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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Bremen) zuerkannt: sie waren tapfer und gastfrei. Ihre Tapfer-
keit spricht aus der ganzen Geschichte jener Epoche, und der
Umstand, daß sie trotz Fehden und steter Zersplitterung ihrer
Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutschthum
zwei Jahrhunderte lang fortsetzen konnten, läßt ihren Muth
in allerglänzendstem Lichte erscheinen. Sie waren ausgezeichnete
Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit sich noch andere krie-
gerische Gaben, wie sie den Slaven eigenthümlich sind, gesell-
ten: Raschheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin sind alle deutschen
Chronisten einig; eben so einig sind sie in Anerkennung der
wendischen Gastfreundschaft. "Um Aufnahme zu bitten, hatte
der Fremde in der Regel nicht nöthig; sie wurde ihm wett-
eifernd angeboten. Jedes Haus hatte seine Gastzimmer und
immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker-
bau, Fischfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe
(in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei-
gebiger der Wende war, für desto vornehmer wurde er gehalten,
und für desto vornehmer hielt er sich selbst. Wurde -- was
übrigens äußerst selten vorkam -- von diesem oder jenem ruch-
bar, daß er das Gastrecht versagt habe, so verfiel er allgemei-
ner Verachtung, und sein Haus und Hof durften in Brand
gesteckt werden."

Sie waren tapfer und gastfrei, aber sie waren falsch und
untreu, so berichten die alten Chronisten weiter. Die alten
Chronisten sind indessen ehrlich genug hinzuzusetzen: "untreu
gegen ihre Feinde." Dieser Zusatz legt einem sofort die
Frage nahe: wie waren denn nun aber diese Feinde? waren
sie, ganz von aller ehrlichen Feindschaft, von offenem Kampfe
abgesehen, waren diese Feinde ihrerseits von einer Treue, einem
Worthalten, einer Zuverlässigkeit, die den Wenden ein Sporn
hätten sein können, Treue mit Treue zu vergelten?

Die Erzählungen der Chronisten machen uns die Antwort
auf diese Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen
sie uns die endlosen Perfidieen der Deutschen. Dies erklärt sich
daraus, daß sie, von Parteigeist erfüllt und blind im Dienst

Bremen) zuerkannt: ſie waren tapfer und gaſtfrei. Ihre Tapfer-
keit ſpricht aus der ganzen Geſchichte jener Epoche, und der
Umſtand, daß ſie trotz Fehden und ſteter Zerſplitterung ihrer
Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutſchthum
zwei Jahrhunderte lang fortſetzen konnten, läßt ihren Muth
in allerglänzendſtem Lichte erſcheinen. Sie waren ausgezeichnete
Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit ſich noch andere krie-
geriſche Gaben, wie ſie den Slaven eigenthümlich ſind, geſell-
ten: Raſchheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin ſind alle deutſchen
Chroniſten einig; eben ſo einig ſind ſie in Anerkennung der
wendiſchen Gaſtfreundſchaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte
der Fremde in der Regel nicht nöthig; ſie wurde ihm wett-
eifernd angeboten. Jedes Haus hatte ſeine Gaſtzimmer und
immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker-
bau, Fiſchfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe
(in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei-
gebiger der Wende war, für deſto vornehmer wurde er gehalten,
und für deſto vornehmer hielt er ſich ſelbſt. Wurde — was
übrigens äußerſt ſelten vorkam — von dieſem oder jenem ruch-
bar, daß er das Gaſtrecht verſagt habe, ſo verfiel er allgemei-
ner Verachtung, und ſein Haus und Hof durften in Brand
geſteckt werden.“

Sie waren tapfer und gaſtfrei, aber ſie waren falſch und
untreu, ſo berichten die alten Chroniſten weiter. Die alten
Chroniſten ſind indeſſen ehrlich genug hinzuzuſetzen: „untreu
gegen ihre Feinde.“ Dieſer Zuſatz legt einem ſofort die
Frage nahe: wie waren denn nun aber dieſe Feinde? waren
ſie, ganz von aller ehrlichen Feindſchaft, von offenem Kampfe
abgeſehen, waren dieſe Feinde ihrerſeits von einer Treue, einem
Worthalten, einer Zuverläſſigkeit, die den Wenden ein Sporn
hätten ſein können, Treue mit Treue zu vergelten?

Die Erzählungen der Chroniſten machen uns die Antwort
auf dieſe Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen
ſie uns die endloſen Perfidieen der Deutſchen. Dies erklärt ſich
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[20/0038] Bremen) zuerkannt: ſie waren tapfer und gaſtfrei. Ihre Tapfer- keit ſpricht aus der ganzen Geſchichte jener Epoche, und der Umſtand, daß ſie trotz Fehden und ſteter Zerſplitterung ihrer Kräfte dennoch den Kampf gegen das übermächtige Deutſchthum zwei Jahrhunderte lang fortſetzen konnten, läßt ihren Muth in allerglänzendſtem Lichte erſcheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger, zu deren angeborner Tapferkeit ſich noch andere krie- geriſche Gaben, wie ſie den Slaven eigenthümlich ſind, geſell- ten: Raſchheit, Schlauheit, Zähigkeit. Hierin ſind alle deutſchen Chroniſten einig; eben ſo einig ſind ſie in Anerkennung der wendiſchen Gaſtfreundſchaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte der Fremde in der Regel nicht nöthig; ſie wurde ihm wett- eifernd angeboten. Jedes Haus hatte ſeine Gaſtzimmer und immer offne Tafel. Freigiebig wurde verthan, was durch Acker- bau, Fiſchfang, Jagd, auch wohl durch Handel und Gewerbe (in den größeren Städten) gewonnen worden war. Je frei- gebiger der Wende war, für deſto vornehmer wurde er gehalten, und für deſto vornehmer hielt er ſich ſelbſt. Wurde — was übrigens äußerſt ſelten vorkam — von dieſem oder jenem ruch- bar, daß er das Gaſtrecht verſagt habe, ſo verfiel er allgemei- ner Verachtung, und ſein Haus und Hof durften in Brand geſteckt werden.“ Sie waren tapfer und gaſtfrei, aber ſie waren falſch und untreu, ſo berichten die alten Chroniſten weiter. Die alten Chroniſten ſind indeſſen ehrlich genug hinzuzuſetzen: „untreu gegen ihre Feinde.“ Dieſer Zuſatz legt einem ſofort die Frage nahe: wie waren denn nun aber dieſe Feinde? waren ſie, ganz von aller ehrlichen Feindſchaft, von offenem Kampfe abgeſehen, waren dieſe Feinde ihrerſeits von einer Treue, einem Worthalten, einer Zuverläſſigkeit, die den Wenden ein Sporn hätten ſein können, Treue mit Treue zu vergelten? Die Erzählungen der Chroniſten machen uns die Antwort auf dieſe Frage leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen ſie uns die endloſen Perfidieen der Deutſchen. Dies erklärt ſich daraus, daß ſie, von Parteigeiſt erfüllt und blind im Dienſt

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/38>, abgerufen am 28.03.2024.