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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Wilhelm Hensel.
Wenn zwei Loose vor uns legt ein Beschluß der Zeit,
Schwer ist's, wirklichem Ruf folgen und falschen fliehn! ...

Sieh, dich lockten indeß heimische Triebe bald
Fernhin (wo in des Nords Winter ein edler Fürst
Aussät ein Athen des Geistes)
An die scythische, kalte Spree.

Platen.

Wilhelm Hensel wurde den 6. Juli 1794 zu Trebbin ge-
boren, wo sein Vater an der dortigen Marien-Kirche Geistlicher
war. Schon einige Monate später übersiedelte man von Trebbin
nach Linum, in dessen Pfarrhause wir denn auch unsern Wilhelm
Hensel während seiner Knabenjahre zu suchen haben. Allen
erforderlichen Unterricht gab ihm der Vater und bracht' ihn, gut
vorbereitet, auf die Bergakademie. Das war 1809. Dem schon
damals geäußerten Wunsche des Sohnes, sich der Kunst widmen
zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen.

Das Talent W. Hensels war aber zu ausgesprochen, als daß
die Laufbahn, auf die seine Natur ihn anwies, ihm dauernd hätte
verschlossen bleiben können. Seine eigenen Vorgesetzten ermunterten
ihn, in seiner Beschäftigung mit den Künsten auszuharren und
als er bei bestimmter Gelegenheit ein Blatt in Wasserfarben aus-
führte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze tropische Land-
schaft vor aller Augen hinzauberte, drang der Direktor des Instituts
in ihn, das Bergfach aufzugeben und Maler zu werden.*)

*) Dies Blatt befindet sich noch in den zahlreichen Mappen, die Sebastian
Hensel aus dem reichen Nachlasse seines Vaters aufbewahrt. Ich komme
weiterhin auf diesen Nachlaß zurück. Was speciell dies aquarellirte Blatt an-
geht, so stellt es eine Felsenpartie dar, und Palmen und Bautrümmer fassen
ein Gewässer ein, in dem Mädchen baden. Es nimmt sich aus wie eine
Farbenskizze zu einem großen Tapetenbilde. Als Arbeit eines in künstlerischen
Dingen ohne jede Schule aufgewachsenen jungen Mannes, mußte dieselbe
damals überraschen. Heutzutage, wo jeder zeichnen und seinen Baumschlag
machen kann, würde man dergleichen freilich ruhiger hinnehmen.
28*
Wilhelm Henſel.
Wenn zwei Looſe vor uns legt ein Beſchluß der Zeit,
Schwer iſt’s, wirklichem Ruf folgen und falſchen fliehn! …

Sieh, dich lockten indeß heimiſche Triebe bald
Fernhin (wo in des Nords Winter ein edler Fürſt
Ausſät ein Athen des Geiſtes)
An die ſcythiſche, kalte Spree.

Platen.

Wilhelm Henſel wurde den 6. Juli 1794 zu Trebbin ge-
boren, wo ſein Vater an der dortigen Marien-Kirche Geiſtlicher
war. Schon einige Monate ſpäter überſiedelte man von Trebbin
nach Linum, in deſſen Pfarrhauſe wir denn auch unſern Wilhelm
Henſel während ſeiner Knabenjahre zu ſuchen haben. Allen
erforderlichen Unterricht gab ihm der Vater und bracht’ ihn, gut
vorbereitet, auf die Bergakademie. Das war 1809. Dem ſchon
damals geäußerten Wunſche des Sohnes, ſich der Kunſt widmen
zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen.

Das Talent W. Henſels war aber zu ausgeſprochen, als daß
die Laufbahn, auf die ſeine Natur ihn anwies, ihm dauernd hätte
verſchloſſen bleiben können. Seine eigenen Vorgeſetzten ermunterten
ihn, in ſeiner Beſchäftigung mit den Künſten auszuharren und
als er bei beſtimmter Gelegenheit ein Blatt in Waſſerfarben aus-
führte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze tropiſche Land-
ſchaft vor aller Augen hinzauberte, drang der Direktor des Inſtituts
in ihn, das Bergfach aufzugeben und Maler zu werden.*)

*) Dies Blatt befindet ſich noch in den zahlreichen Mappen, die Sebaſtian
Henſel aus dem reichen Nachlaſſe ſeines Vaters aufbewahrt. Ich komme
weiterhin auf dieſen Nachlaß zurück. Was ſpeciell dies aquarellirte Blatt an-
geht, ſo ſtellt es eine Felſenpartie dar, und Palmen und Bautrümmer faſſen
ein Gewäſſer ein, in dem Mädchen baden. Es nimmt ſich aus wie eine
Farbenſkizze zu einem großen Tapetenbilde. Als Arbeit eines in künſtleriſchen
Dingen ohne jede Schule aufgewachſenen jungen Mannes, mußte dieſelbe
damals überraſchen. Heutzutage, wo jeder zeichnen und ſeinen Baumſchlag
machen kann, würde man dergleichen freilich ruhiger hinnehmen.
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[435/0451] Wilhelm Henſel. Wenn zwei Looſe vor uns legt ein Beſchluß der Zeit, Schwer iſt’s, wirklichem Ruf folgen und falſchen fliehn! … Sieh, dich lockten indeß heimiſche Triebe bald Fernhin (wo in des Nords Winter ein edler Fürſt Ausſät ein Athen des Geiſtes) An die ſcythiſche, kalte Spree. Platen. Wilhelm Henſel wurde den 6. Juli 1794 zu Trebbin ge- boren, wo ſein Vater an der dortigen Marien-Kirche Geiſtlicher war. Schon einige Monate ſpäter überſiedelte man von Trebbin nach Linum, in deſſen Pfarrhauſe wir denn auch unſern Wilhelm Henſel während ſeiner Knabenjahre zu ſuchen haben. Allen erforderlichen Unterricht gab ihm der Vater und bracht’ ihn, gut vorbereitet, auf die Bergakademie. Das war 1809. Dem ſchon damals geäußerten Wunſche des Sohnes, ſich der Kunſt widmen zu dürfen, hatte der Vater nicht nachgeben wollen. Das Talent W. Henſels war aber zu ausgeſprochen, als daß die Laufbahn, auf die ſeine Natur ihn anwies, ihm dauernd hätte verſchloſſen bleiben können. Seine eigenen Vorgeſetzten ermunterten ihn, in ſeiner Beſchäftigung mit den Künſten auszuharren und als er bei beſtimmter Gelegenheit ein Blatt in Waſſerfarben aus- führte, das innerhalb weniger Stunden eine ganze tropiſche Land- ſchaft vor aller Augen hinzauberte, drang der Direktor des Inſtituts in ihn, das Bergfach aufzugeben und Maler zu werden. *) *) Dies Blatt befindet ſich noch in den zahlreichen Mappen, die Sebaſtian Henſel aus dem reichen Nachlaſſe ſeines Vaters aufbewahrt. Ich komme weiterhin auf dieſen Nachlaß zurück. Was ſpeciell dies aquarellirte Blatt an- geht, ſo ſtellt es eine Felſenpartie dar, und Palmen und Bautrümmer faſſen ein Gewäſſer ein, in dem Mädchen baden. Es nimmt ſich aus wie eine Farbenſkizze zu einem großen Tapetenbilde. Als Arbeit eines in künſtleriſchen Dingen ohne jede Schule aufgewachſenen jungen Mannes, mußte dieſelbe damals überraſchen. Heutzutage, wo jeder zeichnen und ſeinen Baumſchlag machen kann, würde man dergleichen freilich ruhiger hinnehmen. 28*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/451>, abgerufen am 19.04.2024.