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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Der höchste Begriff, der Gott eines politischen Gemein-
wesens, eines Volks, dessen Politik aber in der Form der
Religion
sich ausspricht, ist das Gesetz, das Bewußtsein des
Gesetzes als einer absoluten, göttlichen Macht; der höchste
Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitischen menschlichen
Gemüths, die Liebe -- die Liebe, die dem Geliebten alle
Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum
Opfer bringt, die Liebe, deren Gesetz der Wunsch des Ge-
liebten und deren Macht die unbeschränkte Macht der Phan-
tasie, der intellectuellen Wunderthätigkeit ist.

Gott ist die Liebe, die unsre Wünsche, unsre Gemüthsbe-
dürfnisse befriedigt -- Er ist selbst der realisirte Wunsch des
Herzens, der zur Gewißheit seiner Erfüllung, seiner Realität,
zur zweifellosen Gewißheit, vor der kein Widerspruch des Ver-
standes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt besteht,
gesteigerte Wunsch. Gewißheit ist für den Menschen die höchste
Macht; was ihm gewiß, das ist ihm das Seiende, das Gött-
liche. Gott ist die Liebe -- dieser Ausspruch, der höchste
des Christenthums -- ist nur der Ausdruck von der Selbst-
gewißheit
des menschlichen Gemüthes, von der Gewiß-
heit seiner als der allein seienden, d. i. absoluten, göttli-
chen Macht
-- der Ausdruck von der Gewißheit, daß des
Menschen innere Herzenswünsche objective Gültigkeit und Rea-
lität haben, daß es keine Schranke, keinen positiven
Gegensatz des menschlichen Gemüths
gibt, daß die ganze
Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts ist gegen
das menschliche Gemüth
. Gott ist die Liebe -- d. h. das
Gemüth
ist der Gott des Menschen, ja Gott schlechtweg,
das absolute Wesen. Gott ist das sich gegenständliche Wesen
des Gemüths, das schrankenfreie, reine Gemüth -- Gott

Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein-
weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der Form der
Religion
ſich ausſpricht, iſt das Geſetz, das Bewußtſein des
Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte
Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen
Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle
Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum
Opfer bringt, die Liebe, deren Geſetz der Wunſch des Ge-
liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan-
taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt.

Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe-
dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der realiſirte Wunſch des
Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität,
zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver-
ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht,
geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte
Macht; was ihm gewiß, das iſt ihm das Seiende, das Gött-
liche. Gott iſt die Liebe — dieſer Ausſpruch, der höchſte
des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der Selbſt-
gewißheit
des menſchlichen Gemüthes, von der Gewiß-
heit ſeiner als der allein ſeienden, d. i. abſoluten, göttli-
chen Macht
— der Ausdruck von der Gewißheit, daß des
Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea-
lität haben, daß es keine Schranke, keinen poſitiven
Gegenſatz des menſchlichen Gemüths
gibt, daß die ganze
Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts iſt gegen
das menſchliche Gemüth
. Gott iſt die Liebe — d. h. das
Gemüth
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[156/0174] Der höchſte Begriff, der Gott eines politiſchen Gemein- weſens, eines Volks, deſſen Politik aber in der Form der Religion ſich ausſpricht, iſt das Geſetz, das Bewußtſein des Geſetzes als einer abſoluten, göttlichen Macht; der höchſte Begriff, der Gott des unweltlichen, unpolitiſchen menſchlichen Gemüths, die Liebe — die Liebe, die dem Geliebten alle Schätze und Herrlichkeiten im Himmel und auf Erden zum Opfer bringt, die Liebe, deren Geſetz der Wunſch des Ge- liebten und deren Macht die unbeſchränkte Macht der Phan- taſie, der intellectuellen Wunderthätigkeit iſt. Gott iſt die Liebe, die unſre Wünſche, unſre Gemüthsbe- dürfniſſe befriedigt — Er iſt ſelbſt der realiſirte Wunſch des Herzens, der zur Gewißheit ſeiner Erfüllung, ſeiner Realität, zur zweifelloſen Gewißheit, vor der kein Widerſpruch des Ver- ſtandes, kein Einwand der Erfahrung, der Außenwelt beſteht, geſteigerte Wunſch. Gewißheit iſt für den Menſchen die höchſte Macht; was ihm gewiß, das iſt ihm das Seiende, das Gött- liche. Gott iſt die Liebe — dieſer Ausſpruch, der höchſte des Chriſtenthums — iſt nur der Ausdruck von der Selbſt- gewißheit des menſchlichen Gemüthes, von der Gewiß- heit ſeiner als der allein ſeienden, d. i. abſoluten, göttli- chen Macht — der Ausdruck von der Gewißheit, daß des Menſchen innere Herzenswünſche objective Gültigkeit und Rea- lität haben, daß es keine Schranke, keinen poſitiven Gegenſatz des menſchlichen Gemüths gibt, daß die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit und Pracht Nichts iſt gegen das menſchliche Gemüth. Gott iſt die Liebe — d. h. das Gemüth iſt der Gott des Menſchen, ja Gott ſchlechtweg, das abſolute Weſen. Gott iſt das ſich gegenſtändliche Weſen des Gemüths, das ſchrankenfreie, reine Gemüth — Gott

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/174>, abgerufen am 23.04.2024.