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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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gelesen, sagte Goethe, der so im Sinne der Alten ist;
wie kein anderes Stück irgend eines neueren Dichters.
Er ist sehr groß; und seine eigene Blindheit ist ihm zu
Statten gekommen, um den Zustand Simsons mit sol¬
cher Wahrheit darzustellen. Milton war in der That
ein Poet und man muß vor ihm allen Respect haben."

Es kommen verschiedene Zeitungen, und wir sehen
in den Berliner Theaternachrichten, daß man Seeunge¬
heuer und Wallfische auf dortige Bühne gebracht.

Goethe liest in der französischen Zeitschrift, le Temps,
einen Artikel über die enorme Besoldung der englischen
Geistlichkeit, die mehr beträgt, als die in der ganzen
übrigen Christenheit zusammen. "Man hat behauptet,
sagte Goethe, die Welt werde durch Zahlen regiert; das
aber weiß ich, daß die Zahlen uns belehren ob sie gut
oder schlecht regiert werde."


Bey Goethe zu Tisch. Wir sprachen über Mozart.
"Ich habe ihn als siebenjährigen Knaben gesehen, sagte
Goethe, wo er auf einer Durchreise ein Concert gab.
Ich selber war etwa vierzehn Jahr alt, und ich erinnere
mich des kleinen Mannes in seiner Frisur und De¬
gen noch ganz deutlich." Ich machte große Augen,

geleſen, ſagte Goethe, der ſo im Sinne der Alten iſt;
wie kein anderes Stuͤck irgend eines neueren Dichters.
Er iſt ſehr groß; und ſeine eigene Blindheit iſt ihm zu
Statten gekommen, um den Zuſtand Simſons mit ſol¬
cher Wahrheit darzuſtellen. Milton war in der That
ein Poet und man muß vor ihm allen Reſpect haben.“

Es kommen verſchiedene Zeitungen, und wir ſehen
in den Berliner Theaternachrichten, daß man Seeunge¬
heuer und Wallfiſche auf dortige Buͤhne gebracht.

Goethe lieſt in der franzoͤſiſchen Zeitſchrift, le Temps,
einen Artikel uͤber die enorme Beſoldung der engliſchen
Geiſtlichkeit, die mehr betraͤgt, als die in der ganzen
uͤbrigen Chriſtenheit zuſammen. „Man hat behauptet,
ſagte Goethe, die Welt werde durch Zahlen regiert; das
aber weiß ich, daß die Zahlen uns belehren ob ſie gut
oder ſchlecht regiert werde.“


Bey Goethe zu Tiſch. Wir ſprachen uͤber Mozart.
„Ich habe ihn als ſiebenjaͤhrigen Knaben geſehen, ſagte
Goethe, wo er auf einer Durchreiſe ein Concert gab.
Ich ſelber war etwa vierzehn Jahr alt, und ich erinnere
mich des kleinen Mannes in ſeiner Friſur und De¬
gen noch ganz deutlich.“ Ich machte große Augen,

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[180/0190] geleſen, ſagte Goethe, der ſo im Sinne der Alten iſt; wie kein anderes Stuͤck irgend eines neueren Dichters. Er iſt ſehr groß; und ſeine eigene Blindheit iſt ihm zu Statten gekommen, um den Zuſtand Simſons mit ſol¬ cher Wahrheit darzuſtellen. Milton war in der That ein Poet und man muß vor ihm allen Reſpect haben.“ Es kommen verſchiedene Zeitungen, und wir ſehen in den Berliner Theaternachrichten, daß man Seeunge¬ heuer und Wallfiſche auf dortige Buͤhne gebracht. Goethe lieſt in der franzoͤſiſchen Zeitſchrift, le Temps, einen Artikel uͤber die enorme Beſoldung der engliſchen Geiſtlichkeit, die mehr betraͤgt, als die in der ganzen uͤbrigen Chriſtenheit zuſammen. „Man hat behauptet, ſagte Goethe, die Welt werde durch Zahlen regiert; das aber weiß ich, daß die Zahlen uns belehren ob ſie gut oder ſchlecht regiert werde.“ Mittwoch, den 3. Februar 1830. Bey Goethe zu Tiſch. Wir ſprachen uͤber Mozart. „Ich habe ihn als ſiebenjaͤhrigen Knaben geſehen, ſagte Goethe, wo er auf einer Durchreiſe ein Concert gab. Ich ſelber war etwa vierzehn Jahr alt, und ich erinnere mich des kleinen Mannes in ſeiner Friſur und De¬ gen noch ganz deutlich.“ Ich machte große Augen,

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/190>, abgerufen am 24.04.2024.