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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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junger Künstler, sagte ich, sich nicht nach ihm bilden
können?

"Wer ein ähnliches Gemüth hätte, antwortete Goethe,
würde ohne Frage sich an Claude Lorrain auf das treff¬
lichste entwickeln. Allein wen die Natur mit ähnlichen
Gaben der Seele im Stiche gelassen, würde diesem
Meister höchstens nur Einzelnheiten absehen und sich
deren nur als Phrase bedienen."


Ich fand heute den Tisch im langen Saale gedeckt
und zwar für mehrere Personen. Goethe und Frau
v. Goethe empfingen mich sehr freundlich. Es traten
nach und nach herein: Madame Schopenhauer, der
junge Graf Reinhard von der französischen Gesandt¬
schaft, dessen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬
reise begriffen, um gegen die Türken in russische Dienste
zu gehen; Fräulein Ulrike, und zuletzt Hofrath Vogel.

Goethe war in besonders heiterer Stimmung; er
unterhielt die Anwesenden, ehe man sich zu Tisch setzte,
mit einigen guten Frankfurter Späßen, besonders zwi¬
schen Rothschild und Bethmann, wie der Eine
dem Andern die Speculationen verdorben.

Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern setzten

junger Kuͤnſtler, ſagte ich, ſich nicht nach ihm bilden
koͤnnen?

„Wer ein aͤhnliches Gemuͤth haͤtte, antwortete Goethe,
wuͤrde ohne Frage ſich an Claude Lorrain auf das treff¬
lichſte entwickeln. Allein wen die Natur mit aͤhnlichen
Gaben der Seele im Stiche gelaſſen, wuͤrde dieſem
Meiſter hoͤchſtens nur Einzelnheiten abſehen und ſich
deren nur als Phraſe bedienen.“


Ich fand heute den Tiſch im langen Saale gedeckt
und zwar fuͤr mehrere Perſonen. Goethe und Frau
v. Goethe empfingen mich ſehr freundlich. Es traten
nach und nach herein: Madame Schopenhauer, der
junge Graf Reinhard von der franzoͤſiſchen Geſandt¬
ſchaft, deſſen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬
reiſe begriffen, um gegen die Tuͤrken in ruſſiſche Dienſte
zu gehen; Fraͤulein Ulrike, und zuletzt Hofrath Vogel.

Goethe war in beſonders heiterer Stimmung; er
unterhielt die Anweſenden, ehe man ſich zu Tiſch ſetzte,
mit einigen guten Frankfurter Spaͤßen, beſonders zwi¬
ſchen Rothſchild und Bethmann, wie der Eine
dem Andern die Speculationen verdorben.

Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern ſetzten

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[135/0145] junger Kuͤnſtler, ſagte ich, ſich nicht nach ihm bilden koͤnnen? „Wer ein aͤhnliches Gemuͤth haͤtte, antwortete Goethe, wuͤrde ohne Frage ſich an Claude Lorrain auf das treff¬ lichſte entwickeln. Allein wen die Natur mit aͤhnlichen Gaben der Seele im Stiche gelaſſen, wuͤrde dieſem Meiſter hoͤchſtens nur Einzelnheiten abſehen und ſich deren nur als Phraſe bedienen.“ Sonnabend, den 11. April 1829. Ich fand heute den Tiſch im langen Saale gedeckt und zwar fuͤr mehrere Perſonen. Goethe und Frau v. Goethe empfingen mich ſehr freundlich. Es traten nach und nach herein: Madame Schopenhauer, der junge Graf Reinhard von der franzoͤſiſchen Geſandt¬ ſchaft, deſſen Schwager Herr v. D., aus einer Durch¬ reiſe begriffen, um gegen die Tuͤrken in ruſſiſche Dienſte zu gehen; Fraͤulein Ulrike, und zuletzt Hofrath Vogel. Goethe war in beſonders heiterer Stimmung; er unterhielt die Anweſenden, ehe man ſich zu Tiſch ſetzte, mit einigen guten Frankfurter Spaͤßen, beſonders zwi¬ ſchen Rothſchild und Bethmann, wie der Eine dem Andern die Speculationen verdorben. Graf Reinhard ging an Hof, wir Andern ſetzten

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/145>, abgerufen am 28.03.2024.