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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Goethe setzte uns vorigen Freytag in nicht geringe
Sorge, indem er in der Nacht von einem heftigen
Blutsturz überfallen wurde und den ganzen Tag nicht
weit vom Tode war. Er verlor, einen Aderlaß mit
eingerechnet, sechs Pfund Blut, welches bey seinem acht¬
zigjährigen Alter viel sagen will. Die große Geschick¬
lichkeit seines Arztes, des Hofraths Vogel, verbunden
mit seiner unvergleichlichen Natur, haben jedoch auch
dießmal gesiegt, so daß er mit raschen Schritten seiner
Genesung entgegengeht, schon wieder den besten Appetit
zeigt und auch die ganze Nacht wieder schläft. Es darf
niemand zu ihm, das Reden ist ihm verboten, doch sein
ewig reger Geist kann nicht ruhen, er denkt schon wie¬
der an seine Arbeiten. Diesen Morgen erhielt ich von
ihm folgendes Billet, das er mit der Bleyfeder im
Bette geschrieben.

"Haben Sie die Güte, mein bester Doctor, bey¬
kommende schon bekannte Gedichte nochmals durchzu¬
gehen und die voranliegenden neuen einzuordnen, damit
es sich zum Ganzen schicke. Faust folgt hierauf!

Ein frohes Wiedersehen!

W. d. 30. Nov.
1830.     Goethe."


Goethe ſetzte uns vorigen Freytag in nicht geringe
Sorge, indem er in der Nacht von einem heftigen
Blutſturz uͤberfallen wurde und den ganzen Tag nicht
weit vom Tode war. Er verlor, einen Aderlaß mit
eingerechnet, ſechs Pfund Blut, welches bey ſeinem acht¬
zigjaͤhrigen Alter viel ſagen will. Die große Geſchick¬
lichkeit ſeines Arztes, des Hofraths Vogel, verbunden
mit ſeiner unvergleichlichen Natur, haben jedoch auch
dießmal geſiegt, ſo daß er mit raſchen Schritten ſeiner
Geneſung entgegengeht, ſchon wieder den beſten Appetit
zeigt und auch die ganze Nacht wieder ſchlaͤft. Es darf
niemand zu ihm, das Reden iſt ihm verboten, doch ſein
ewig reger Geiſt kann nicht ruhen, er denkt ſchon wie¬
der an ſeine Arbeiten. Dieſen Morgen erhielt ich von
ihm folgendes Billet, das er mit der Bleyfeder im
Bette geſchrieben.

„Haben Sie die Guͤte, mein beſter Doctor, bey¬
kommende ſchon bekannte Gedichte nochmals durchzu¬
gehen und die voranliegenden neuen einzuordnen, damit
es ſich zum Ganzen ſchicke. Fauſt folgt hierauf!

Ein frohes Wiederſehen!

W. d. 30. Nov.
1830.     Goethe.“


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[249/0259] Dienſtag, den 30. November 1830. Goethe ſetzte uns vorigen Freytag in nicht geringe Sorge, indem er in der Nacht von einem heftigen Blutſturz uͤberfallen wurde und den ganzen Tag nicht weit vom Tode war. Er verlor, einen Aderlaß mit eingerechnet, ſechs Pfund Blut, welches bey ſeinem acht¬ zigjaͤhrigen Alter viel ſagen will. Die große Geſchick¬ lichkeit ſeines Arztes, des Hofraths Vogel, verbunden mit ſeiner unvergleichlichen Natur, haben jedoch auch dießmal geſiegt, ſo daß er mit raſchen Schritten ſeiner Geneſung entgegengeht, ſchon wieder den beſten Appetit zeigt und auch die ganze Nacht wieder ſchlaͤft. Es darf niemand zu ihm, das Reden iſt ihm verboten, doch ſein ewig reger Geiſt kann nicht ruhen, er denkt ſchon wie¬ der an ſeine Arbeiten. Dieſen Morgen erhielt ich von ihm folgendes Billet, das er mit der Bleyfeder im Bette geſchrieben. „Haben Sie die Guͤte, mein beſter Doctor, bey¬ kommende ſchon bekannte Gedichte nochmals durchzu¬ gehen und die voranliegenden neuen einzuordnen, damit es ſich zum Ganzen ſchicke. Fauſt folgt hierauf! Ein frohes Wiederſehen! W. d. 30. Nov. 1830. Goethe.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/259>, abgerufen am 28.03.2024.