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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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Anhang. Von dem Selbstmord.
Staat. Der Bürger verpflichtet seine Kräfte
und sein Leben zur Mitwirkung für den öffent-
lichen Zweck. Er darf daher so wenig dem
Staate durch Selbstmord sich entziehen, als er
sonst einseitig seinen Bürgervertrag aufheben
kann *). Aber Bestrafung der eignen Lebens-
beraubung ist schon darum ungereimt, weil
sich von keinem Uebel erwarten lässt, dass es
einen Menschen abschrecken werde, der den
Tod selber als eine Wohlthat betrachtet **).

§. 277.

Auch giebt es kein allgemeines, anwend-
bares Gesetz, welches den Selbstmord zu den
Verbrechen zählte. Der vollendete Selbstmord
ist nach Röm. R. nie Verbrechen; bey attentirter
Selbsttödung unterscheidet es, ob der Mensch
ohne Urfache, oder aus einer bestimm-
ten Ursache, wegen Lebensüberdruss, Prahl-
sucht, oder Furcht vor Uebeln sich des Lebens
habe berauben wollen. Hier fällt, die Solda-
ten ausgenommen ***), alle Strafe hinweg, dort

soll
*) In Marseine war es daher jedem erlaubt, den Gift-
becher zu nehmen, wenn er vorher seine Gründe
zum Selbstmord bey der Obrigkeit angezeigt und
diese ihm dazu Erlaubniss gegeben hatte. Vergl.
Loisirs d'un Ministre ou essais dans le goaut de ceux de
Montagne par Marq. D
'Argenson. (Luttich 1787)
Thl. I. S. 55.
**) Andre, zum Theil auch moralische Gesichtspunkte
über den Selbstmord liefern Cella freumüthige Auf-
sätze.
Bd. II. Nr. 3. Haller über den Selbstmord. Frkf.
1787. Knüppel üb. d. Selbstmord Gera. 1790. 8.
***) Ihre Strafe war infamirende Cassation. L. 6. §. 7.
D. de re. milit. L. 38. §. 12. D. de poenis.

Anhang. Von dem Selbſtmord.
Staat. Der Bürger verpflichtet ſeine Kräfte
und ſein Leben zur Mitwirkung für den öffent-
lichen Zweck. Er darf daher ſo wenig dem
Staate durch Selbſtmord ſich entziehen, als er
ſonſt einſeitig ſeinen Bürgervertrag aufheben
kann *). Aber Beſtrafung der eignen Lebens-
beraubung iſt ſchon darum ungereimt, weil
ſich von keinem Uebel erwarten läſst, daſs es
einen Menſchen abſchrecken werde, der den
Tod ſelber als eine Wohlthat betrachtet **).

§. 277.

Auch giebt es kein allgemeines, anwend-
bares Geſetz, welches den Selbſtmord zu den
Verbrechen zählte. Der vollendete Selbſtmord
iſt nach Röm. R. nie Verbrechen; bey attentirter
Selbſttödung unterſcheidet es, ob der Menſch
ohne Urfache, oder aus einer beſtimm-
ten Urſache, wegen Lebensüberdruſs, Prahl-
ſucht, oder Furcht vor Uebeln ſich des Lebens
habe berauben wollen. Hier fällt, die Solda-
ten ausgenommen ***), alle Strafe hinweg, dort

ſoll
*) In Marſeine war es daher jedem erlaubt, den Gift-
becher zu nehmen, wenn er vorher ſeine Gründe
zum Selbſtmord bey der Obrigkeit angezeigt und
dieſe ihm dazu Erlaubniſs gegeben hatte. Vergl.
Loiſirs d’un Miniſtre ou eſſais dans le goût de ceux de
Montagne par Marq. D
Argenſon. (Luttich 1787)
Thl. I. S. 55.
**) Andre, zum Theil auch moraliſche Geſichtspunkte
über den Selbſtmord liefern Cella freumüthige Auf-
ſätze.
Bd. II. Nr. 3. Haller über den Selbſtmord. Frkf.
1787. Knüppel üb. d. Selbſtmord Gera. 1790. 8.
***) Ihre Strafe war infamirende Caſſation. L. 6. §. 7.
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[215/0243] Anhang. Von dem Selbſtmord. Staat. Der Bürger verpflichtet ſeine Kräfte und ſein Leben zur Mitwirkung für den öffent- lichen Zweck. Er darf daher ſo wenig dem Staate durch Selbſtmord ſich entziehen, als er ſonſt einſeitig ſeinen Bürgervertrag aufheben kann *). Aber Beſtrafung der eignen Lebens- beraubung iſt ſchon darum ungereimt, weil ſich von keinem Uebel erwarten läſst, daſs es einen Menſchen abſchrecken werde, der den Tod ſelber als eine Wohlthat betrachtet **). §. 277. Auch giebt es kein allgemeines, anwend- bares Geſetz, welches den Selbſtmord zu den Verbrechen zählte. Der vollendete Selbſtmord iſt nach Röm. R. nie Verbrechen; bey attentirter Selbſttödung unterſcheidet es, ob der Menſch ohne Urfache, oder aus einer beſtimm- ten Urſache, wegen Lebensüberdruſs, Prahl- ſucht, oder Furcht vor Uebeln ſich des Lebens habe berauben wollen. Hier fällt, die Solda- ten ausgenommen ***), alle Strafe hinweg, dort ſoll *) In Marſeine war es daher jedem erlaubt, den Gift- becher zu nehmen, wenn er vorher ſeine Gründe zum Selbſtmord bey der Obrigkeit angezeigt und dieſe ihm dazu Erlaubniſs gegeben hatte. Vergl. Loiſirs d’un Miniſtre ou eſſais dans le goût de ceux de Montagne par Marq. D’Argenſon. (Luttich 1787) Thl. I. S. 55. **) Andre, zum Theil auch moraliſche Geſichtspunkte über den Selbſtmord liefern Cella freumüthige Auf- ſätze. Bd. II. Nr. 3. Haller über den Selbſtmord. Frkf. 1787. Knüppel üb. d. Selbſtmord Gera. 1790. 8. ***) Ihre Strafe war infamirende Caſſation. L. 6. §. 7. D. de re. milit. L. 38. §. 12. D. de poenis.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/243>, abgerufen am 28.03.2024.