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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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grob, um die ungewöhnliche Subtilität seiner Unter¬
scheidungen aufzufassen.

"Wären sie philosophisch präparirt, wie er, sagte
Goethe, so würde es besser gehen. Wenn ich aber
ehrlich sagen soll, so thut es mir leid, daß ein ohne
Zweifel kräftig geborener Mensch von der norddeutschen
Seeküste, wie Hinrichs, durch die Hegel'sche Philosophie
so zugerichtet worden, daß ein unbefangenes natürliches
Anschauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine
künstliche und schwerfällige Art und Weise sowohl des
Denkens wie des Ausdruckes ihm nach und nach an¬
gebildet worden, so daß wir in seinem Buch auf Stellen
gerathen, wo unser Verstand durchaus stille steht und
man nicht mehr weiß, was man lieset."

Das ist mir nicht besser gegangen, sagte ich. Doch
habe ich mich gefreut, auch auf Stellen zu stoßen, die
mir durchaus menschlich und klar erschienen sind, wie
z. B. seine Relation der Fabel des Oedip.

"Hiebei, sagte Goethe, mußte er sich freilich scharf
an der Sache halten. Es giebt aber in seinem Buche
nicht wenige Stellen, bei denen der Gedanke nicht rückt
und fortschreitet und wobei sich die dunkele Sprache
immer auf demselbigen Fleck und immer in demselbigen
Kreise bewegt, völlig so, wie das Einmaleins der Hexe
in meinem Faust. Geben Sie mir doch einmal das
Buch! Von seiner sechsten Vorlesung über den Chor

grob, um die ungewöhnliche Subtilität ſeiner Unter¬
ſcheidungen aufzufaſſen.

„Wären ſie philoſophiſch präparirt, wie er, ſagte
Goethe, ſo würde es beſſer gehen. Wenn ich aber
ehrlich ſagen ſoll, ſo thut es mir leid, daß ein ohne
Zweifel kräftig geborener Menſch von der norddeutſchen
Seeküſte, wie Hinrichs, durch die Hegel'ſche Philoſophie
ſo zugerichtet worden, daß ein unbefangenes natürliches
Anſchauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine
künſtliche und ſchwerfällige Art und Weiſe ſowohl des
Denkens wie des Ausdruckes ihm nach und nach an¬
gebildet worden, ſo daß wir in ſeinem Buch auf Stellen
gerathen, wo unſer Verſtand durchaus ſtille ſteht und
man nicht mehr weiß, was man lieſet.“

Das iſt mir nicht beſſer gegangen, ſagte ich. Doch
habe ich mich gefreut, auch auf Stellen zu ſtoßen, die
mir durchaus menſchlich und klar erſchienen ſind, wie
z. B. ſeine Relation der Fabel des Oedip.

„Hiebei, ſagte Goethe, mußte er ſich freilich ſcharf
an der Sache halten. Es giebt aber in ſeinem Buche
nicht wenige Stellen, bei denen der Gedanke nicht rückt
und fortſchreitet und wobei ſich die dunkele Sprache
immer auf demſelbigen Fleck und immer in demſelbigen
Kreiſe bewegt, völlig ſo, wie das Einmaleins der Hexe
in meinem Fauſt. Geben Sie mir doch einmal das
Buch! Von ſeiner ſechsten Vorleſung über den Chor

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[123/0145] grob, um die ungewöhnliche Subtilität ſeiner Unter¬ ſcheidungen aufzufaſſen. „Wären ſie philoſophiſch präparirt, wie er, ſagte Goethe, ſo würde es beſſer gehen. Wenn ich aber ehrlich ſagen ſoll, ſo thut es mir leid, daß ein ohne Zweifel kräftig geborener Menſch von der norddeutſchen Seeküſte, wie Hinrichs, durch die Hegel'ſche Philoſophie ſo zugerichtet worden, daß ein unbefangenes natürliches Anſchauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine künſtliche und ſchwerfällige Art und Weiſe ſowohl des Denkens wie des Ausdruckes ihm nach und nach an¬ gebildet worden, ſo daß wir in ſeinem Buch auf Stellen gerathen, wo unſer Verſtand durchaus ſtille ſteht und man nicht mehr weiß, was man lieſet.“ Das iſt mir nicht beſſer gegangen, ſagte ich. Doch habe ich mich gefreut, auch auf Stellen zu ſtoßen, die mir durchaus menſchlich und klar erſchienen ſind, wie z. B. ſeine Relation der Fabel des Oedip. „Hiebei, ſagte Goethe, mußte er ſich freilich ſcharf an der Sache halten. Es giebt aber in ſeinem Buche nicht wenige Stellen, bei denen der Gedanke nicht rückt und fortſchreitet und wobei ſich die dunkele Sprache immer auf demſelbigen Fleck und immer in demſelbigen Kreiſe bewegt, völlig ſo, wie das Einmaleins der Hexe in meinem Fauſt. Geben Sie mir doch einmal das Buch! Von ſeiner ſechsten Vorleſung über den Chor

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/145>, abgerufen am 24.04.2024.