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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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Relative Strafb. Milderungsgründe.
§. 111.

Noch werden, jedoch nicht einstimmig,
als Milderungsgründe angenommen II. der

gute
tellectum capere possent, his non magis in caede domini,
quam in ulla alia causa parci oportere." Die Beweis-
kraft liegt offen und klar darin: 1) soll die impe-
dita libertas, oder überhaupt verringerte Strafbar-
keit in concreto die Strafe mildern, so konnte auch
das Urtheil gegen diesen Mündigen nicht gerecht-
fertigt werden, weil doch bey einem Unmündigen
(wenn nicht die Bosheit das Alter erfüllt) die Straf-
barkeit in concreto geringer ist, indem hier äussere
Reitze einen stärkern Einfluss haben und der noch
ungebildete Verstand keine kalte ruhige Ueberlegung
verstattet. -- "Vielleicht aber war in dem vom Gesetz
entschiedenen Fall, volle Ueberlegung und gereifte
Bosheit vorhanden?" War dieses und erkannten
die Gesetze den Milderungsgrund wegen verringer-
ter Strafbarkeit an, so muste ja der Entscheidungs-
grund darin gesetzt werden, dass hier jene zur Mil-
derung nöthige Voraussetzung nicht vorhanden,
die libertas nicht verringert gewesen sey. Allein
davon kein Wort! sondern 2) der einzige Entschei-
dungsgrund wird darin gesetzt, weil dass Unmün-
dige fähig gewesen sey, rei intellectum capere und
dass dieses überhaupt zur vollen Strafe (quam-caus-
sa) hinreiche. Facultas rei imellectum capiendi kann
aber doch, so wohl der Sprache, als auch dem Zu-
sammenhang des Gesetzes nach, weiter nichts
heissen, als die Fähigkeit die Beschaffenheit eines Gegen-
standes
(hier der rechtswidrigen Handlung) einzusehen;
die Fähigkeit über die Handlung zu reflectiren, um
zu wissen, was sie für eine Handlung sey. Zu der
Zuerkennung der ordentlichen Strafe wird also hier
weiter nichts als Imputativität überhaupt erfodert,
in wie fern die Zurechnungsfähigkeit Kenntniss
der Beschaffenheit der Handlung (um zu wissen, ob
sie unter dem Gesetz stehe oder nicht) voraussetzt.
Von
Relative Strafb. Milderungsgründe.
§. 111.

Noch werden, jedoch nicht einſtimmig,
als Milderungsgründe angenommen II. der

gute
tellectum capere poſſent, his non magis in caede domini,
quam in ulla alia cauſa parci oportere.“ Die Beweis-
kraft liegt offen und klar darin: 1) ſoll die impe-
dita libertas, oder überhaupt verringerte Strafbar-
keit in concreto die Strafe mildern, ſo konnte auch
das Urtheil gegen dieſen Mündigen nicht gerecht-
fertigt werden, weil doch bey einem Unmündigen
(wenn nicht die Bosheit das Alter erfüllt) die Straf-
barkeit in concreto geringer iſt, indem hier äuſſere
Reitze einen ſtärkern Einfluſs haben und der noch
ungebildete Verſtand keine kalte ruhige Ueberlegung
verſtattet. — „Vielleicht aber war in dem vom Geſetz
entſchiedenen Fall, volle Ueberlegung und gereifte
Bosheit vorhanden?“ War dieſes und erkannten
die Geſetze den Milderungsgrund wegen verringer-
ter Strafbarkeit an, ſo muſte ja der Entſcheidungs-
grund darin geſetzt werden, daſs hier jene zur Mil-
derung nöthige Vorauſſetzung nicht vorhanden,
die libertas nicht verringert geweſen ſey. Allein
davon kein Wort! ſondern 2) der einzige Entſchei-
dungsgrund wird darin geſetzt, weil daſs Unmün-
dige fähig geweſen ſey, rei intellectum capere und
daſs dieſes überhaupt zur vollen Strafe (quam-cauſ-
ſa) hinreiche. Facultas rei imellectum capiendi kann
aber doch, ſo wohl der Sprache, als auch dem Zu-
ſammenhang des Geſetzes nach, weiter nichts
heiſsen, als die Fähigkeit die Beſchaffenheit eines Gegen-
ſtandes
(hier der rechtswidrigen Handlung) einzuſehen;
die Fähigkeit über die Handlung zu reflectiren, um
zu wiſſen, was ſie für eine Handlung ſey. Zu der
Zuerkennung der ordentlichen Strafe wird alſo hier
weiter nichts als Imputativität überhaupt erfodert,
in wie fern die Zurechnungsfähigkeit Kenntniſs
der Beſchaffenheit der Handlung (um zu wiſſen, ob
ſie unter dem Geſetz ſtehe oder nicht) vorauſſetzt.
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[91/0119] Relative Strafb. Milderungsgründe. §. 111. Noch werden, jedoch nicht einſtimmig, als Milderungsgründe angenommen II. der gute *) *) tellectum capere poſſent, his non magis in caede domini, quam in ulla alia cauſa parci oportere.“ Die Beweis- kraft liegt offen und klar darin: 1) ſoll die impe- dita libertas, oder überhaupt verringerte Strafbar- keit in concreto die Strafe mildern, ſo konnte auch das Urtheil gegen dieſen Mündigen nicht gerecht- fertigt werden, weil doch bey einem Unmündigen (wenn nicht die Bosheit das Alter erfüllt) die Straf- barkeit in concreto geringer iſt, indem hier äuſſere Reitze einen ſtärkern Einfluſs haben und der noch ungebildete Verſtand keine kalte ruhige Ueberlegung verſtattet. — „Vielleicht aber war in dem vom Geſetz entſchiedenen Fall, volle Ueberlegung und gereifte Bosheit vorhanden?“ War dieſes und erkannten die Geſetze den Milderungsgrund wegen verringer- ter Strafbarkeit an, ſo muſte ja der Entſcheidungs- grund darin geſetzt werden, daſs hier jene zur Mil- derung nöthige Vorauſſetzung nicht vorhanden, die libertas nicht verringert geweſen ſey. Allein davon kein Wort! ſondern 2) der einzige Entſchei- dungsgrund wird darin geſetzt, weil daſs Unmün- dige fähig geweſen ſey, rei intellectum capere und daſs dieſes überhaupt zur vollen Strafe (quam-cauſ- ſa) hinreiche. Facultas rei imellectum capiendi kann aber doch, ſo wohl der Sprache, als auch dem Zu- ſammenhang des Geſetzes nach, weiter nichts heiſsen, als die Fähigkeit die Beſchaffenheit eines Gegen- ſtandes (hier der rechtswidrigen Handlung) einzuſehen; die Fähigkeit über die Handlung zu reflectiren, um zu wiſſen, was ſie für eine Handlung ſey. Zu der Zuerkennung der ordentlichen Strafe wird alſo hier weiter nichts als Imputativität überhaupt erfodert, in wie fern die Zurechnungsfähigkeit Kenntniſs der Beſchaffenheit der Handlung (um zu wiſſen, ob ſie unter dem Geſetz ſtehe oder nicht) vorauſſetzt. Von

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/119>, abgerufen am 28.03.2024.