Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Vierzehntes Kapitel.

Draussen über das Land jagten zerrissene Wol¬
ken, die Melusina sang an seufzenden Wäldern,
Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges
Lied, die Dörfer lagen selig verschneyt. In der
Residenz zog der Winter prächtig ein mit Schellenge¬
klingel, frischen Mädchengesichtern, die vom Lande
flüchteten, mit Bällen, Opern und Conzerten, wie
eine lustige Hochzeit. Friedrich stand gegen Abend
einsam an seinem Fenster, Leontin und Faber ließen
noch immer nichts von sich hören, Rosa hatte ihn
letzthin ausgelacht, als er voller Freuden zu ihr
lief, um ihr eine politische Neuigkeit zu erzählen,
die ihn ganz ergriffen hatte, an der Gräfin Roma¬
na hatte er seit jener Nacht keine Lust weiter, er
hatte beyde seitdem nicht wiedergesehen; vor den
Fenstern fiel der Schnee langsam und bedächtig in
großen Flocken, als wollte der graue Himmel die
Welt verschütten. Da sah er unten zwey Reiter in
langen Mänteln langsam die Strasse zieh'n. Der
eine sah sich um, Friedrich rief: Viktoria! es war
Leontin und Faber, die so eben einzogen.

Friedrich sprang, ohne sich zu besinnen, zur
Thüre hinaus und die Stiege hinunter. Als er aber
auf die Strasse kam, waren sie schon verschwunden.

Vierzehntes Kapitel.

Drauſſen über das Land jagten zerriſſene Wol¬
ken, die Meluſina ſang an ſeufzenden Wäldern,
Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges
Lied, die Dörfer lagen ſelig verſchneyt. In der
Reſidenz zog der Winter prächtig ein mit Schellenge¬
klingel, friſchen Mädchengeſichtern, die vom Lande
flüchteten, mit Bällen, Opern und Conzerten, wie
eine luſtige Hochzeit. Friedrich ſtand gegen Abend
einſam an ſeinem Fenſter, Leontin und Faber ließen
noch immer nichts von ſich hören, Roſa hatte ihn
letzthin ausgelacht, als er voller Freuden zu ihr
lief, um ihr eine politiſche Neuigkeit zu erzählen,
die ihn ganz ergriffen hatte, an der Gräfin Roma¬
na hatte er ſeit jener Nacht keine Luſt weiter, er
hatte beyde ſeitdem nicht wiedergeſehen; vor den
Fenſtern fiel der Schnee langſam und bedächtig in
großen Flocken, als wollte der graue Himmel die
Welt verſchütten. Da ſah er unten zwey Reiter in
langen Mänteln langſam die Straſſe zieh'n. Der
eine ſah ſich um, Friedrich rief: Viktoria! es war
Leontin und Faber, die ſo eben einzogen.

Friedrich ſprang, ohne ſich zu beſinnen, zur
Thüre hinaus und die Stiege hinunter. Als er aber
auf die Straſſe kam, waren ſie ſchon verſchwunden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0255" n="249"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Vierzehntes Kapitel</hi>.<lb/></head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Drau&#x017F;&#x017F;en über das Land jagten zerri&#x017F;&#x017F;ene Wol¬<lb/>
ken, die Melu&#x017F;ina &#x017F;ang an &#x017F;eufzenden Wäldern,<lb/>
Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges<lb/>
Lied, die Dörfer lagen &#x017F;elig ver&#x017F;chneyt. In der<lb/>
Re&#x017F;idenz zog der Winter prächtig ein mit Schellenge¬<lb/>
klingel, fri&#x017F;chen Mädchenge&#x017F;ichtern, die vom Lande<lb/>
flüchteten, mit Bällen, Opern und Conzerten, wie<lb/>
eine lu&#x017F;tige Hochzeit. Friedrich &#x017F;tand gegen Abend<lb/>
ein&#x017F;am an &#x017F;einem Fen&#x017F;ter, Leontin und Faber ließen<lb/>
noch immer nichts von &#x017F;ich hören, Ro&#x017F;a hatte ihn<lb/>
letzthin ausgelacht, als er voller Freuden zu ihr<lb/>
lief, um ihr eine politi&#x017F;che Neuigkeit zu erzählen,<lb/>
die ihn ganz ergriffen hatte, an der Gräfin Roma¬<lb/>
na hatte er &#x017F;eit jener Nacht keine Lu&#x017F;t weiter, er<lb/>
hatte beyde &#x017F;eitdem nicht wiederge&#x017F;ehen; vor den<lb/>
Fen&#x017F;tern fiel der Schnee lang&#x017F;am und bedächtig in<lb/>
großen Flocken, als wollte der graue Himmel die<lb/>
Welt ver&#x017F;chütten. Da &#x017F;ah er unten zwey Reiter in<lb/>
langen Mänteln lang&#x017F;am die Stra&#x017F;&#x017F;e zieh'n. Der<lb/>
eine &#x017F;ah &#x017F;ich um, Friedrich rief: Viktoria! es war<lb/>
Leontin und Faber, die &#x017F;o eben einzogen.</p><lb/>
          <p>Friedrich &#x017F;prang, ohne &#x017F;ich zu be&#x017F;innen, zur<lb/>
Thüre hinaus und die Stiege hinunter. Als er aber<lb/>
auf die Stra&#x017F;&#x017F;e kam, waren &#x017F;ie &#x017F;chon ver&#x017F;chwunden.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0255] Vierzehntes Kapitel. Drauſſen über das Land jagten zerriſſene Wol¬ ken, die Meluſina ſang an ſeufzenden Wäldern, Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges Lied, die Dörfer lagen ſelig verſchneyt. In der Reſidenz zog der Winter prächtig ein mit Schellenge¬ klingel, friſchen Mädchengeſichtern, die vom Lande flüchteten, mit Bällen, Opern und Conzerten, wie eine luſtige Hochzeit. Friedrich ſtand gegen Abend einſam an ſeinem Fenſter, Leontin und Faber ließen noch immer nichts von ſich hören, Roſa hatte ihn letzthin ausgelacht, als er voller Freuden zu ihr lief, um ihr eine politiſche Neuigkeit zu erzählen, die ihn ganz ergriffen hatte, an der Gräfin Roma¬ na hatte er ſeit jener Nacht keine Luſt weiter, er hatte beyde ſeitdem nicht wiedergeſehen; vor den Fenſtern fiel der Schnee langſam und bedächtig in großen Flocken, als wollte der graue Himmel die Welt verſchütten. Da ſah er unten zwey Reiter in langen Mänteln langſam die Straſſe zieh'n. Der eine ſah ſich um, Friedrich rief: Viktoria! es war Leontin und Faber, die ſo eben einzogen. Friedrich ſprang, ohne ſich zu beſinnen, zur Thüre hinaus und die Stiege hinunter. Als er aber auf die Straſſe kam, waren ſie ſchon verſchwunden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/255
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/255>, abgerufen am 23.04.2024.