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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Einleitung.

Das Wesen des Menschen im Allgemeinen.

Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede
des Menschen vom Thiere -- die Thiere haben keine Reli-
gion. Die ältern kritiklosen Zoographen legten wohl dem Ele-
phanten unter andern löblichen Eigenschaften auch die Tugend
der Religiosität bei; allein die Religion der Elephanten gehört
in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner
der Thierwelt, stellt, gestützt auf eigne Beobachtungen, den Ele-
phanten auf keine höhere Geistesstufe als den Hund.

Was ist aber dieser wesentliche Unterschied des Menschen
vom Thiere? Die einfachste und allgemeinste, auch populärste
Antwort auf diese Frage ist: das Bewußtsein -- aber Be-
wußtsein im strengen Sinne; denn Bewußtsein im Sinne des
Selbstgefühls, der sinnlichen Unterscheidungskraft, der Wahr-
nehmung der äußern Dinge nach bestimmten sinnfälligen Merk-
malen, solches Bewußtsein kann den Thieren nicht abgespro-
chen werden. Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da,
wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegen-
stand ist. Das Thier ist wohl sich als Individuum -- darum
hat es Selbstgefühl -- aber nicht als Gattung Gegenstand --
darum mangelt ihm das Bewußtsein, welches seinen Namen

Feuerbach. 1
Einleitung.

Das Weſen des Menſchen im Allgemeinen.

Die Religion beruht auf dem weſentlichen Unterſchiede
des Menſchen vom Thiere — die Thiere haben keine Reli-
gion. Die ältern kritikloſen Zoographen legten wohl dem Ele-
phanten unter andern löblichen Eigenſchaften auch die Tugend
der Religioſität bei; allein die Religion der Elephanten gehört
in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner
der Thierwelt, ſtellt, geſtützt auf eigne Beobachtungen, den Ele-
phanten auf keine höhere Geiſtesſtufe als den Hund.

Was iſt aber dieſer weſentliche Unterſchied des Menſchen
vom Thiere? Die einfachſte und allgemeinſte, auch populärſte
Antwort auf dieſe Frage iſt: das Bewußtſein — aber Be-
wußtſein im ſtrengen Sinne; denn Bewußtſein im Sinne des
Selbſtgefühls, der ſinnlichen Unterſcheidungskraft, der Wahr-
nehmung der äußern Dinge nach beſtimmten ſinnfälligen Merk-
malen, ſolches Bewußtſein kann den Thieren nicht abgeſpro-
chen werden. Bewußtſein im ſtrengſten Sinne iſt nur da,
wo einem Weſen ſeine Gattung, ſeine Weſenheit Gegen-
ſtand iſt. Das Thier iſt wohl ſich als Individuum — darum
hat es Selbſtgefühl — aber nicht als Gattung Gegenſtand —
darum mangelt ihm das Bewußtſein, welches ſeinen Namen

Feuerbach. 1
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[[1]/0019] Einleitung. Das Weſen des Menſchen im Allgemeinen. Die Religion beruht auf dem weſentlichen Unterſchiede des Menſchen vom Thiere — die Thiere haben keine Reli- gion. Die ältern kritikloſen Zoographen legten wohl dem Ele- phanten unter andern löblichen Eigenſchaften auch die Tugend der Religioſität bei; allein die Religion der Elephanten gehört in das Reich der Fabeln. Cuvier, einer der größten Kenner der Thierwelt, ſtellt, geſtützt auf eigne Beobachtungen, den Ele- phanten auf keine höhere Geiſtesſtufe als den Hund. Was iſt aber dieſer weſentliche Unterſchied des Menſchen vom Thiere? Die einfachſte und allgemeinſte, auch populärſte Antwort auf dieſe Frage iſt: das Bewußtſein — aber Be- wußtſein im ſtrengen Sinne; denn Bewußtſein im Sinne des Selbſtgefühls, der ſinnlichen Unterſcheidungskraft, der Wahr- nehmung der äußern Dinge nach beſtimmten ſinnfälligen Merk- malen, ſolches Bewußtſein kann den Thieren nicht abgeſpro- chen werden. Bewußtſein im ſtrengſten Sinne iſt nur da, wo einem Weſen ſeine Gattung, ſeine Weſenheit Gegen- ſtand iſt. Das Thier iſt wohl ſich als Individuum — darum hat es Selbſtgefühl — aber nicht als Gattung Gegenſtand — darum mangelt ihm das Bewußtſein, welches ſeinen Namen Feuerbach. 1

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/19>, abgerufen am 29.03.2024.