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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Hatte die Memoirenschreiberin doch Recht? Ja und Nein.
Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine starke Natur,
aber freilich ein schlimmer Platz für ästhetischen Sinn und einen
weiblichen esprit fort.


2.
Teupitz.
Winde hauchen hier so leise
Räthselstimmen tiefer Trauer.

Lenau.

Teupitz verlohnt eine Nachtreise, wiewohl diese Hauptstadt
des "Schenkenländchens" nicht das mehr ist, als was sie mir
geschildert worden war.

All diese Schilderungen galten seiner Armuth. "Die Poesie
des Verfalls
liegt über dieser Stadt", so hieß es voll dichte-
rischen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein
Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu
einem viel größeren Reiseantrieb, als die gleichzeitig wiederholten
Versicherungen: "aber Teupitz ist schön." Diesen Refrain über-
hört' ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder
loswerden konnte: "das Plateau um Teupitz herum heißt "der
Brand", und das Wirthshaus darauf führt den Namen "der todte
Mann".

Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geistlicher
in Teupitz sollte blos deshalb unverheiratyet geblieben sein, "weil
die Stelle einen Hausstand nicht tragen könne", und ein Gutsbe-
sitzer, so hieß es weiter, habe Jedem erzählt: "ein Teupitzer Bettel-
kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon;
die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar ist Brod
in Teupitz". All diese Geschichten hatten einen Eindruck auf mich
gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV.
habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme gesagt: "die
Teupitzer sind doch meine Treusten; wären sie's nicht, so wären
sie längst ausgewandert".

Hatte die Memoirenſchreiberin doch Recht? Ja und Nein.
Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine ſtarke Natur,
aber freilich ein ſchlimmer Platz für äſthetiſchen Sinn und einen
weiblichen esprit fort.


2.
Teupitz.
Winde hauchen hier ſo leiſe
Räthſelſtimmen tiefer Trauer.

Lenau.

Teupitz verlohnt eine Nachtreiſe, wiewohl dieſe Hauptſtadt
des „Schenkenländchens“ nicht das mehr iſt, als was ſie mir
geſchildert worden war.

All dieſe Schilderungen galten ſeiner Armuth. „Die Poeſie
des Verfalls
liegt über dieſer Stadt“, ſo hieß es voll dichte-
riſchen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein
Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu
einem viel größeren Reiſeantrieb, als die gleichzeitig wiederholten
Verſicherungen: „aber Teupitz iſt ſchön.“ Dieſen Refrain über-
hört’ ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder
loswerden konnte: „das Plateau um Teupitz herum heißt „der
Brand“, und das Wirthshaus darauf führt den Namen „der todte
Mann“.

Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geiſtlicher
in Teupitz ſollte blos deshalb unverheiratyet geblieben ſein, „weil
die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbe-
ſitzer, ſo hieß es weiter, habe Jedem erzählt: „ein Teupitzer Bettel-
kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon;
die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brod
in Teupitz“. All dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich
gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV.
habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme geſagt: „die
Teupitzer ſind doch meine Treuſten; wären ſie’s nicht, ſo wären
ſie längſt ausgewandert“.

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[261/0277] Hatte die Memoirenſchreiberin doch Recht? Ja und Nein. Ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine ſtarke Natur, aber freilich ein ſchlimmer Platz für äſthetiſchen Sinn und einen weiblichen esprit fort. 2. Teupitz. Winde hauchen hier ſo leiſe Räthſelſtimmen tiefer Trauer. Lenau. Teupitz verlohnt eine Nachtreiſe, wiewohl dieſe Hauptſtadt des „Schenkenländchens“ nicht das mehr iſt, als was ſie mir geſchildert worden war. All dieſe Schilderungen galten ſeiner Armuth. „Die Poeſie des Verfalls liegt über dieſer Stadt“, ſo hieß es voll dichte- riſchen Ausdrucks, und die pittoresken Armuthsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiſeantrieb, als die gleichzeitig wiederholten Verſicherungen: „aber Teupitz iſt ſchön.“ Dieſen Refrain über- hört’ ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder loswerden konnte: „das Plateau um Teupitz herum heißt „der Brand“, und das Wirthshaus darauf führt den Namen „der todte Mann“. Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geiſtlicher in Teupitz ſollte blos deshalb unverheiratyet geblieben ſein, „weil die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne“, und ein Gutsbe- ſitzer, ſo hieß es weiter, habe Jedem erzählt: „ein Teupitzer Bettel- kind, wenn es ein Stück Brod kriegt, ißt nur die Hälfte davon; die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brod in Teupitz“. All dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb in Scherz und halb in Theilnahme geſagt: „die Teupitzer ſind doch meine Treuſten; wären ſie’s nicht, ſo wären ſie längſt ausgewandert“.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/277>, abgerufen am 18.04.2024.