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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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zen haben, und daß von der einen zur andern keines¬
wegs ein stufenartiges Fortschreiten Statt findet."

Ich merkte mir dieses, als von großer Bedeutung.


Ich lese Goethe's Aufsatz über Zahn in den Wie¬
ner Jahrbüchern, den ich bewundere, indem ich die Prä¬
missen bedenke, die es voraussetzte, um ihn zu schreiben.

Bey Tisch erzählet mir Goethe, daß Soret bey
ihm gewesen, und daß sie in der Übersetzung der Me¬
tamorphose
einen hübschen Fortschritt gemacht.

"Das Schwierige bey der Natur, sagte Goethe, ist:
das Gesetz auch da zu sehen wo es sich uns verbirgt,
und sich nicht durch Erscheinungen irre machen zu lassen,
die unsern Sinnen widersprechen. Denn es widerspricht
in der Natur manches den Sinnen und ist doch wahr.
Daß die Sonne still stehe, daß sie nicht auf- und unter¬
gehe, sondern daß die Erde sich täglich in undenkbarer
Geschwindigkeit herumwälze, widerspricht den Sinnen so
stark wie etwas, aber doch zweifelt kein Unterrichteter
daß es so sey. Und so kommen auch widersprechende
Erscheinungen im Pflanzenreiche vor, wobey man sehr
auf seiner Hut seyn muß, sich dadurch nicht auf falsche
Wege leiten zu lassen."


zen haben, und daß von der einen zur andern keines¬
wegs ein ſtufenartiges Fortſchreiten Statt findet.“

Ich merkte mir dieſes, als von großer Bedeutung.


Ich leſe Goethe's Aufſatz uͤber Zahn in den Wie¬
ner Jahrbuͤchern, den ich bewundere, indem ich die Praͤ¬
miſſen bedenke, die es vorausſetzte, um ihn zu ſchreiben.

Bey Tiſch erzaͤhlet mir Goethe, daß Soret bey
ihm geweſen, und daß ſie in der Überſetzung der Me¬
tamorphoſe
einen huͤbſchen Fortſchritt gemacht.

„Das Schwierige bey der Natur, ſagte Goethe, iſt:
das Geſetz auch da zu ſehen wo es ſich uns verbirgt,
und ſich nicht durch Erſcheinungen irre machen zu laſſen,
die unſern Sinnen widerſprechen. Denn es widerſpricht
in der Natur manches den Sinnen und iſt doch wahr.
Daß die Sonne ſtill ſtehe, daß ſie nicht auf- und unter¬
gehe, ſondern daß die Erde ſich taͤglich in undenkbarer
Geſchwindigkeit herumwaͤlze, widerſpricht den Sinnen ſo
ſtark wie etwas, aber doch zweifelt kein Unterrichteter
daß es ſo ſey. Und ſo kommen auch widerſprechende
Erſcheinungen im Pflanzenreiche vor, wobey man ſehr
auf ſeiner Hut ſeyn muß, ſich dadurch nicht auf falſche
Wege leiten zu laſſen.“


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[290/0300] zen haben, und daß von der einen zur andern keines¬ wegs ein ſtufenartiges Fortſchreiten Statt findet.“ Ich merkte mir dieſes, als von großer Bedeutung. Donnerstag, den 24. Februar 1831. Ich leſe Goethe's Aufſatz uͤber Zahn in den Wie¬ ner Jahrbuͤchern, den ich bewundere, indem ich die Praͤ¬ miſſen bedenke, die es vorausſetzte, um ihn zu ſchreiben. Bey Tiſch erzaͤhlet mir Goethe, daß Soret bey ihm geweſen, und daß ſie in der Überſetzung der Me¬ tamorphoſe einen huͤbſchen Fortſchritt gemacht. „Das Schwierige bey der Natur, ſagte Goethe, iſt: das Geſetz auch da zu ſehen wo es ſich uns verbirgt, und ſich nicht durch Erſcheinungen irre machen zu laſſen, die unſern Sinnen widerſprechen. Denn es widerſpricht in der Natur manches den Sinnen und iſt doch wahr. Daß die Sonne ſtill ſtehe, daß ſie nicht auf- und unter¬ gehe, ſondern daß die Erde ſich taͤglich in undenkbarer Geſchwindigkeit herumwaͤlze, widerſpricht den Sinnen ſo ſtark wie etwas, aber doch zweifelt kein Unterrichteter daß es ſo ſey. Und ſo kommen auch widerſprechende Erſcheinungen im Pflanzenreiche vor, wobey man ſehr auf ſeiner Hut ſeyn muß, ſich dadurch nicht auf falſche Wege leiten zu laſſen.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/300>, abgerufen am 16.04.2024.