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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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blauen Seeflächen, die, auf der bunten Rappard'schen Karte, den
ganzen Weg zwischen Cöpenick und Teupitz ausfüllen. Hand in
Hand mit dem Kartenstudium ging ein Studium des Berghaus,
Abschnitt: "Hydrographische Beschaffenheit des Spreeflusses".
Was ich dadurch an Orientirung gewann, sei auch dem Leser nicht
vorenthalten.

An der Brücke von Cöpenick treffen zwei Flüsse beinahe recht-
winklig zusammen: die eigentliche Spree und die wendische
Spree, letztere auch "die Dahme" geheißen. Die wendische Spree,
mehr noch als die eigentliche, bildet eine große Anzahl prächtiger
Seeflächen, die durch einen dünnen Wasserfaden verbunden sind.
Ein Befahren dieses Flusses bewegt sich also in Gegensätzen, und
während eben noch haff-artige Breiten passirt wurden, auf denen
eine Seeschlacht geschlagen werden könnte, drängt sich das Boot
eine Viertelstunde später durch so schmale Defiles, daß die Ruder-
stangen nach rechts und links hin die Ufer berühren. Und wie
die Breite, so wechselt auch die Tiefe. An einer Stelle Erdtrichter
und Krater, wo die Leine des Senkbleis den Dienst versagt, und
gleich daneben Pfuhle und Tümpel, wo auch das flachgehendste
Boot durch den Sumpfgrund fährt. So diese Wasserstraße. An
ihren Ufern hin, ähnlich wie im Spreewald, hielten sich, bis in
unsere Tage hinein, die wendischen Elemente. Wer die Gegend
kennt, nennt sie deshalb die "Wendei". Sie hat wenig Dörfer,
keine Städte; selbst der Eisenbahnzug geht nur wie eine Erscheinung
durch sie hin.

So ungefähr waren die Resultate, die mir Buch und Karte
bei flüchtigem Studium an die Hand gaben.


Vor Anker in Cöpenick.

(Reise-Vorabend.)

Am 6. Abends war ich in Cöpenick. Ich hatte die Wahl,
ob ich von der Land- oder Wasserseite her an Bord gehen wollte,
entschied mich aber für Letzteres. Alle Dinge haben ihr Gesetz.
Wer zu einer Parforcejagd geladen ist, muß in einem rothen
Frack kommen oder wegbleiben. Also zu Wasser. Ein Boot führte

blauen Seeflächen, die, auf der bunten Rappard’ſchen Karte, den
ganzen Weg zwiſchen Cöpenick und Teupitz ausfüllen. Hand in
Hand mit dem Kartenſtudium ging ein Studium des Berghaus,
Abſchnitt: „Hydrographiſche Beſchaffenheit des Spreefluſſes“.
Was ich dadurch an Orientirung gewann, ſei auch dem Leſer nicht
vorenthalten.

An der Brücke von Cöpenick treffen zwei Flüſſe beinahe recht-
winklig zuſammen: die eigentliche Spree und die wendiſche
Spree, letztere auch „die Dahme“ geheißen. Die wendiſche Spree,
mehr noch als die eigentliche, bildet eine große Anzahl prächtiger
Seeflächen, die durch einen dünnen Waſſerfaden verbunden ſind.
Ein Befahren dieſes Fluſſes bewegt ſich alſo in Gegenſätzen, und
während eben noch haff-artige Breiten paſſirt wurden, auf denen
eine Seeſchlacht geſchlagen werden könnte, drängt ſich das Boot
eine Viertelſtunde ſpäter durch ſo ſchmale Defilés, daß die Ruder-
ſtangen nach rechts und links hin die Ufer berühren. Und wie
die Breite, ſo wechſelt auch die Tiefe. An einer Stelle Erdtrichter
und Krater, wo die Leine des Senkbleis den Dienſt verſagt, und
gleich daneben Pfuhle und Tümpel, wo auch das flachgehendſte
Boot durch den Sumpfgrund fährt. So dieſe Waſſerſtraße. An
ihren Ufern hin, ähnlich wie im Spreewald, hielten ſich, bis in
unſere Tage hinein, die wendiſchen Elemente. Wer die Gegend
kennt, nennt ſie deshalb die „Wendei“. Sie hat wenig Dörfer,
keine Städte; ſelbſt der Eiſenbahnzug geht nur wie eine Erſcheinung
durch ſie hin.

So ungefähr waren die Reſultate, die mir Buch und Karte
bei flüchtigem Studium an die Hand gaben.


Vor Anker in Cöpenick.

(Reiſe-Vorabend.)

Am 6. Abends war ich in Cöpenick. Ich hatte die Wahl,
ob ich von der Land- oder Waſſerſeite her an Bord gehen wollte,
entſchied mich aber für Letzteres. Alle Dinge haben ihr Geſetz.
Wer zu einer Parforcejagd geladen iſt, muß in einem rothen
Frack kommen oder wegbleiben. Alſo zu Waſſer. Ein Boot führte

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[58/0074] blauen Seeflächen, die, auf der bunten Rappard’ſchen Karte, den ganzen Weg zwiſchen Cöpenick und Teupitz ausfüllen. Hand in Hand mit dem Kartenſtudium ging ein Studium des Berghaus, Abſchnitt: „Hydrographiſche Beſchaffenheit des Spreefluſſes“. Was ich dadurch an Orientirung gewann, ſei auch dem Leſer nicht vorenthalten. An der Brücke von Cöpenick treffen zwei Flüſſe beinahe recht- winklig zuſammen: die eigentliche Spree und die wendiſche Spree, letztere auch „die Dahme“ geheißen. Die wendiſche Spree, mehr noch als die eigentliche, bildet eine große Anzahl prächtiger Seeflächen, die durch einen dünnen Waſſerfaden verbunden ſind. Ein Befahren dieſes Fluſſes bewegt ſich alſo in Gegenſätzen, und während eben noch haff-artige Breiten paſſirt wurden, auf denen eine Seeſchlacht geſchlagen werden könnte, drängt ſich das Boot eine Viertelſtunde ſpäter durch ſo ſchmale Defilés, daß die Ruder- ſtangen nach rechts und links hin die Ufer berühren. Und wie die Breite, ſo wechſelt auch die Tiefe. An einer Stelle Erdtrichter und Krater, wo die Leine des Senkbleis den Dienſt verſagt, und gleich daneben Pfuhle und Tümpel, wo auch das flachgehendſte Boot durch den Sumpfgrund fährt. So dieſe Waſſerſtraße. An ihren Ufern hin, ähnlich wie im Spreewald, hielten ſich, bis in unſere Tage hinein, die wendiſchen Elemente. Wer die Gegend kennt, nennt ſie deshalb die „Wendei“. Sie hat wenig Dörfer, keine Städte; ſelbſt der Eiſenbahnzug geht nur wie eine Erſcheinung durch ſie hin. So ungefähr waren die Reſultate, die mir Buch und Karte bei flüchtigem Studium an die Hand gaben. Vor Anker in Cöpenick. (Reiſe-Vorabend.) Am 6. Abends war ich in Cöpenick. Ich hatte die Wahl, ob ich von der Land- oder Waſſerſeite her an Bord gehen wollte, entſchied mich aber für Letzteres. Alle Dinge haben ihr Geſetz. Wer zu einer Parforcejagd geladen iſt, muß in einem rothen Frack kommen oder wegbleiben. Alſo zu Waſſer. Ein Boot führte

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/74>, abgerufen am 25.04.2024.