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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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ches Wort eines liebevollen Andenkens, bis es spät gegen
eilf Uhr geworden war und wir gingen.


"Wäre es meine Sache noch, dem Theater vorzu¬
stehen, sagte Goethe diesen Abend, ich würde Byrons
Dogen von Venedig auf die Bühne bringen. Freylich
ist das Stück zu lang und es müßte gekürzt werden;
aber man müßte nichts daran schneiden und streichen,
sondern es so machen: Man müßte den Inhalt jeder
Scene in sich aufnehmen und ihn bloß kürzer wiedergeben.
Dadurch würde das Stück zusammengehen, ohne daß
man ihm durch Änderungen schadete und es würde an
kräftiger Wirkung durchaus gewinnen, ohne im Wesent¬
lichen von seinem Schönen etwas einzubüßen."

Diese Äußerung Goethe's gab mir eine neue Ansicht,
wie man beym Theater in hundert ähnlichen Fällen zu
verfahren habe, und ich war über diese Maxime, die
freylich einen guten Kopf, ja einen Poeten voraussetzt
der seine Sache versteht, höchst erfreut.

Wir sprachen über Lord Byron weiter und ich er¬
wähnte, wie er in seinen Conversationen mit Medwin
es als etwas höchst Schwieriges und Undankbares aus¬
gesprochen habe, für das Theater zu schreiben. "Es
kommt darauf an, sagte Goethe, daß der Dichter die

ches Wort eines liebevollen Andenkens, bis es ſpaͤt gegen
eilf Uhr geworden war und wir gingen.


„Waͤre es meine Sache noch, dem Theater vorzu¬
ſtehen, ſagte Goethe dieſen Abend, ich wuͤrde Byrons
Dogen von Venedig auf die Buͤhne bringen. Freylich
iſt das Stuͤck zu lang und es muͤßte gekuͤrzt werden;
aber man muͤßte nichts daran ſchneiden und ſtreichen,
ſondern es ſo machen: Man muͤßte den Inhalt jeder
Scene in ſich aufnehmen und ihn bloß kuͤrzer wiedergeben.
Dadurch wuͤrde das Stuͤck zuſammengehen, ohne daß
man ihm durch Änderungen ſchadete und es wuͤrde an
kraͤftiger Wirkung durchaus gewinnen, ohne im Weſent¬
lichen von ſeinem Schoͤnen etwas einzubuͤßen.“

Dieſe Äußerung Goethe's gab mir eine neue Anſicht,
wie man beym Theater in hundert aͤhnlichen Faͤllen zu
verfahren habe, und ich war uͤber dieſe Maxime, die
freylich einen guten Kopf, ja einen Poeten vorausſetzt
der ſeine Sache verſteht, hoͤchſt erfreut.

Wir ſprachen uͤber Lord Byron weiter und ich er¬
waͤhnte, wie er in ſeinen Converſationen mit Medwin
es als etwas hoͤchſt Schwieriges und Undankbares aus¬
geſprochen habe, fuͤr das Theater zu ſchreiben. „Es
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[199/0219] ches Wort eines liebevollen Andenkens, bis es ſpaͤt gegen eilf Uhr geworden war und wir gingen. Donnerstag den 24. Februar 1825. „Waͤre es meine Sache noch, dem Theater vorzu¬ ſtehen, ſagte Goethe dieſen Abend, ich wuͤrde Byrons Dogen von Venedig auf die Buͤhne bringen. Freylich iſt das Stuͤck zu lang und es muͤßte gekuͤrzt werden; aber man muͤßte nichts daran ſchneiden und ſtreichen, ſondern es ſo machen: Man muͤßte den Inhalt jeder Scene in ſich aufnehmen und ihn bloß kuͤrzer wiedergeben. Dadurch wuͤrde das Stuͤck zuſammengehen, ohne daß man ihm durch Änderungen ſchadete und es wuͤrde an kraͤftiger Wirkung durchaus gewinnen, ohne im Weſent¬ lichen von ſeinem Schoͤnen etwas einzubuͤßen.“ Dieſe Äußerung Goethe's gab mir eine neue Anſicht, wie man beym Theater in hundert aͤhnlichen Faͤllen zu verfahren habe, und ich war uͤber dieſe Maxime, die freylich einen guten Kopf, ja einen Poeten vorausſetzt der ſeine Sache verſteht, hoͤchſt erfreut. Wir ſprachen uͤber Lord Byron weiter und ich er¬ waͤhnte, wie er in ſeinen Converſationen mit Medwin es als etwas hoͤchſt Schwieriges und Undankbares aus¬ geſprochen habe, fuͤr das Theater zu ſchreiben. „Es kommt darauf an, ſagte Goethe, daß der Dichter die

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/219>, abgerufen am 16.04.2024.