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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Jagdschloß Stern ist ein holländischer Bau, quadratisch in
rothem Backstein aufgeführt, mit einem Giebel in Front, einem
Jagdhorn über der Thür und einem eingeätzten Stern im
Mittelfenster. Es besteht nur aus einem Eßsaal, einer Küche
und einem Schlafzimmer, drei Räume, die ihre Einrichtung
und ihren Charakter bis auf diese Stunde beibehalten haben.
Der Eßsaal mit den abgestoßenen Geweihen des "großen Hans"
(der es bis zum Achtundzwanzig-Ender brachte), ist panelirt
und über den Panelen der einen Längswand hin mit den
Jagdstücken irgend eines Leygrebe oder sonstigen Hofkünstlers
geschmückt, -- eine Hirschhetze, eine Eber- und Entenjagd.

Welch tiefer und plötzlicher Verfall der Kunst spricht aus
diesen Blättern, wenn man sie mit jenen hunderten von Tableaux
und Deckengemälden vergleicht, wie sie 30 und selbst noch 20
Jahre früher unter dem ersten Könige und während der letzten
Regierungsjahre des großen Kurfürsten in den brandenburgischen
Schlössern gemalt wurden! Damals, wie äußerlich die Dinge
auch bleiben mochten, brachte jede zwischen Amoretten ausge-
spannte Rosen-Guirlande, jede symbolische Figur, ob sie sich
Europa oder Borussia nannte, die brillante Technik der nieder-
ländischen Schule zur Erscheinung, und nun, von jener Epoche
virtuosenhafter Technik, gefälliger Form, sinnlicher Farbe war
man wie durch eine Kluft geschieden, ohne daß irgend etwas
Anderes sich ereignet hätte als ein Thronwechsel. Jenseits lag
die Kunst, diesseits die Barbarei.

Aus dem Eßsaal, nach kurzem Verweilen, traten wir in
die Küche, aus dieser in das Schlafzimmer des Königs, dessen
eine Seite ein riesiger Wandschrank einzunehmen schien. Aber
nur die beiden Flanken dieses Holzbaues waren wirkliche Schränke,
das Mittelstück, eine überwölbte Bettlade, ein dunkler, nach
vorne zu geöffneter Kasten, erinnerte an die Lagerstätten einer
alten Schiffskajüte. War diese Höhle an und für sich unheim-
lich genug, so wurde sie's in jedem Augenblicke mehr durch zwei
große, feurige Augen, die uns daraus ansahen. Endlich löste
sich der Spuk; unmittelbar an unseren Häuptern vorbei mit

Jagdſchloß Stern iſt ein holländiſcher Bau, quadratiſch in
rothem Backſtein aufgeführt, mit einem Giebel in Front, einem
Jagdhorn über der Thür und einem eingeätzten Stern im
Mittelfenſter. Es beſteht nur aus einem Eßſaal, einer Küche
und einem Schlafzimmer, drei Räume, die ihre Einrichtung
und ihren Charakter bis auf dieſe Stunde beibehalten haben.
Der Eßſaal mit den abgeſtoßenen Geweihen des „großen Hans“
(der es bis zum Achtundzwanzig-Ender brachte), iſt panelirt
und über den Panelen der einen Längswand hin mit den
Jagdſtücken irgend eines Leygrebe oder ſonſtigen Hofkünſtlers
geſchmückt, — eine Hirſchhetze, eine Eber- und Entenjagd.

Welch tiefer und plötzlicher Verfall der Kunſt ſpricht aus
dieſen Blättern, wenn man ſie mit jenen hunderten von Tableaux
und Deckengemälden vergleicht, wie ſie 30 und ſelbſt noch 20
Jahre früher unter dem erſten Könige und während der letzten
Regierungsjahre des großen Kurfürſten in den brandenburgiſchen
Schlöſſern gemalt wurden! Damals, wie äußerlich die Dinge
auch bleiben mochten, brachte jede zwiſchen Amoretten ausge-
ſpannte Roſen-Guirlande, jede ſymboliſche Figur, ob ſie ſich
Europa oder Boruſſia nannte, die brillante Technik der nieder-
ländiſchen Schule zur Erſcheinung, und nun, von jener Epoche
virtuoſenhafter Technik, gefälliger Form, ſinnlicher Farbe war
man wie durch eine Kluft geſchieden, ohne daß irgend etwas
Anderes ſich ereignet hätte als ein Thronwechſel. Jenſeits lag
die Kunſt, dieſſeits die Barbarei.

Aus dem Eßſaal, nach kurzem Verweilen, traten wir in
die Küche, aus dieſer in das Schlafzimmer des Königs, deſſen
eine Seite ein rieſiger Wandſchrank einzunehmen ſchien. Aber
nur die beiden Flanken dieſes Holzbaues waren wirkliche Schränke,
das Mittelſtück, eine überwölbte Bettlade, ein dunkler, nach
vorne zu geöffneter Kaſten, erinnerte an die Lagerſtätten einer
alten Schiffskajüte. War dieſe Höhle an und für ſich unheim-
lich genug, ſo wurde ſie’s in jedem Augenblicke mehr durch zwei
große, feurige Augen, die uns daraus anſahen. Endlich löſte
ſich der Spuk; unmittelbar an unſeren Häuptern vorbei mit

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[356/0374] Jagdſchloß Stern iſt ein holländiſcher Bau, quadratiſch in rothem Backſtein aufgeführt, mit einem Giebel in Front, einem Jagdhorn über der Thür und einem eingeätzten Stern im Mittelfenſter. Es beſteht nur aus einem Eßſaal, einer Küche und einem Schlafzimmer, drei Räume, die ihre Einrichtung und ihren Charakter bis auf dieſe Stunde beibehalten haben. Der Eßſaal mit den abgeſtoßenen Geweihen des „großen Hans“ (der es bis zum Achtundzwanzig-Ender brachte), iſt panelirt und über den Panelen der einen Längswand hin mit den Jagdſtücken irgend eines Leygrebe oder ſonſtigen Hofkünſtlers geſchmückt, — eine Hirſchhetze, eine Eber- und Entenjagd. Welch tiefer und plötzlicher Verfall der Kunſt ſpricht aus dieſen Blättern, wenn man ſie mit jenen hunderten von Tableaux und Deckengemälden vergleicht, wie ſie 30 und ſelbſt noch 20 Jahre früher unter dem erſten Könige und während der letzten Regierungsjahre des großen Kurfürſten in den brandenburgiſchen Schlöſſern gemalt wurden! Damals, wie äußerlich die Dinge auch bleiben mochten, brachte jede zwiſchen Amoretten ausge- ſpannte Roſen-Guirlande, jede ſymboliſche Figur, ob ſie ſich Europa oder Boruſſia nannte, die brillante Technik der nieder- ländiſchen Schule zur Erſcheinung, und nun, von jener Epoche virtuoſenhafter Technik, gefälliger Form, ſinnlicher Farbe war man wie durch eine Kluft geſchieden, ohne daß irgend etwas Anderes ſich ereignet hätte als ein Thronwechſel. Jenſeits lag die Kunſt, dieſſeits die Barbarei. Aus dem Eßſaal, nach kurzem Verweilen, traten wir in die Küche, aus dieſer in das Schlafzimmer des Königs, deſſen eine Seite ein rieſiger Wandſchrank einzunehmen ſchien. Aber nur die beiden Flanken dieſes Holzbaues waren wirkliche Schränke, das Mittelſtück, eine überwölbte Bettlade, ein dunkler, nach vorne zu geöffneter Kaſten, erinnerte an die Lagerſtätten einer alten Schiffskajüte. War dieſe Höhle an und für ſich unheim- lich genug, ſo wurde ſie’s in jedem Augenblicke mehr durch zwei große, feurige Augen, die uns daraus anſahen. Endlich löſte ſich der Spuk; unmittelbar an unſeren Häuptern vorbei mit

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/374>, abgerufen am 28.03.2024.