechtstrieb</hi>! &#x2014; wie der Arzt<lb/>
das zurechtlegt! &#x2014;&#x201C; Ich weiß nicht, ob ich mich recht<lb/>
ausdru&#x0364;cke, fuhr die&#x017F;er fort, aber es i&#x017F;t &#x017F;o etwas. Ge¬<lb/>
wo&#x0364;hnlich haben die&#x017F;e We&#x017F;en das Glu&#x0364;ck der Liebe nicht<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ie &#x017F;uchen nun in gei&#x017F;tigen Richtungen<lb/>
Er&#x017F;atz. Wa&#x0364;ren &#x017F;ie zu rechter Zeit verheirathet und ha&#x0364;<lb/>
ten &#x017F;ie Kinder geboren, &#x017F;ie wu&#x0364;rden an poeti&#x017F;che Pro¬<lb/>
ductionen nicht gedacht haben.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich will nicht unter&#x017F;uchen, &#x017F;agte Goethe, in wie¬<lb/>
fern Sie in die&#x017F;em Falle Recht haben; aber bey Frauen¬<lb/>
zimmer-Talenten anderer Art habe ich immer gefunden,<lb/>
daß &#x017F;ie mit der Ehe aufho&#x0364;rten. Ich habe Ma&#x0364;dchen<lb/>
gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber &#x017F;obald &#x017F;ie Frauen<lb/>
und Mu&#x0364;tter wurden, war es aus; &#x017F;ie hatten mit den<lb/>
Kindern zu thun und nahmen keinen Griffel mehr in<lb/>
die Hand.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Doch un&#x017F;ere Dichterinnen, fuhr er &#x017F;ehr lebhaft<lb/>
fort, mo&#x0364;chten immer dichten und &#x017F;chreiben, &#x017F;oviel &#x017F;ie<lb/>
wollten, wenn nur un&#x017F;ere Ma&#x0364;nner nicht wie die Weiber<lb/>
&#x017F;chrieben! Aber das i&#x017F;t es, was mir nicht gefa&#x0364;llt. Man<lb/>
&#x017F;ehe doch nur un&#x017F;ere Zeit&#x017F;chriften und Ta&#x017F;chenbu&#x0364;cher, wie<lb/>
das alles &#x017F;o &#x017F;chwach i&#x017F;t und immer &#x017F;chwa&#x0364;cher wird! &#x2014;<lb/>
Wenn man jetzt ein Capitel des <hi rendition="#g">Cellini</hi> im Mor¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0206] Allgemeinen und der Hofrath Rehbein bemerkte, daß das poetiſche Talent der Frauenzimmer ihm oft als eine Art von geiſtigem Geſchlechtstrieb vorkomme. „Da hoͤ¬ ren Sie nur, ſagte Goethe lachend, indem er mich an¬ ſah, geiſtigen Geſchlechtstrieb! — wie der Arzt das zurechtlegt! —“ Ich weiß nicht, ob ich mich recht ausdruͤcke, fuhr dieſer fort, aber es iſt ſo etwas. Ge¬ woͤhnlich haben dieſe Weſen das Gluͤck der Liebe nicht genoſſen und ſie ſuchen nun in geiſtigen Richtungen Erſatz. Waͤren ſie zu rechter Zeit verheirathet und haͤt¬ ten ſie Kinder geboren, ſie wuͤrden an poetiſche Pro¬ ductionen nicht gedacht haben. „Ich will nicht unterſuchen, ſagte Goethe, in wie¬ fern Sie in dieſem Falle Recht haben; aber bey Frauen¬ zimmer-Talenten anderer Art habe ich immer gefunden, daß ſie mit der Ehe aufhoͤrten. Ich habe Maͤdchen gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber ſobald ſie Frauen und Muͤtter wurden, war es aus; ſie hatten mit den Kindern zu thun und nahmen keinen Griffel mehr in die Hand.“ „Doch unſere Dichterinnen, fuhr er ſehr lebhaft fort, moͤchten immer dichten und ſchreiben, ſoviel ſie wollten, wenn nur unſere Maͤnner nicht wie die Weiber ſchrieben! Aber das iſt es, was mir nicht gefaͤllt. Man ſehe doch nur unſere Zeitſchriften und Taſchenbuͤcher, wie das alles ſo ſchwach iſt und immer ſchwaͤcher wird! — Wenn man jetzt ein Capitel des Cellini im Mor¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/206
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/206>, abgerufen am 25.04.2024.