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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Pflanzen und Thiere mit uns. Fragt man mich aber:
ob ich geneigt sey, mich vor einem Daumenknochen des
Apostels Petri oder Pauli zu bücken? so sage ich: Ver¬
schont mich und bleibt mir mit euren Absurditäten vom
Leibe!"

"Den Geist dämpfet nicht!" sagt der Apostel.

"Es ist gar viel Dummes in den Satzungen
der Kirche. Aber sie will herrschen, und da muß sie
eine bornirte Masse haben, die sich duckt und die ge¬
neigt ist, sich beherrschen zu lassen. Die hohe, reich
dotirte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr, als die Auf¬
klärung der unteren Massen. Sie hat ihnen auch die
Bibel lange genug vorenthalten, so lange als irgend
möglich. Was sollte auch ein armes christliches Ge¬
meindeglied von der fürstlichen Pracht eines reich dotir¬
ten Bischofes denken, wenn es dagegen in den Evan¬
gelien die Armuth und Dürftigkeit Christi sieht, der
mit seinen Jüngern in Demuth zu Fuße ging, während
der fürstliche Bischof in einer von sechs Pferden gezo¬
genen Karosse einherbrauset!" --

"Wir wissen gar nicht, fuhr Goethe fort, was wir
Luthern und der Reformation im Allgemeinen Alles zu
danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln
geistiger Bornirtheit, wir sind in Folge unserer fort¬
wachsenden Cultur fähig geworden, zur Quelle zurück¬
zukehren und das Christenthum in seiner Reinheit zu
fassen. Wir haben wieder den Muth, mit festen Füßen

Pflanzen und Thiere mit uns. Fragt man mich aber:
ob ich geneigt ſey, mich vor einem Daumenknochen des
Apoſtels Petri oder Pauli zu bücken? ſo ſage ich: Ver¬
ſchont mich und bleibt mir mit euren Abſurditäten vom
Leibe!“

„Den Geiſt dämpfet nicht!“ ſagt der Apoſtel.

„Es iſt gar viel Dummes in den Satzungen
der Kirche. Aber ſie will herrſchen, und da muß ſie
eine bornirte Maſſe haben, die ſich duckt und die ge¬
neigt iſt, ſich beherrſchen zu laſſen. Die hohe, reich
dotirte Geiſtlichkeit fürchtet nichts mehr, als die Auf¬
klärung der unteren Maſſen. Sie hat ihnen auch die
Bibel lange genug vorenthalten, ſo lange als irgend
möglich. Was ſollte auch ein armes chriſtliches Ge¬
meindeglied von der fürſtlichen Pracht eines reich dotir¬
ten Biſchofes denken, wenn es dagegen in den Evan¬
gelien die Armuth und Dürftigkeit Chriſti ſieht, der
mit ſeinen Jüngern in Demuth zu Fuße ging, während
der fürſtliche Biſchof in einer von ſechs Pferden gezo¬
genen Karoſſe einherbrauſet!“ —

„Wir wiſſen gar nicht, fuhr Goethe fort, was wir
Luthern und der Reformation im Allgemeinen Alles zu
danken haben. Wir ſind frei geworden von den Feſſeln
geiſtiger Bornirtheit, wir ſind in Folge unſerer fort¬
wachſenden Cultur fähig geworden, zur Quelle zurück¬
zukehren und das Chriſtenthum in ſeiner Reinheit zu
faſſen. Wir haben wieder den Muth, mit feſten Füßen

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[372/0394] Pflanzen und Thiere mit uns. Fragt man mich aber: ob ich geneigt ſey, mich vor einem Daumenknochen des Apoſtels Petri oder Pauli zu bücken? ſo ſage ich: Ver¬ ſchont mich und bleibt mir mit euren Abſurditäten vom Leibe!“ „Den Geiſt dämpfet nicht!“ ſagt der Apoſtel. „Es iſt gar viel Dummes in den Satzungen der Kirche. Aber ſie will herrſchen, und da muß ſie eine bornirte Maſſe haben, die ſich duckt und die ge¬ neigt iſt, ſich beherrſchen zu laſſen. Die hohe, reich dotirte Geiſtlichkeit fürchtet nichts mehr, als die Auf¬ klärung der unteren Maſſen. Sie hat ihnen auch die Bibel lange genug vorenthalten, ſo lange als irgend möglich. Was ſollte auch ein armes chriſtliches Ge¬ meindeglied von der fürſtlichen Pracht eines reich dotir¬ ten Biſchofes denken, wenn es dagegen in den Evan¬ gelien die Armuth und Dürftigkeit Chriſti ſieht, der mit ſeinen Jüngern in Demuth zu Fuße ging, während der fürſtliche Biſchof in einer von ſechs Pferden gezo¬ genen Karoſſe einherbrauſet!“ — „Wir wiſſen gar nicht, fuhr Goethe fort, was wir Luthern und der Reformation im Allgemeinen Alles zu danken haben. Wir ſind frei geworden von den Feſſeln geiſtiger Bornirtheit, wir ſind in Folge unſerer fort¬ wachſenden Cultur fähig geworden, zur Quelle zurück¬ zukehren und das Chriſtenthum in ſeiner Reinheit zu faſſen. Wir haben wieder den Muth, mit feſten Füßen

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/394>, abgerufen am 29.03.2024.